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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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sogar gegen die Strahlen der Sonne in ihren Schatten nahmen. Und, uner¬
wartet in diesen: baumarmen Land, umfing uns auf einmal ein Wald, ein
wirklicher Wald und wir gingen in köstlichem, maienduftigem Baumschatten wie
irgendwo im Taunus oder Schwarzwald, nur daß die üppige, zwischen den
Bäumen wuchernde Flora auf südlichere Gegenden schließen ließ. Erst ganz
zuletzt, jäh um einen Bergvorsprung biegend, gibt die Straße den Blick frei
auf das Kloster, das hier in Höhe von etwa 700 Metern sich an die höheren
Felsen anlehnt.

Hat man das Tor des Klosters durchschritten, steht man plötzlich mitten
in der Vergangenheit. Freilich zunächst hielten wir uns sehr an die Gegenwart,
indem wir in einer dem Kloster angegliederten Fonda für leibliche Stärkung
sorgten, und zwar ließ der köstliche Rotwein, der dort floß, den Ruhm alter
Klosterkellereien sehr lebhaft in uns aufleben.

Dann aber betraten wir die heiligen Räume. Freilich, es war zwar Ver¬
gangenheit, die uns umgab, aber nicht das Mittelalter Wolfram von Eschenbachs,
auch nicht die mystisch - dämmerungsvolle Weihe, die aus Wagners Tönen
aufgeht; es war die Zeit des Ignatius von Loyola, die hier lebendig ist.
Denn auch dessen Name ist mit dem Montserrat verknüpft, und nur von ihm
und dem Marienkult, nicht vom heiligen Gral wußten die Klosterleute
zu sagen.

Auch die Kirche, in die man tritt, hat wenig Ähnlichkeit mit jenem, an
die Jerusalemer Grabeskirche erinnernden Tempel, den wir von der Bavreuther
Bühne her kennen. Ein etwas kalter Renaissancebau aus der Zeit, da Philipp
der Zweite in Spanien gebot, nimmt einen auf. Kerzengeflimmer läßt das
üppige Gold am Hochaltar erglitzern. Und wir kamen gerade recht zur Stunde,
da man das alte holzgeschnitzte Bild der heiligen Jungfrau zeigt, das heute
der heiligste Besitz des Montserrat ist. Kein aus den Höhen schwebender
Knabenchor "Selig im Glauben, selig in Liebe" begleitete die Enthüllung dieses
Bildes, wie in Bayreuth die Enthüllung des Gral. Unharmonischer Mönchs¬
gesang allein war hier zu hören, aber immer neues Gold glühte auf, wie die
Kerzen sich bewegten. Stumm sahen wir auf das altersgeschwärzte Heiligen¬
bild, vor dem die Pilger in die Knie sanken, ähnlich wie das Volk in Moskau,
wenn die iberische Mutter Gottes durch die Massen getragen wird. Nicht der
durch Mitleid wissende "reine Tor" hatte vor diesem Heiligtum Erkenntnis
gewonnen. Vor diesem Bilde hatte Ignatius von Lonola, auch ein "christlicher
Ritter", seine Waffen aufgehängt, nachdem er von schwerer Krankheit genesen
war; vor diesem Bildnis hatte der Gründer der Gesellschaft Jesu mit dem
Pilgerstab in der Hand nach Rittersitte die Waffenwacht gehalten, ehe er seinen
Orden stiftete, der ein neues, düsteres, von seinen Feinden so grimmig bis auf
den heutigen Tag gehaßtes Christentum in die Welt hinaustrug. -- Wir ver¬
ließen diese Räume. Hier ist man als nordischer Protestant ein fremder Gast,
vielleicht ein unliebsamer Eindringling.


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sogar gegen die Strahlen der Sonne in ihren Schatten nahmen. Und, uner¬
wartet in diesen: baumarmen Land, umfing uns auf einmal ein Wald, ein
wirklicher Wald und wir gingen in köstlichem, maienduftigem Baumschatten wie
irgendwo im Taunus oder Schwarzwald, nur daß die üppige, zwischen den
Bäumen wuchernde Flora auf südlichere Gegenden schließen ließ. Erst ganz
zuletzt, jäh um einen Bergvorsprung biegend, gibt die Straße den Blick frei
auf das Kloster, das hier in Höhe von etwa 700 Metern sich an die höheren
Felsen anlehnt.

Hat man das Tor des Klosters durchschritten, steht man plötzlich mitten
in der Vergangenheit. Freilich zunächst hielten wir uns sehr an die Gegenwart,
indem wir in einer dem Kloster angegliederten Fonda für leibliche Stärkung
sorgten, und zwar ließ der köstliche Rotwein, der dort floß, den Ruhm alter
Klosterkellereien sehr lebhaft in uns aufleben.

Dann aber betraten wir die heiligen Räume. Freilich, es war zwar Ver¬
gangenheit, die uns umgab, aber nicht das Mittelalter Wolfram von Eschenbachs,
auch nicht die mystisch - dämmerungsvolle Weihe, die aus Wagners Tönen
aufgeht; es war die Zeit des Ignatius von Loyola, die hier lebendig ist.
Denn auch dessen Name ist mit dem Montserrat verknüpft, und nur von ihm
und dem Marienkult, nicht vom heiligen Gral wußten die Klosterleute
zu sagen.

Auch die Kirche, in die man tritt, hat wenig Ähnlichkeit mit jenem, an
die Jerusalemer Grabeskirche erinnernden Tempel, den wir von der Bavreuther
Bühne her kennen. Ein etwas kalter Renaissancebau aus der Zeit, da Philipp
der Zweite in Spanien gebot, nimmt einen auf. Kerzengeflimmer läßt das
üppige Gold am Hochaltar erglitzern. Und wir kamen gerade recht zur Stunde,
da man das alte holzgeschnitzte Bild der heiligen Jungfrau zeigt, das heute
der heiligste Besitz des Montserrat ist. Kein aus den Höhen schwebender
Knabenchor „Selig im Glauben, selig in Liebe" begleitete die Enthüllung dieses
Bildes, wie in Bayreuth die Enthüllung des Gral. Unharmonischer Mönchs¬
gesang allein war hier zu hören, aber immer neues Gold glühte auf, wie die
Kerzen sich bewegten. Stumm sahen wir auf das altersgeschwärzte Heiligen¬
bild, vor dem die Pilger in die Knie sanken, ähnlich wie das Volk in Moskau,
wenn die iberische Mutter Gottes durch die Massen getragen wird. Nicht der
durch Mitleid wissende „reine Tor" hatte vor diesem Heiligtum Erkenntnis
gewonnen. Vor diesem Bilde hatte Ignatius von Lonola, auch ein „christlicher
Ritter", seine Waffen aufgehängt, nachdem er von schwerer Krankheit genesen
war; vor diesem Bildnis hatte der Gründer der Gesellschaft Jesu mit dem
Pilgerstab in der Hand nach Rittersitte die Waffenwacht gehalten, ehe er seinen
Orden stiftete, der ein neues, düsteres, von seinen Feinden so grimmig bis auf
den heutigen Tag gehaßtes Christentum in die Welt hinaustrug. — Wir ver¬
ließen diese Räume. Hier ist man als nordischer Protestant ein fremder Gast,
vielleicht ein unliebsamer Eindringling.


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[0288] Line Wanderung zur Gralsburg sogar gegen die Strahlen der Sonne in ihren Schatten nahmen. Und, uner¬ wartet in diesen: baumarmen Land, umfing uns auf einmal ein Wald, ein wirklicher Wald und wir gingen in köstlichem, maienduftigem Baumschatten wie irgendwo im Taunus oder Schwarzwald, nur daß die üppige, zwischen den Bäumen wuchernde Flora auf südlichere Gegenden schließen ließ. Erst ganz zuletzt, jäh um einen Bergvorsprung biegend, gibt die Straße den Blick frei auf das Kloster, das hier in Höhe von etwa 700 Metern sich an die höheren Felsen anlehnt. Hat man das Tor des Klosters durchschritten, steht man plötzlich mitten in der Vergangenheit. Freilich zunächst hielten wir uns sehr an die Gegenwart, indem wir in einer dem Kloster angegliederten Fonda für leibliche Stärkung sorgten, und zwar ließ der köstliche Rotwein, der dort floß, den Ruhm alter Klosterkellereien sehr lebhaft in uns aufleben. Dann aber betraten wir die heiligen Räume. Freilich, es war zwar Ver¬ gangenheit, die uns umgab, aber nicht das Mittelalter Wolfram von Eschenbachs, auch nicht die mystisch - dämmerungsvolle Weihe, die aus Wagners Tönen aufgeht; es war die Zeit des Ignatius von Loyola, die hier lebendig ist. Denn auch dessen Name ist mit dem Montserrat verknüpft, und nur von ihm und dem Marienkult, nicht vom heiligen Gral wußten die Klosterleute zu sagen. Auch die Kirche, in die man tritt, hat wenig Ähnlichkeit mit jenem, an die Jerusalemer Grabeskirche erinnernden Tempel, den wir von der Bavreuther Bühne her kennen. Ein etwas kalter Renaissancebau aus der Zeit, da Philipp der Zweite in Spanien gebot, nimmt einen auf. Kerzengeflimmer läßt das üppige Gold am Hochaltar erglitzern. Und wir kamen gerade recht zur Stunde, da man das alte holzgeschnitzte Bild der heiligen Jungfrau zeigt, das heute der heiligste Besitz des Montserrat ist. Kein aus den Höhen schwebender Knabenchor „Selig im Glauben, selig in Liebe" begleitete die Enthüllung dieses Bildes, wie in Bayreuth die Enthüllung des Gral. Unharmonischer Mönchs¬ gesang allein war hier zu hören, aber immer neues Gold glühte auf, wie die Kerzen sich bewegten. Stumm sahen wir auf das altersgeschwärzte Heiligen¬ bild, vor dem die Pilger in die Knie sanken, ähnlich wie das Volk in Moskau, wenn die iberische Mutter Gottes durch die Massen getragen wird. Nicht der durch Mitleid wissende „reine Tor" hatte vor diesem Heiligtum Erkenntnis gewonnen. Vor diesem Bilde hatte Ignatius von Lonola, auch ein „christlicher Ritter", seine Waffen aufgehängt, nachdem er von schwerer Krankheit genesen war; vor diesem Bildnis hatte der Gründer der Gesellschaft Jesu mit dem Pilgerstab in der Hand nach Rittersitte die Waffenwacht gehalten, ehe er seinen Orden stiftete, der ein neues, düsteres, von seinen Feinden so grimmig bis auf den heutigen Tag gehaßtes Christentum in die Welt hinaustrug. — Wir ver¬ ließen diese Räume. Hier ist man als nordischer Protestant ein fremder Gast, vielleicht ein unliebsamer Eindringling.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/288>, abgerufen am 25.07.2024.