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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Rechtssymbolik
Fritz Warmnth, in, d, R. von Amtsrichter "

er nach Symbolen in den modernen Gesetzen sucht, wird sehr
bald die Einsicht gewinnen, daß die Ausbeute eine verschwindend
kleine ist. Rückwärts zu den Altvorderen muß er die Blicke
wenden oder die Völkerschaften aufsuchen, die von der Kultur
möglichst unberührt geblieben sind. Das darf uns nicht wundern.
Die praktischen und ideellen Vorbedingungen aller Rechtssymbolik fehlen eben
im modernen Rechte. Man muß sich vergegenwärtigen, daß das Symbol in
vielen Fällen nichts anderes ist als die Verflachung einer Rechtshandlung, die
ursprünglich einen wesentlichen, notwendigen Teil des Rechtsgeschäftes selbst
bildete. Ihre meist religiösen Vorstellungen entsprungene Bedeutung entschwand
allmählich dein Bewußtsein des Volkes. Die ursprüngliche Substanzielle Rechts¬
handlung wurde zur gewohnheitsmäßig geübten Begleithandlung anderer rechts¬
wirksamer Willensbetätigungen. Es ist aber klar, daß diese dem Volks-
verftehen entwurzelten und überflüssig erscheinenden Handlungen im Laufe der
Zeit sich immer mehr verfluchten mußten, schließlich völlig verschwanden.

Wo aber die Symbole bewußt als solche geschaffen worden sind, geschah
es einmal in dem Bestreben, dem, was man bei wichtigeren und darum seltenen
Anlässen tat und sagte, eine bedeutsamere vollere Form zu geben, dann aber
auch in der Absicht, die wichtigeren Rechtshandlungen dem Gedächtnis besser
einzuprägen, indem man sie vor Zeugen oder gar in der Volksversammlung
durch eine besondere, in die Sinne fallende Handlung, eben das Rechtssinnbild,
begleiten ließ. Für beide Beweggründe ist in einer vorgeschrittenen Kultur
kein Raum. Unser rasch hinflutendes Verkehrs leben duldet keine breiten, zeit¬
raubenden überflüssigen Förmlichkeiten, hat am wenigsten Sinn für die Würde
eines altüberlieferten Herkommens. Die Schriftkenntnis ist allgemein, die
Möglichkeit, wichtige Urkunden sicher aufzubewahren, überall vorhanden. Im
raschen Vorwärtsdrängen wird aller Formenballast über Bord geworfen. Ein
Volk legt eben wie der einzelne Mensch mit den Jahren allen Gefühlsüber¬
schwang ab, und wird nüchterner, praktischer und -- langweiliger.

Vielleicht ist es aber das Opfer einer Viertelstunde wert, eine Reihe jener
alten und jener den Naturvölkern noch eigenen Symbole an unserem geistigen
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Rechtssymbolik
Fritz Warmnth, in, d, R. von Amtsrichter «

er nach Symbolen in den modernen Gesetzen sucht, wird sehr
bald die Einsicht gewinnen, daß die Ausbeute eine verschwindend
kleine ist. Rückwärts zu den Altvorderen muß er die Blicke
wenden oder die Völkerschaften aufsuchen, die von der Kultur
möglichst unberührt geblieben sind. Das darf uns nicht wundern.
Die praktischen und ideellen Vorbedingungen aller Rechtssymbolik fehlen eben
im modernen Rechte. Man muß sich vergegenwärtigen, daß das Symbol in
vielen Fällen nichts anderes ist als die Verflachung einer Rechtshandlung, die
ursprünglich einen wesentlichen, notwendigen Teil des Rechtsgeschäftes selbst
bildete. Ihre meist religiösen Vorstellungen entsprungene Bedeutung entschwand
allmählich dein Bewußtsein des Volkes. Die ursprüngliche Substanzielle Rechts¬
handlung wurde zur gewohnheitsmäßig geübten Begleithandlung anderer rechts¬
wirksamer Willensbetätigungen. Es ist aber klar, daß diese dem Volks-
verftehen entwurzelten und überflüssig erscheinenden Handlungen im Laufe der
Zeit sich immer mehr verfluchten mußten, schließlich völlig verschwanden.

Wo aber die Symbole bewußt als solche geschaffen worden sind, geschah
es einmal in dem Bestreben, dem, was man bei wichtigeren und darum seltenen
Anlässen tat und sagte, eine bedeutsamere vollere Form zu geben, dann aber
auch in der Absicht, die wichtigeren Rechtshandlungen dem Gedächtnis besser
einzuprägen, indem man sie vor Zeugen oder gar in der Volksversammlung
durch eine besondere, in die Sinne fallende Handlung, eben das Rechtssinnbild,
begleiten ließ. Für beide Beweggründe ist in einer vorgeschrittenen Kultur
kein Raum. Unser rasch hinflutendes Verkehrs leben duldet keine breiten, zeit¬
raubenden überflüssigen Förmlichkeiten, hat am wenigsten Sinn für die Würde
eines altüberlieferten Herkommens. Die Schriftkenntnis ist allgemein, die
Möglichkeit, wichtige Urkunden sicher aufzubewahren, überall vorhanden. Im
raschen Vorwärtsdrängen wird aller Formenballast über Bord geworfen. Ein
Volk legt eben wie der einzelne Mensch mit den Jahren allen Gefühlsüber¬
schwang ab, und wird nüchterner, praktischer und — langweiliger.

Vielleicht ist es aber das Opfer einer Viertelstunde wert, eine Reihe jener
alten und jener den Naturvölkern noch eigenen Symbole an unserem geistigen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/31>, abgerufen am 13.11.2024.