Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Hexe von Mayen

Frau Heilwig stieß einen Laut des Zornes aus und Kätha hob die Schultern.

"Ja, edle Frau, da hat mancher geschrien, bis ihn der Tod ereilte. Ich
war schon wieder drei Jahr bei meinem Junker, weil er sich doch nit allein
recht helfen kann. Seitdem er zwei Kugeln kriegte, ist er manchmal sehr
müde und auch vergeßlich. Ich aber habe ihn noch vor denFranzen weg aus
der Stadt und nach Niedermendig gekriegt, wo er zehn Tage mit den Bremers
und vielen anderen wartete, bis das Schlimmste vorüber war. Dann aber habe
ich ihn nit mehr halten können und er ist wieder hierher gekommen. Die
Franzen waren noch hier, aber sie sind dann bald weggezogen. Waren ja
töricht gewesen, daß sie die Stadt verbrannten und nun selbst kein Unterkommen
hatten. Zu plündern gab es auch nichts mehr und die meisten Leute waren
totgeschlagen. Das war dann langweilig für die Räuber!"

"Und nun?" Frau Heilwig fragte es, als Kätha schwieg.

"Ich weiß nit, edle Frau! Mein Junker schreibt seine Geschichte und dann
sorgt er für die Armseligen. Er geht umher und bettelt. Einmal ist er in
Koblenz und auch beim Kurfürsten gewesen und sie geben ihm was! Als das
die edle Frau Kolbin gehört hat, ist sie mit ihren zwei Jüngsten angekommen
und will nun auch verpflegt werden, aber Herr Sebastian sagt, auch sie soll
arbeiten und ihre Junker gleichfalls. Wie es werden wird, kann ich nit sagen;
wenn sie bleibt, so geh ich. Könnt Ihr mich nit gebrauchen, edle Frau?"

Frau Heilwig schüttelte den Kopf.

"Du mußt bei dem Junker bleiben, Kätha! Der Norden und die Ketzer
sind nichts für Dich!"

"Schon recht!" Kätha seufzte. "Ich versteh es ja nit mehr so recht mit
der Ketzerei, wo die Katholischen uns überfallen und wie das Vieh behandelt
haben, und die Ketzer uns helfen und beistehen. Aber alles im Leben kann
man nit verstehen; der Herr Sebastian sagt es immer. Und dorthin, wo man
die heilige Jungfrau und die lieben Heiligen nit anruft, möcht ich doch nit
gehen. Sie geben uns Ruhe für die Seele und die haben wir nötig!"

Heilwig zog ihr Geldtäschchen hervor und schüttete seinen Inhalt Kätha
in den Schoß.

"Das ist für deinen Herrn, aber er darf es nicht wissen!"

NotvorFreude griff die Kätha nach dem Gelde und verbarg es an ihremKörper.

"Der fragt nit." sagte sie hastig. "Der sagt sich, der Allmächtige wird
sorgen und der heilige Sebastian!"

Sie beugte sich zu Heilwig hinunter.

"Die Leut sagen, er ist nit ganz richtig im Kopf. Von der Zeit, da er so arg ver¬
wundet war und so lange siech lag. Mag sein, daß damals in ihm was entzwei¬
gegangen ist -- wer kann es wissen? Ich mein, er ist immer was besonderes gewesen!"

Sie griff nach Heilwigs Hand und küßte sie.

"Ich werd für Euch beten, ob Ihr auch einen anderen Glauben habt,
und ich mein, der liebe Herrgott kann Euch nit gar so bös gewesen sein. Jung


Die Hexe von Mayen

Frau Heilwig stieß einen Laut des Zornes aus und Kätha hob die Schultern.

„Ja, edle Frau, da hat mancher geschrien, bis ihn der Tod ereilte. Ich
war schon wieder drei Jahr bei meinem Junker, weil er sich doch nit allein
recht helfen kann. Seitdem er zwei Kugeln kriegte, ist er manchmal sehr
müde und auch vergeßlich. Ich aber habe ihn noch vor denFranzen weg aus
der Stadt und nach Niedermendig gekriegt, wo er zehn Tage mit den Bremers
und vielen anderen wartete, bis das Schlimmste vorüber war. Dann aber habe
ich ihn nit mehr halten können und er ist wieder hierher gekommen. Die
Franzen waren noch hier, aber sie sind dann bald weggezogen. Waren ja
töricht gewesen, daß sie die Stadt verbrannten und nun selbst kein Unterkommen
hatten. Zu plündern gab es auch nichts mehr und die meisten Leute waren
totgeschlagen. Das war dann langweilig für die Räuber!"

„Und nun?" Frau Heilwig fragte es, als Kätha schwieg.

„Ich weiß nit, edle Frau! Mein Junker schreibt seine Geschichte und dann
sorgt er für die Armseligen. Er geht umher und bettelt. Einmal ist er in
Koblenz und auch beim Kurfürsten gewesen und sie geben ihm was! Als das
die edle Frau Kolbin gehört hat, ist sie mit ihren zwei Jüngsten angekommen
und will nun auch verpflegt werden, aber Herr Sebastian sagt, auch sie soll
arbeiten und ihre Junker gleichfalls. Wie es werden wird, kann ich nit sagen;
wenn sie bleibt, so geh ich. Könnt Ihr mich nit gebrauchen, edle Frau?"

Frau Heilwig schüttelte den Kopf.

„Du mußt bei dem Junker bleiben, Kätha! Der Norden und die Ketzer
sind nichts für Dich!"

„Schon recht!" Kätha seufzte. „Ich versteh es ja nit mehr so recht mit
der Ketzerei, wo die Katholischen uns überfallen und wie das Vieh behandelt
haben, und die Ketzer uns helfen und beistehen. Aber alles im Leben kann
man nit verstehen; der Herr Sebastian sagt es immer. Und dorthin, wo man
die heilige Jungfrau und die lieben Heiligen nit anruft, möcht ich doch nit
gehen. Sie geben uns Ruhe für die Seele und die haben wir nötig!"

Heilwig zog ihr Geldtäschchen hervor und schüttete seinen Inhalt Kätha
in den Schoß.

„Das ist für deinen Herrn, aber er darf es nicht wissen!"

NotvorFreude griff die Kätha nach dem Gelde und verbarg es an ihremKörper.

„Der fragt nit." sagte sie hastig. „Der sagt sich, der Allmächtige wird
sorgen und der heilige Sebastian!"

Sie beugte sich zu Heilwig hinunter.

„Die Leut sagen, er ist nit ganz richtig im Kopf. Von der Zeit, da er so arg ver¬
wundet war und so lange siech lag. Mag sein, daß damals in ihm was entzwei¬
gegangen ist — wer kann es wissen? Ich mein, er ist immer was besonderes gewesen!"

Sie griff nach Heilwigs Hand und küßte sie.

„Ich werd für Euch beten, ob Ihr auch einen anderen Glauben habt,
und ich mein, der liebe Herrgott kann Euch nit gar so bös gewesen sein. Jung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328344"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Hexe von Mayen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1059"> Frau Heilwig stieß einen Laut des Zornes aus und Kätha hob die Schultern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1060"> &#x201E;Ja, edle Frau, da hat mancher geschrien, bis ihn der Tod ereilte. Ich<lb/>
war schon wieder drei Jahr bei meinem Junker, weil er sich doch nit allein<lb/>
recht helfen kann. Seitdem er zwei Kugeln kriegte, ist er manchmal sehr<lb/>
müde und auch vergeßlich. Ich aber habe ihn noch vor denFranzen weg aus<lb/>
der Stadt und nach Niedermendig gekriegt, wo er zehn Tage mit den Bremers<lb/>
und vielen anderen wartete, bis das Schlimmste vorüber war. Dann aber habe<lb/>
ich ihn nit mehr halten können und er ist wieder hierher gekommen. Die<lb/>
Franzen waren noch hier, aber sie sind dann bald weggezogen. Waren ja<lb/>
töricht gewesen, daß sie die Stadt verbrannten und nun selbst kein Unterkommen<lb/>
hatten. Zu plündern gab es auch nichts mehr und die meisten Leute waren<lb/>
totgeschlagen.  Das war dann langweilig für die Räuber!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1061"> &#x201E;Und nun?"  Frau Heilwig fragte es, als Kätha schwieg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1062"> &#x201E;Ich weiß nit, edle Frau! Mein Junker schreibt seine Geschichte und dann<lb/>
sorgt er für die Armseligen. Er geht umher und bettelt. Einmal ist er in<lb/>
Koblenz und auch beim Kurfürsten gewesen und sie geben ihm was! Als das<lb/>
die edle Frau Kolbin gehört hat, ist sie mit ihren zwei Jüngsten angekommen<lb/>
und will nun auch verpflegt werden, aber Herr Sebastian sagt, auch sie soll<lb/>
arbeiten und ihre Junker gleichfalls. Wie es werden wird, kann ich nit sagen;<lb/>
wenn sie bleibt, so geh ich.  Könnt Ihr mich nit gebrauchen, edle Frau?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063"> Frau Heilwig schüttelte den Kopf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1064"> &#x201E;Du mußt bei dem Junker bleiben, Kätha! Der Norden und die Ketzer<lb/>
sind nichts für Dich!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1065"> &#x201E;Schon recht!" Kätha seufzte. &#x201E;Ich versteh es ja nit mehr so recht mit<lb/>
der Ketzerei, wo die Katholischen uns überfallen und wie das Vieh behandelt<lb/>
haben, und die Ketzer uns helfen und beistehen. Aber alles im Leben kann<lb/>
man nit verstehen; der Herr Sebastian sagt es immer. Und dorthin, wo man<lb/>
die heilige Jungfrau und die lieben Heiligen nit anruft, möcht ich doch nit<lb/>
gehen.  Sie geben uns Ruhe für die Seele und die haben wir nötig!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1066"> Heilwig zog ihr Geldtäschchen hervor und schüttete seinen Inhalt Kätha<lb/>
in den Schoß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1067"> &#x201E;Das ist für deinen Herrn, aber er darf es nicht wissen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1068"> NotvorFreude griff die Kätha nach dem Gelde und verbarg es an ihremKörper.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1069"> &#x201E;Der fragt nit." sagte sie hastig.  &#x201E;Der sagt sich, der Allmächtige wird<lb/>
sorgen und der heilige Sebastian!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1070"> Sie beugte sich zu Heilwig hinunter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1071"> &#x201E;Die Leut sagen, er ist nit ganz richtig im Kopf. Von der Zeit, da er so arg ver¬<lb/>
wundet war und so lange siech lag. Mag sein, daß damals in ihm was entzwei¬<lb/>
gegangen ist &#x2014; wer kann es wissen? Ich mein, er ist immer was besonderes gewesen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1072"> Sie griff nach Heilwigs Hand und küßte sie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1073" next="#ID_1074"> &#x201E;Ich werd für Euch beten, ob Ihr auch einen anderen Glauben habt,<lb/>
und ich mein, der liebe Herrgott kann Euch nit gar so bös gewesen sein. Jung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0244] Die Hexe von Mayen Frau Heilwig stieß einen Laut des Zornes aus und Kätha hob die Schultern. „Ja, edle Frau, da hat mancher geschrien, bis ihn der Tod ereilte. Ich war schon wieder drei Jahr bei meinem Junker, weil er sich doch nit allein recht helfen kann. Seitdem er zwei Kugeln kriegte, ist er manchmal sehr müde und auch vergeßlich. Ich aber habe ihn noch vor denFranzen weg aus der Stadt und nach Niedermendig gekriegt, wo er zehn Tage mit den Bremers und vielen anderen wartete, bis das Schlimmste vorüber war. Dann aber habe ich ihn nit mehr halten können und er ist wieder hierher gekommen. Die Franzen waren noch hier, aber sie sind dann bald weggezogen. Waren ja töricht gewesen, daß sie die Stadt verbrannten und nun selbst kein Unterkommen hatten. Zu plündern gab es auch nichts mehr und die meisten Leute waren totgeschlagen. Das war dann langweilig für die Räuber!" „Und nun?" Frau Heilwig fragte es, als Kätha schwieg. „Ich weiß nit, edle Frau! Mein Junker schreibt seine Geschichte und dann sorgt er für die Armseligen. Er geht umher und bettelt. Einmal ist er in Koblenz und auch beim Kurfürsten gewesen und sie geben ihm was! Als das die edle Frau Kolbin gehört hat, ist sie mit ihren zwei Jüngsten angekommen und will nun auch verpflegt werden, aber Herr Sebastian sagt, auch sie soll arbeiten und ihre Junker gleichfalls. Wie es werden wird, kann ich nit sagen; wenn sie bleibt, so geh ich. Könnt Ihr mich nit gebrauchen, edle Frau?" Frau Heilwig schüttelte den Kopf. „Du mußt bei dem Junker bleiben, Kätha! Der Norden und die Ketzer sind nichts für Dich!" „Schon recht!" Kätha seufzte. „Ich versteh es ja nit mehr so recht mit der Ketzerei, wo die Katholischen uns überfallen und wie das Vieh behandelt haben, und die Ketzer uns helfen und beistehen. Aber alles im Leben kann man nit verstehen; der Herr Sebastian sagt es immer. Und dorthin, wo man die heilige Jungfrau und die lieben Heiligen nit anruft, möcht ich doch nit gehen. Sie geben uns Ruhe für die Seele und die haben wir nötig!" Heilwig zog ihr Geldtäschchen hervor und schüttete seinen Inhalt Kätha in den Schoß. „Das ist für deinen Herrn, aber er darf es nicht wissen!" NotvorFreude griff die Kätha nach dem Gelde und verbarg es an ihremKörper. „Der fragt nit." sagte sie hastig. „Der sagt sich, der Allmächtige wird sorgen und der heilige Sebastian!" Sie beugte sich zu Heilwig hinunter. „Die Leut sagen, er ist nit ganz richtig im Kopf. Von der Zeit, da er so arg ver¬ wundet war und so lange siech lag. Mag sein, daß damals in ihm was entzwei¬ gegangen ist — wer kann es wissen? Ich mein, er ist immer was besonderes gewesen!" Sie griff nach Heilwigs Hand und küßte sie. „Ich werd für Euch beten, ob Ihr auch einen anderen Glauben habt, und ich mein, der liebe Herrgott kann Euch nit gar so bös gewesen sein. Jung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/244
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/244>, abgerufen am 04.07.2024.