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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Streiflichter auf das deutsch-ungarische Problem
Gottfried Fittbogen von

as deutsch - ungarische Problem -- vielleicht die komplizierteste
Frage des gesamten Auslanddeutschtums -- lenkt wieder die Blicke
auf sich.

In der Gruppe der siebenbürgisch - sächsischen Abgeordneten
für den ungarischen Reichstag ist es zu einem Konflikt gekommen,
der latente Gegensätze offen in die Erscheinung treten ließ. In der Neichstags-
sitzung vom 20. März 1914 hielt der sächsische Abgeordnete Wilhelm Kopony
für seine Person -- er betonte ausdrücklich, daß er nicht im Namen seiner
Gruppe spreche, die bekanntlich der Regierungspartei beigetreten ist -- eine
Rede, in der er sich der südungarischen Schwaben annahm und deren Be¬
schwerden über die von der Regierung betriebene Madjarisierungspolitik,
übrigens in durchaus maßvoller und sachlicher Weise, vortrug. Diese Rede
hatte zwei weitere Reden zur Folge: ein Vertreter der offiziellen sächsischen
Politik rückte von Kopony ab und erklärte, die sächsischen Abgeordneten dächten
nicht daran, die Angelegenheiten der Schwaben zu den ihrigen zu machen; und
der Ministerpräsident Graf Tisza selbst sprach sein Mißfallen über die Worte
seines "Parteigenossen" Kopony sehr nachdrücklich aus und warnte die sächsische
Gruppe sehr deutlich, in die Bahnen Kovonys einzulenken. Damit war der
Bruch gegeben: Kopony -- zusammen mit seinem Gesinnungsgenossen Rudolf
Braudsch -- trat aus der sächsischen Gruppe aus, die ihn sonst unzweifelhaft
aufgefordert hätte, die Beziehungen zu ihr zu lösen. Zwei Abgeordnete der
"Grünen" stehen nunmehr außerhalb der Gruppe der elf "offiziellen" Sachsen.

Dieser Vorgang hat zu sehr lebhaften Erörterungen unter den Deutschen
Ungarns geführt, und auch wir Reichsdeutschen haben allen Anlaß, ihm unsere
Aufmerksamkeit zu schenken und nach den Motiven zu fragen, die diesem Streit
zugrunde liegen.

Gegen die "offiziellen" Sachsen ist von mehreren Seiten -- auch in den
weniger reichsdeutschen Blättern, die von den Vorkommnissen Notiz nahmen --
mehr oder minder deutlich, der Vorwurf erhoben worden, daß sie aus beschränkt
sächsischem Egoismus gehandelt und die gesamt-deutsche Sache der ungar-




Streiflichter auf das deutsch-ungarische Problem
Gottfried Fittbogen von

as deutsch - ungarische Problem — vielleicht die komplizierteste
Frage des gesamten Auslanddeutschtums — lenkt wieder die Blicke
auf sich.

In der Gruppe der siebenbürgisch - sächsischen Abgeordneten
für den ungarischen Reichstag ist es zu einem Konflikt gekommen,
der latente Gegensätze offen in die Erscheinung treten ließ. In der Neichstags-
sitzung vom 20. März 1914 hielt der sächsische Abgeordnete Wilhelm Kopony
für seine Person — er betonte ausdrücklich, daß er nicht im Namen seiner
Gruppe spreche, die bekanntlich der Regierungspartei beigetreten ist — eine
Rede, in der er sich der südungarischen Schwaben annahm und deren Be¬
schwerden über die von der Regierung betriebene Madjarisierungspolitik,
übrigens in durchaus maßvoller und sachlicher Weise, vortrug. Diese Rede
hatte zwei weitere Reden zur Folge: ein Vertreter der offiziellen sächsischen
Politik rückte von Kopony ab und erklärte, die sächsischen Abgeordneten dächten
nicht daran, die Angelegenheiten der Schwaben zu den ihrigen zu machen; und
der Ministerpräsident Graf Tisza selbst sprach sein Mißfallen über die Worte
seines „Parteigenossen" Kopony sehr nachdrücklich aus und warnte die sächsische
Gruppe sehr deutlich, in die Bahnen Kovonys einzulenken. Damit war der
Bruch gegeben: Kopony — zusammen mit seinem Gesinnungsgenossen Rudolf
Braudsch — trat aus der sächsischen Gruppe aus, die ihn sonst unzweifelhaft
aufgefordert hätte, die Beziehungen zu ihr zu lösen. Zwei Abgeordnete der
„Grünen" stehen nunmehr außerhalb der Gruppe der elf „offiziellen" Sachsen.

Dieser Vorgang hat zu sehr lebhaften Erörterungen unter den Deutschen
Ungarns geführt, und auch wir Reichsdeutschen haben allen Anlaß, ihm unsere
Aufmerksamkeit zu schenken und nach den Motiven zu fragen, die diesem Streit
zugrunde liegen.

Gegen die „offiziellen" Sachsen ist von mehreren Seiten — auch in den
weniger reichsdeutschen Blättern, die von den Vorkommnissen Notiz nahmen —
mehr oder minder deutlich, der Vorwurf erhoben worden, daß sie aus beschränkt
sächsischem Egoismus gehandelt und die gesamt-deutsche Sache der ungar-


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[0305] [Abbildung] Streiflichter auf das deutsch-ungarische Problem Gottfried Fittbogen von as deutsch - ungarische Problem — vielleicht die komplizierteste Frage des gesamten Auslanddeutschtums — lenkt wieder die Blicke auf sich. In der Gruppe der siebenbürgisch - sächsischen Abgeordneten für den ungarischen Reichstag ist es zu einem Konflikt gekommen, der latente Gegensätze offen in die Erscheinung treten ließ. In der Neichstags- sitzung vom 20. März 1914 hielt der sächsische Abgeordnete Wilhelm Kopony für seine Person — er betonte ausdrücklich, daß er nicht im Namen seiner Gruppe spreche, die bekanntlich der Regierungspartei beigetreten ist — eine Rede, in der er sich der südungarischen Schwaben annahm und deren Be¬ schwerden über die von der Regierung betriebene Madjarisierungspolitik, übrigens in durchaus maßvoller und sachlicher Weise, vortrug. Diese Rede hatte zwei weitere Reden zur Folge: ein Vertreter der offiziellen sächsischen Politik rückte von Kopony ab und erklärte, die sächsischen Abgeordneten dächten nicht daran, die Angelegenheiten der Schwaben zu den ihrigen zu machen; und der Ministerpräsident Graf Tisza selbst sprach sein Mißfallen über die Worte seines „Parteigenossen" Kopony sehr nachdrücklich aus und warnte die sächsische Gruppe sehr deutlich, in die Bahnen Kovonys einzulenken. Damit war der Bruch gegeben: Kopony — zusammen mit seinem Gesinnungsgenossen Rudolf Braudsch — trat aus der sächsischen Gruppe aus, die ihn sonst unzweifelhaft aufgefordert hätte, die Beziehungen zu ihr zu lösen. Zwei Abgeordnete der „Grünen" stehen nunmehr außerhalb der Gruppe der elf „offiziellen" Sachsen. Dieser Vorgang hat zu sehr lebhaften Erörterungen unter den Deutschen Ungarns geführt, und auch wir Reichsdeutschen haben allen Anlaß, ihm unsere Aufmerksamkeit zu schenken und nach den Motiven zu fragen, die diesem Streit zugrunde liegen. Gegen die „offiziellen" Sachsen ist von mehreren Seiten — auch in den weniger reichsdeutschen Blättern, die von den Vorkommnissen Notiz nahmen — mehr oder minder deutlich, der Vorwurf erhoben worden, daß sie aus beschränkt sächsischem Egoismus gehandelt und die gesamt-deutsche Sache der ungar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/305>, abgerufen am 13.11.2024.