Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

dem selbst in dem kulturarmen Süditalien
der einfache Kustode den Fremdling durch
das seiner Obhut anvertraute Heiligtum ge¬
leitet und sich herzlich abmüht, in den ver¬
schiedensten Sprachensplittern seine Erklärungen
zu geben.

Die Gerechtigkeit erfordert es jedoch, diesen
bedauerlichen Zuständen in Museen und Aus¬
grabungsorten gegenüber zuzugestehen, daß
wenigstens manche Museumsbauten recht gut
sind, was Licht und Raum anbetrifft, und
daß seit einigen Jahren die griechische archäo¬
logische Gesellschaft eine erfreuliche und frucht¬
bringende Rührigkeit entfaltet. Das Marmor-
Prunkgebäude in Athen ist der Nation von
einem opferfreudigen, im Ausland reich ge¬
wordenen Griechen hingestellt, und in ihm
finden wir wenigstens manche Gipfelwerke
hellenischer Kunst würdig aufgebaut, so daß
ein voller ästhetischer Genuß ermöglicht wird.
In Kandia sind auch weite, gut belichtete
Räume geschaffen worden. Der Bau selbst
jedoch ist so leicht und feuergefährlich, daß
man mit Schaudern daran denkt, wie leicht
hier ein Brand mit einem Schlag der
Menschheit für immer fast alle Kulturdoku¬
mente rauben könnte, die wir von der mi-
noischen Epoche besitzen und durch deren
Offenbarungen wir die Wurzeln der helleni¬
schen Kultur um mehr denn ein Jahrtausend
über Mykene zurückdatieren können.

Hier zeigt sich wieder in gefährlichster Form
das mißliche Monopolbestreben der Griechen in
archäologischen Dingen. Eifersüchtig bannen
sie die Funde um ihr Land, und von den
minoischen, erst in neuester Zeit erschlossenen
ist so gut wie nichts nach auswärts gelangt.
Engländer unter Evans und Italiener unter
Halbherr durften die Schlösser von Knossos
und Phästos ergraben; aber auch den kleinsten
ans Tageslicht gezogenen Gegenstand mußten
sie den Kretern überlassen. Der Wettbewerb
ausländischen archäologischen Tatendranges
bringt es zustande, daß sich die Kultur¬
nationen auf so scharfe Bedingungen
einlassen und sich trotz ungeheurer Auf¬
wendungen mit den teueren, oft Prächtigen
Veröffentlichungen und der Forschungs¬
arbeit begnügen"). Und während die kreti-

[Spaltenumbruch]

schen Zöllner das Reisegepäck der Touristen
beim Verlassen der Insel durchschnüffeln und
selbst dürftige Scherben nicht außer Landes
lassen, verkommen im Magazinschutt in Kandia
nutzlos wissenschaftlich bedeutsame Sachen, in
deren Besitz sich ausländische Sammlungen
glücklich schätzen würden. Denn nur für
Schaustücke haben die Einheimischen Sinn.
Das Ergebnis ist die Gefahr, daß ein einziger
Brand alle existierenden Belege jener uralten
Kultur auslöschen würde, da nirgendwo anders
irgendwie belangreiche Dinge sich vorfinden.

Lobend möge noch die Bereitwilligkeit
hervorgehoben werden, mit der die griechischen
Museumsbeamten die Schaukästen öffnen und
dem Forscher die Gegenstände zugänglich
machen. Kein bureaukratischer Formelkram
beschwert diese Freundlichkeit, die dem an
westeuropäische Sorgfalt Gewöhnten manch¬
mal beinahe etwas unvorsichtig erscheint. Aber
das erste Erfordernis wäre doch: genügende
Etikettierung in mindestens einer Kultur¬
sprache.

Gefühl für Dankbarkeit und Höflichkeit
läßt sich nnn leider nicht erzwingen. Wohl
aber bringt manchmal in dieser Hinsicht der
Eigennutz Erleuchtung. Daher sollte man
es den Neugriechen beibringen, daß es in
ihrem eigenen Interesse läge, dem Fremden
den wirklichen Genuß an den Hinterlassen¬
schaften Altgriechenlands nach Möglichkeit zu¬
gänglich zu machen. Bezüglich der materiellen
Reisebequemlichkeiten bleibt zwar auch noch
recht viel zu tun übrig, aber seit 1ö Jahren
ist doch sehr viel Anerkennenswertes geschehen.
Heute findet man schon in Nnuvlia, Korinth,
Olympia usw. sehr ordentliche Unterkunft,
und die Neisebureaus von Ghiolmcm, Rhätus
oder Cook ebnen durch geschickte Organisation
dem Reisenden überall die Wege. Die Griechen
müssen aber begreifen lernen, welche Unlust zum
Reisen den Fremden befällt, wenn er an den ge¬
waltigen Trümmerstätten von jeder Bildung
baren Burschen herumgewiesen wird und sich
in den Sammlungen vergeblich zu orientieren

[Ende Spaltensatz]
schen Forschertrieb die Stätte des Zeustempels
zu Dodona zu kostspieligen Grabungen von
der griechischen Regierung überlassen worden,
zu den üblichen Bedingungen, d. h. sämtliche
Funde verbleiben im Lande.
'') Ganz neuerdings ist u. a. dem deut¬
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

dem selbst in dem kulturarmen Süditalien
der einfache Kustode den Fremdling durch
das seiner Obhut anvertraute Heiligtum ge¬
leitet und sich herzlich abmüht, in den ver¬
schiedensten Sprachensplittern seine Erklärungen
zu geben.

Die Gerechtigkeit erfordert es jedoch, diesen
bedauerlichen Zuständen in Museen und Aus¬
grabungsorten gegenüber zuzugestehen, daß
wenigstens manche Museumsbauten recht gut
sind, was Licht und Raum anbetrifft, und
daß seit einigen Jahren die griechische archäo¬
logische Gesellschaft eine erfreuliche und frucht¬
bringende Rührigkeit entfaltet. Das Marmor-
Prunkgebäude in Athen ist der Nation von
einem opferfreudigen, im Ausland reich ge¬
wordenen Griechen hingestellt, und in ihm
finden wir wenigstens manche Gipfelwerke
hellenischer Kunst würdig aufgebaut, so daß
ein voller ästhetischer Genuß ermöglicht wird.
In Kandia sind auch weite, gut belichtete
Räume geschaffen worden. Der Bau selbst
jedoch ist so leicht und feuergefährlich, daß
man mit Schaudern daran denkt, wie leicht
hier ein Brand mit einem Schlag der
Menschheit für immer fast alle Kulturdoku¬
mente rauben könnte, die wir von der mi-
noischen Epoche besitzen und durch deren
Offenbarungen wir die Wurzeln der helleni¬
schen Kultur um mehr denn ein Jahrtausend
über Mykene zurückdatieren können.

Hier zeigt sich wieder in gefährlichster Form
das mißliche Monopolbestreben der Griechen in
archäologischen Dingen. Eifersüchtig bannen
sie die Funde um ihr Land, und von den
minoischen, erst in neuester Zeit erschlossenen
ist so gut wie nichts nach auswärts gelangt.
Engländer unter Evans und Italiener unter
Halbherr durften die Schlösser von Knossos
und Phästos ergraben; aber auch den kleinsten
ans Tageslicht gezogenen Gegenstand mußten
sie den Kretern überlassen. Der Wettbewerb
ausländischen archäologischen Tatendranges
bringt es zustande, daß sich die Kultur¬
nationen auf so scharfe Bedingungen
einlassen und sich trotz ungeheurer Auf¬
wendungen mit den teueren, oft Prächtigen
Veröffentlichungen und der Forschungs¬
arbeit begnügen"). Und während die kreti-

[Spaltenumbruch]

schen Zöllner das Reisegepäck der Touristen
beim Verlassen der Insel durchschnüffeln und
selbst dürftige Scherben nicht außer Landes
lassen, verkommen im Magazinschutt in Kandia
nutzlos wissenschaftlich bedeutsame Sachen, in
deren Besitz sich ausländische Sammlungen
glücklich schätzen würden. Denn nur für
Schaustücke haben die Einheimischen Sinn.
Das Ergebnis ist die Gefahr, daß ein einziger
Brand alle existierenden Belege jener uralten
Kultur auslöschen würde, da nirgendwo anders
irgendwie belangreiche Dinge sich vorfinden.

Lobend möge noch die Bereitwilligkeit
hervorgehoben werden, mit der die griechischen
Museumsbeamten die Schaukästen öffnen und
dem Forscher die Gegenstände zugänglich
machen. Kein bureaukratischer Formelkram
beschwert diese Freundlichkeit, die dem an
westeuropäische Sorgfalt Gewöhnten manch¬
mal beinahe etwas unvorsichtig erscheint. Aber
das erste Erfordernis wäre doch: genügende
Etikettierung in mindestens einer Kultur¬
sprache.

Gefühl für Dankbarkeit und Höflichkeit
läßt sich nnn leider nicht erzwingen. Wohl
aber bringt manchmal in dieser Hinsicht der
Eigennutz Erleuchtung. Daher sollte man
es den Neugriechen beibringen, daß es in
ihrem eigenen Interesse läge, dem Fremden
den wirklichen Genuß an den Hinterlassen¬
schaften Altgriechenlands nach Möglichkeit zu¬
gänglich zu machen. Bezüglich der materiellen
Reisebequemlichkeiten bleibt zwar auch noch
recht viel zu tun übrig, aber seit 1ö Jahren
ist doch sehr viel Anerkennenswertes geschehen.
Heute findet man schon in Nnuvlia, Korinth,
Olympia usw. sehr ordentliche Unterkunft,
und die Neisebureaus von Ghiolmcm, Rhätus
oder Cook ebnen durch geschickte Organisation
dem Reisenden überall die Wege. Die Griechen
müssen aber begreifen lernen, welche Unlust zum
Reisen den Fremden befällt, wenn er an den ge¬
waltigen Trümmerstätten von jeder Bildung
baren Burschen herumgewiesen wird und sich
in den Sammlungen vergeblich zu orientieren

[Ende Spaltensatz]
schen Forschertrieb die Stätte des Zeustempels
zu Dodona zu kostspieligen Grabungen von
der griechischen Regierung überlassen worden,
zu den üblichen Bedingungen, d. h. sämtliche
Funde verbleiben im Lande.
'') Ganz neuerdings ist u. a. dem deut¬
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328350"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_1112" prev="#ID_1111"> dem selbst in dem kulturarmen Süditalien<lb/>
der einfache Kustode den Fremdling durch<lb/>
das seiner Obhut anvertraute Heiligtum ge¬<lb/>
leitet und sich herzlich abmüht, in den ver¬<lb/>
schiedensten Sprachensplittern seine Erklärungen<lb/>
zu geben.</p>
            <p xml:id="ID_1113"> Die Gerechtigkeit erfordert es jedoch, diesen<lb/>
bedauerlichen Zuständen in Museen und Aus¬<lb/>
grabungsorten gegenüber zuzugestehen, daß<lb/>
wenigstens manche Museumsbauten recht gut<lb/>
sind, was Licht und Raum anbetrifft, und<lb/>
daß seit einigen Jahren die griechische archäo¬<lb/>
logische Gesellschaft eine erfreuliche und frucht¬<lb/>
bringende Rührigkeit entfaltet. Das Marmor-<lb/>
Prunkgebäude in Athen ist der Nation von<lb/>
einem opferfreudigen, im Ausland reich ge¬<lb/>
wordenen Griechen hingestellt, und in ihm<lb/>
finden wir wenigstens manche Gipfelwerke<lb/>
hellenischer Kunst würdig aufgebaut, so daß<lb/>
ein voller ästhetischer Genuß ermöglicht wird.<lb/>
In Kandia sind auch weite, gut belichtete<lb/>
Räume geschaffen worden. Der Bau selbst<lb/>
jedoch ist so leicht und feuergefährlich, daß<lb/>
man mit Schaudern daran denkt, wie leicht<lb/>
hier ein Brand mit einem Schlag der<lb/>
Menschheit für immer fast alle Kulturdoku¬<lb/>
mente rauben könnte, die wir von der mi-<lb/>
noischen Epoche besitzen und durch deren<lb/>
Offenbarungen wir die Wurzeln der helleni¬<lb/>
schen Kultur um mehr denn ein Jahrtausend<lb/>
über Mykene zurückdatieren können.</p>
            <p xml:id="ID_1114" next="#ID_1115"> Hier zeigt sich wieder in gefährlichster Form<lb/>
das mißliche Monopolbestreben der Griechen in<lb/>
archäologischen Dingen. Eifersüchtig bannen<lb/>
sie die Funde um ihr Land, und von den<lb/>
minoischen, erst in neuester Zeit erschlossenen<lb/>
ist so gut wie nichts nach auswärts gelangt.<lb/>
Engländer unter Evans und Italiener unter<lb/>
Halbherr durften die Schlösser von Knossos<lb/>
und Phästos ergraben; aber auch den kleinsten<lb/>
ans Tageslicht gezogenen Gegenstand mußten<lb/>
sie den Kretern überlassen. Der Wettbewerb<lb/>
ausländischen archäologischen Tatendranges<lb/>
bringt es zustande, daß sich die Kultur¬<lb/>
nationen auf so scharfe Bedingungen<lb/>
einlassen und sich trotz ungeheurer Auf¬<lb/>
wendungen mit den teueren, oft Prächtigen<lb/>
Veröffentlichungen und der Forschungs¬<lb/>
arbeit begnügen").  Und während die kreti-</p>
            <note xml:id="FID_25" place="foot" next="#FID_26"> '') Ganz neuerdings ist u. a. dem deut¬</note>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_1115" prev="#ID_1114"> schen Zöllner das Reisegepäck der Touristen<lb/>
beim Verlassen der Insel durchschnüffeln und<lb/>
selbst dürftige Scherben nicht außer Landes<lb/>
lassen, verkommen im Magazinschutt in Kandia<lb/>
nutzlos wissenschaftlich bedeutsame Sachen, in<lb/>
deren Besitz sich ausländische Sammlungen<lb/>
glücklich schätzen würden. Denn nur für<lb/>
Schaustücke haben die Einheimischen Sinn.<lb/>
Das Ergebnis ist die Gefahr, daß ein einziger<lb/>
Brand alle existierenden Belege jener uralten<lb/>
Kultur auslöschen würde, da nirgendwo anders<lb/>
irgendwie belangreiche Dinge sich vorfinden.</p>
            <p xml:id="ID_1116"> Lobend möge noch die Bereitwilligkeit<lb/>
hervorgehoben werden, mit der die griechischen<lb/>
Museumsbeamten die Schaukästen öffnen und<lb/>
dem Forscher die Gegenstände zugänglich<lb/>
machen. Kein bureaukratischer Formelkram<lb/>
beschwert diese Freundlichkeit, die dem an<lb/>
westeuropäische Sorgfalt Gewöhnten manch¬<lb/>
mal beinahe etwas unvorsichtig erscheint. Aber<lb/>
das erste Erfordernis wäre doch: genügende<lb/>
Etikettierung in mindestens einer Kultur¬<lb/>
sprache.</p>
            <p xml:id="ID_1117" next="#ID_1118"> Gefühl für Dankbarkeit und Höflichkeit<lb/>
läßt sich nnn leider nicht erzwingen. Wohl<lb/>
aber bringt manchmal in dieser Hinsicht der<lb/>
Eigennutz Erleuchtung. Daher sollte man<lb/>
es den Neugriechen beibringen, daß es in<lb/>
ihrem eigenen Interesse läge, dem Fremden<lb/>
den wirklichen Genuß an den Hinterlassen¬<lb/>
schaften Altgriechenlands nach Möglichkeit zu¬<lb/>
gänglich zu machen. Bezüglich der materiellen<lb/>
Reisebequemlichkeiten bleibt zwar auch noch<lb/>
recht viel zu tun übrig, aber seit 1ö Jahren<lb/>
ist doch sehr viel Anerkennenswertes geschehen.<lb/>
Heute findet man schon in Nnuvlia, Korinth,<lb/>
Olympia usw. sehr ordentliche Unterkunft,<lb/>
und die Neisebureaus von Ghiolmcm, Rhätus<lb/>
oder Cook ebnen durch geschickte Organisation<lb/>
dem Reisenden überall die Wege. Die Griechen<lb/>
müssen aber begreifen lernen, welche Unlust zum<lb/>
Reisen den Fremden befällt, wenn er an den ge¬<lb/>
waltigen Trümmerstätten von jeder Bildung<lb/>
baren Burschen herumgewiesen wird und sich<lb/>
in den Sammlungen vergeblich zu orientieren</p>
            <note xml:id="FID_26" prev="#FID_25" place="foot"> schen Forschertrieb die Stätte des Zeustempels<lb/>
zu Dodona zu kostspieligen Grabungen von<lb/>
der griechischen Regierung überlassen worden,<lb/>
zu den üblichen Bedingungen, d. h. sämtliche<lb/>
Funde verbleiben im Lande.</note>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] Maßgebliches und Unmaßgebliches dem selbst in dem kulturarmen Süditalien der einfache Kustode den Fremdling durch das seiner Obhut anvertraute Heiligtum ge¬ leitet und sich herzlich abmüht, in den ver¬ schiedensten Sprachensplittern seine Erklärungen zu geben. Die Gerechtigkeit erfordert es jedoch, diesen bedauerlichen Zuständen in Museen und Aus¬ grabungsorten gegenüber zuzugestehen, daß wenigstens manche Museumsbauten recht gut sind, was Licht und Raum anbetrifft, und daß seit einigen Jahren die griechische archäo¬ logische Gesellschaft eine erfreuliche und frucht¬ bringende Rührigkeit entfaltet. Das Marmor- Prunkgebäude in Athen ist der Nation von einem opferfreudigen, im Ausland reich ge¬ wordenen Griechen hingestellt, und in ihm finden wir wenigstens manche Gipfelwerke hellenischer Kunst würdig aufgebaut, so daß ein voller ästhetischer Genuß ermöglicht wird. In Kandia sind auch weite, gut belichtete Räume geschaffen worden. Der Bau selbst jedoch ist so leicht und feuergefährlich, daß man mit Schaudern daran denkt, wie leicht hier ein Brand mit einem Schlag der Menschheit für immer fast alle Kulturdoku¬ mente rauben könnte, die wir von der mi- noischen Epoche besitzen und durch deren Offenbarungen wir die Wurzeln der helleni¬ schen Kultur um mehr denn ein Jahrtausend über Mykene zurückdatieren können. Hier zeigt sich wieder in gefährlichster Form das mißliche Monopolbestreben der Griechen in archäologischen Dingen. Eifersüchtig bannen sie die Funde um ihr Land, und von den minoischen, erst in neuester Zeit erschlossenen ist so gut wie nichts nach auswärts gelangt. Engländer unter Evans und Italiener unter Halbherr durften die Schlösser von Knossos und Phästos ergraben; aber auch den kleinsten ans Tageslicht gezogenen Gegenstand mußten sie den Kretern überlassen. Der Wettbewerb ausländischen archäologischen Tatendranges bringt es zustande, daß sich die Kultur¬ nationen auf so scharfe Bedingungen einlassen und sich trotz ungeheurer Auf¬ wendungen mit den teueren, oft Prächtigen Veröffentlichungen und der Forschungs¬ arbeit begnügen"). Und während die kreti- schen Zöllner das Reisegepäck der Touristen beim Verlassen der Insel durchschnüffeln und selbst dürftige Scherben nicht außer Landes lassen, verkommen im Magazinschutt in Kandia nutzlos wissenschaftlich bedeutsame Sachen, in deren Besitz sich ausländische Sammlungen glücklich schätzen würden. Denn nur für Schaustücke haben die Einheimischen Sinn. Das Ergebnis ist die Gefahr, daß ein einziger Brand alle existierenden Belege jener uralten Kultur auslöschen würde, da nirgendwo anders irgendwie belangreiche Dinge sich vorfinden. Lobend möge noch die Bereitwilligkeit hervorgehoben werden, mit der die griechischen Museumsbeamten die Schaukästen öffnen und dem Forscher die Gegenstände zugänglich machen. Kein bureaukratischer Formelkram beschwert diese Freundlichkeit, die dem an westeuropäische Sorgfalt Gewöhnten manch¬ mal beinahe etwas unvorsichtig erscheint. Aber das erste Erfordernis wäre doch: genügende Etikettierung in mindestens einer Kultur¬ sprache. Gefühl für Dankbarkeit und Höflichkeit läßt sich nnn leider nicht erzwingen. Wohl aber bringt manchmal in dieser Hinsicht der Eigennutz Erleuchtung. Daher sollte man es den Neugriechen beibringen, daß es in ihrem eigenen Interesse läge, dem Fremden den wirklichen Genuß an den Hinterlassen¬ schaften Altgriechenlands nach Möglichkeit zu¬ gänglich zu machen. Bezüglich der materiellen Reisebequemlichkeiten bleibt zwar auch noch recht viel zu tun übrig, aber seit 1ö Jahren ist doch sehr viel Anerkennenswertes geschehen. Heute findet man schon in Nnuvlia, Korinth, Olympia usw. sehr ordentliche Unterkunft, und die Neisebureaus von Ghiolmcm, Rhätus oder Cook ebnen durch geschickte Organisation dem Reisenden überall die Wege. Die Griechen müssen aber begreifen lernen, welche Unlust zum Reisen den Fremden befällt, wenn er an den ge¬ waltigen Trümmerstätten von jeder Bildung baren Burschen herumgewiesen wird und sich in den Sammlungen vergeblich zu orientieren '') Ganz neuerdings ist u. a. dem deut¬ schen Forschertrieb die Stätte des Zeustempels zu Dodona zu kostspieligen Grabungen von der griechischen Regierung überlassen worden, zu den üblichen Bedingungen, d. h. sämtliche Funde verbleiben im Lande.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/250>, abgerufen am 04.07.2024.