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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und Prokesch-Vsten

gegen Bismarck erhoben worden, und wer hätte das Herz zu sagen, daß es zu
unrecht geschehen sei?

Einiges bleibt freilich, was als ganz besonders auf Prokesch zugeschnitten
noch einer Betrachtung bedarf; doch ist es reichlich zweifelhaft, ob dies nicht
den letzteren weit mehr ehrt, als belastet. Wenn Bismarck immer wieder seine
Präsidialübergriffe rügt (Prokesch suchte gelegentlich durch einfache Präsidial¬
verfügung durchzusetzen, was jener erst verhandelt wünschte), wenn er seine
Hoffart, seine Anmaßung, seine Überhebung, seine Leidenschaftlichkeit, seine
Rücksichtslosigkeit in Vertretung seiner Präsidialstellung hinausfahren, so wird
man sich füglich fragen dürfen, ob das alles nicht besagt, daß er damals als
Österreicher energisch seine Pflicht getan, und daß Bismarck an seiner Stelle --
ins preußische übersetzt -- genau ebenso gehandelt haben würde? Treffend sagt
Friedjung ("Der Kampf um die Vorherrschaft" Bd. I S. 11): "Für Österreich
gab es überhaupt keinen Preis, um den es freiwillig auf den Primat in
Deutschland verzichten mochte; so dachte jeder österreichische Staatsmann, und
so mußte er denken. Denn eine europäische Großmacht gibt sich selbst auf,
wenn sie ein so großes Ding ohne Wassergang fahren läßt."

Das ist denn auch Prokeschs Motto gewesen, und es gibt zugleich die
Erklärung für einen weiteren Zug, den Poschinger als Pomphaftigkeit, und sein
Meister in immer neuen Fassungen als Eitelkeit, als Selbstgefälligkeit, als
Selbstüberschätzung charakterisiert hat. Wenn er alles und jedes, wodurch
Prokesch sich bemühte, seinem Wirken als Vertreter des Kaiserstaates am Bunde
Nachdruck und Nimbus zu geben, nur in einem solchen Lichte zu sehen ver¬
mochte, so erscheint dagegen der unbefangenen Beurteilung nichts natürlicher,
als daß Prokesch, dem weder der Glanz alten Namens, noch die Fülle er¬
erbter oder erworbener Reichtümer zur Seite stand, seine Stellung nach Kräften
durch alles, was die eigene Persönlichkeit hergab, zu verstärken bemüht war.

Wenigstens nach einer Seite hat dies Bismarck, wenn auch unter Murren
und Knurren und unfreiwillig, anerkannt: Prokeschs immenser Fleiß, seine
"Arbeitsamkeit und das lebhafte Interesse, welches er den Geschäften widmete,"
mußten selbst ihm imponieren, und seine "Genußsucht in Ausschußsitzungen"
hat ihm manche saure Stunde eingetragen. Ein anderes war es schon um
die nicht rein sachlichen Ausstrahlungen von Prokeschs Geiste, um die Momente,
da der Historiker, unter ungenügender Berücksichtigung der Zuhörerschaft, dem
Diplomaten dreinredete und ihn z. B. seine Antrittsrede als Präsidialgesandter
mit einem Rückblick auf die Hauptentwicklungen der deutschen Geschichte und
einem Ausblick auf das Wesen der deutschen Stämme beginnen ließ. Das
reizte den realpolitischen preußischen Kollegen nur zum Spott und trug ihm,
wie ähnliches später, die Bezeichnung Schulmeister ein.

Noch weniger hat Bismarck es ihm hingehen lassen, daß er, namentlich in
der ersten Zeit, häufiger in Feldmarschallleutnantsuniform in Frankfurt auftrat
(wo damals, nebenbei bemerkt, etwa die Hälfte der Garnison österreichisch war).


Bismarck und Prokesch-Vsten

gegen Bismarck erhoben worden, und wer hätte das Herz zu sagen, daß es zu
unrecht geschehen sei?

Einiges bleibt freilich, was als ganz besonders auf Prokesch zugeschnitten
noch einer Betrachtung bedarf; doch ist es reichlich zweifelhaft, ob dies nicht
den letzteren weit mehr ehrt, als belastet. Wenn Bismarck immer wieder seine
Präsidialübergriffe rügt (Prokesch suchte gelegentlich durch einfache Präsidial¬
verfügung durchzusetzen, was jener erst verhandelt wünschte), wenn er seine
Hoffart, seine Anmaßung, seine Überhebung, seine Leidenschaftlichkeit, seine
Rücksichtslosigkeit in Vertretung seiner Präsidialstellung hinausfahren, so wird
man sich füglich fragen dürfen, ob das alles nicht besagt, daß er damals als
Österreicher energisch seine Pflicht getan, und daß Bismarck an seiner Stelle —
ins preußische übersetzt — genau ebenso gehandelt haben würde? Treffend sagt
Friedjung („Der Kampf um die Vorherrschaft" Bd. I S. 11): „Für Österreich
gab es überhaupt keinen Preis, um den es freiwillig auf den Primat in
Deutschland verzichten mochte; so dachte jeder österreichische Staatsmann, und
so mußte er denken. Denn eine europäische Großmacht gibt sich selbst auf,
wenn sie ein so großes Ding ohne Wassergang fahren läßt."

Das ist denn auch Prokeschs Motto gewesen, und es gibt zugleich die
Erklärung für einen weiteren Zug, den Poschinger als Pomphaftigkeit, und sein
Meister in immer neuen Fassungen als Eitelkeit, als Selbstgefälligkeit, als
Selbstüberschätzung charakterisiert hat. Wenn er alles und jedes, wodurch
Prokesch sich bemühte, seinem Wirken als Vertreter des Kaiserstaates am Bunde
Nachdruck und Nimbus zu geben, nur in einem solchen Lichte zu sehen ver¬
mochte, so erscheint dagegen der unbefangenen Beurteilung nichts natürlicher,
als daß Prokesch, dem weder der Glanz alten Namens, noch die Fülle er¬
erbter oder erworbener Reichtümer zur Seite stand, seine Stellung nach Kräften
durch alles, was die eigene Persönlichkeit hergab, zu verstärken bemüht war.

Wenigstens nach einer Seite hat dies Bismarck, wenn auch unter Murren
und Knurren und unfreiwillig, anerkannt: Prokeschs immenser Fleiß, seine
„Arbeitsamkeit und das lebhafte Interesse, welches er den Geschäften widmete,"
mußten selbst ihm imponieren, und seine „Genußsucht in Ausschußsitzungen"
hat ihm manche saure Stunde eingetragen. Ein anderes war es schon um
die nicht rein sachlichen Ausstrahlungen von Prokeschs Geiste, um die Momente,
da der Historiker, unter ungenügender Berücksichtigung der Zuhörerschaft, dem
Diplomaten dreinredete und ihn z. B. seine Antrittsrede als Präsidialgesandter
mit einem Rückblick auf die Hauptentwicklungen der deutschen Geschichte und
einem Ausblick auf das Wesen der deutschen Stämme beginnen ließ. Das
reizte den realpolitischen preußischen Kollegen nur zum Spott und trug ihm,
wie ähnliches später, die Bezeichnung Schulmeister ein.

Noch weniger hat Bismarck es ihm hingehen lassen, daß er, namentlich in
der ersten Zeit, häufiger in Feldmarschallleutnantsuniform in Frankfurt auftrat
(wo damals, nebenbei bemerkt, etwa die Hälfte der Garnison österreichisch war).


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/28>, abgerufen am 25.07.2024.