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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die llloxikofrage

die Vereinigten Staaten kehren. Abgesehen davon aber: wir sind überhaupt
über die Stärke und Möglichkeit eines nationalen Volkswiderstandes, der gegen
amerikanisches Eindringen vielleicht organisiert werden könnte, gar nicht unter¬
richtet, wir haben keinerlei Maßstab auch nur für eine Schätzung. Einige behaupten,
die Amerikaner würden überall in Mexiko hartnäckigen Widerstand finden, auch
die Räuberbanden würden sich als ihre Feinde erweisen, jedes Dorf würde sich
bis zur Vernichtung verteidigen und seine Einwohnerschaft dann einen schweifenden
Guerillakrieg gegen die Amerikaner führen. Die anderen, und zwar meistens
Amerikaner behaupten: die Bevölkerung sei im ganzen erschöpft, verarmt und
ausgesogen durch die Jahre der Revolution und Anarchie, die Vereinigten Staaten
würden bei entschlossenem Vorgehen keinen Widerstand finden und dement¬
sprechend auch andere Mächte sich hüten, sie zu stören oder überhaupt sie so zu
behandeln, als ob sie sich in Verlegenheit befänden.

Wir haben, um Wiederholungen nach Möglichkeit zu vermeiden, einen für
die mexikanische, ja für die ganze mittelamerikanische Frage höchst bedeutenden
Faktor nur andeutungsweise^ berührt. Sie wird durch das Wort Petroleum
kurz und sehr erschöpfend bezeichnet. Vielleicht geht man zu weit, die mexikanischen
Wünsche und Nöte der Vereinigten Staaten nur als einen "Kampf um die
Ölkanne" zu bezeichnen. Die Bedeutung dieses Kampfes um die Öl¬
kanne ist aber eine ungeheure. Es ist einwandfrei von Sachkundigen fest¬
gestellt worden, daß Mexiko als Ölerzeugungsland schon nach ganz kurzer Zeit
an die erste Stelle unter allen ölerzeugenden Gebieten rücken wird, sobald die
inneren Zustände eine entsprechende Ausnutzung ermöglichen. Ähnliche, vielleicht
nicht ganz so weitgehende Möglichkeiten zeigen sich im eigentlichen Mittel-
amerika. Die Bedeutung des Öls und damit der Ölgebiete ist seit einer Reihe
von Jahren in schnellem Wachsen begriffen, nachdem der Ölmotor auf Schiffen
eine steigende Entwicklung genommen hat. Die erste See- und Handelsmacht
der Welt, Großbritannien, hat seit Jahr und Tag offiziell und inoffiziell weit¬
sichtige Anstrengungen zu machen begonnen, um sich Ölgebiete in möglichst vielen
Teilen der Welt zu sichern. Über die großen Ölkonzessionen der britischen
Firma Pearson in Mexiko ist schon gesprochen worden. In den kleinen mittel¬
amerikanischen Republiken scheint Großbritannien sich ebenfalls erfolgreich zu
bemühen. Man sieht, die Ölfrage ist nicht nur eine solche des wirtschaftlichen
und kaufmännischen Wettbewerbs, eine des erreichten oder entgangenen
Gewinnes -- sie kann zu einer solchen politischer und militärischer Natur erster
Ordnung werden. Das Öl der Ölquellen, auch wenn sie irgendwo mitten
im Lande liegen, kann man Hunderte von Kilometern weit durch Rohrleitungen
bis an einen Hafenort führen und dort direkt verwenden oder verladen. Darin
liegt, was z. B. Mexiko betrifft, eine Aussicht gefährlicher Konkurrenz für die
Vereinigten Staaten. Auch sie erzeugen Öl. Nach Eröffnung des Panama-
kcmales würden Mexiko und die ^produzierenden mittelamerikanischen Re¬
publiken ihr Öl direkt an Häfen Heranletten können, die dem Pcmamakanale


Die llloxikofrage

die Vereinigten Staaten kehren. Abgesehen davon aber: wir sind überhaupt
über die Stärke und Möglichkeit eines nationalen Volkswiderstandes, der gegen
amerikanisches Eindringen vielleicht organisiert werden könnte, gar nicht unter¬
richtet, wir haben keinerlei Maßstab auch nur für eine Schätzung. Einige behaupten,
die Amerikaner würden überall in Mexiko hartnäckigen Widerstand finden, auch
die Räuberbanden würden sich als ihre Feinde erweisen, jedes Dorf würde sich
bis zur Vernichtung verteidigen und seine Einwohnerschaft dann einen schweifenden
Guerillakrieg gegen die Amerikaner führen. Die anderen, und zwar meistens
Amerikaner behaupten: die Bevölkerung sei im ganzen erschöpft, verarmt und
ausgesogen durch die Jahre der Revolution und Anarchie, die Vereinigten Staaten
würden bei entschlossenem Vorgehen keinen Widerstand finden und dement¬
sprechend auch andere Mächte sich hüten, sie zu stören oder überhaupt sie so zu
behandeln, als ob sie sich in Verlegenheit befänden.

Wir haben, um Wiederholungen nach Möglichkeit zu vermeiden, einen für
die mexikanische, ja für die ganze mittelamerikanische Frage höchst bedeutenden
Faktor nur andeutungsweise^ berührt. Sie wird durch das Wort Petroleum
kurz und sehr erschöpfend bezeichnet. Vielleicht geht man zu weit, die mexikanischen
Wünsche und Nöte der Vereinigten Staaten nur als einen „Kampf um die
Ölkanne" zu bezeichnen. Die Bedeutung dieses Kampfes um die Öl¬
kanne ist aber eine ungeheure. Es ist einwandfrei von Sachkundigen fest¬
gestellt worden, daß Mexiko als Ölerzeugungsland schon nach ganz kurzer Zeit
an die erste Stelle unter allen ölerzeugenden Gebieten rücken wird, sobald die
inneren Zustände eine entsprechende Ausnutzung ermöglichen. Ähnliche, vielleicht
nicht ganz so weitgehende Möglichkeiten zeigen sich im eigentlichen Mittel-
amerika. Die Bedeutung des Öls und damit der Ölgebiete ist seit einer Reihe
von Jahren in schnellem Wachsen begriffen, nachdem der Ölmotor auf Schiffen
eine steigende Entwicklung genommen hat. Die erste See- und Handelsmacht
der Welt, Großbritannien, hat seit Jahr und Tag offiziell und inoffiziell weit¬
sichtige Anstrengungen zu machen begonnen, um sich Ölgebiete in möglichst vielen
Teilen der Welt zu sichern. Über die großen Ölkonzessionen der britischen
Firma Pearson in Mexiko ist schon gesprochen worden. In den kleinen mittel¬
amerikanischen Republiken scheint Großbritannien sich ebenfalls erfolgreich zu
bemühen. Man sieht, die Ölfrage ist nicht nur eine solche des wirtschaftlichen
und kaufmännischen Wettbewerbs, eine des erreichten oder entgangenen
Gewinnes — sie kann zu einer solchen politischer und militärischer Natur erster
Ordnung werden. Das Öl der Ölquellen, auch wenn sie irgendwo mitten
im Lande liegen, kann man Hunderte von Kilometern weit durch Rohrleitungen
bis an einen Hafenort führen und dort direkt verwenden oder verladen. Darin
liegt, was z. B. Mexiko betrifft, eine Aussicht gefährlicher Konkurrenz für die
Vereinigten Staaten. Auch sie erzeugen Öl. Nach Eröffnung des Panama-
kcmales würden Mexiko und die ^produzierenden mittelamerikanischen Re¬
publiken ihr Öl direkt an Häfen Heranletten können, die dem Pcmamakanale


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[0235] Die llloxikofrage die Vereinigten Staaten kehren. Abgesehen davon aber: wir sind überhaupt über die Stärke und Möglichkeit eines nationalen Volkswiderstandes, der gegen amerikanisches Eindringen vielleicht organisiert werden könnte, gar nicht unter¬ richtet, wir haben keinerlei Maßstab auch nur für eine Schätzung. Einige behaupten, die Amerikaner würden überall in Mexiko hartnäckigen Widerstand finden, auch die Räuberbanden würden sich als ihre Feinde erweisen, jedes Dorf würde sich bis zur Vernichtung verteidigen und seine Einwohnerschaft dann einen schweifenden Guerillakrieg gegen die Amerikaner führen. Die anderen, und zwar meistens Amerikaner behaupten: die Bevölkerung sei im ganzen erschöpft, verarmt und ausgesogen durch die Jahre der Revolution und Anarchie, die Vereinigten Staaten würden bei entschlossenem Vorgehen keinen Widerstand finden und dement¬ sprechend auch andere Mächte sich hüten, sie zu stören oder überhaupt sie so zu behandeln, als ob sie sich in Verlegenheit befänden. Wir haben, um Wiederholungen nach Möglichkeit zu vermeiden, einen für die mexikanische, ja für die ganze mittelamerikanische Frage höchst bedeutenden Faktor nur andeutungsweise^ berührt. Sie wird durch das Wort Petroleum kurz und sehr erschöpfend bezeichnet. Vielleicht geht man zu weit, die mexikanischen Wünsche und Nöte der Vereinigten Staaten nur als einen „Kampf um die Ölkanne" zu bezeichnen. Die Bedeutung dieses Kampfes um die Öl¬ kanne ist aber eine ungeheure. Es ist einwandfrei von Sachkundigen fest¬ gestellt worden, daß Mexiko als Ölerzeugungsland schon nach ganz kurzer Zeit an die erste Stelle unter allen ölerzeugenden Gebieten rücken wird, sobald die inneren Zustände eine entsprechende Ausnutzung ermöglichen. Ähnliche, vielleicht nicht ganz so weitgehende Möglichkeiten zeigen sich im eigentlichen Mittel- amerika. Die Bedeutung des Öls und damit der Ölgebiete ist seit einer Reihe von Jahren in schnellem Wachsen begriffen, nachdem der Ölmotor auf Schiffen eine steigende Entwicklung genommen hat. Die erste See- und Handelsmacht der Welt, Großbritannien, hat seit Jahr und Tag offiziell und inoffiziell weit¬ sichtige Anstrengungen zu machen begonnen, um sich Ölgebiete in möglichst vielen Teilen der Welt zu sichern. Über die großen Ölkonzessionen der britischen Firma Pearson in Mexiko ist schon gesprochen worden. In den kleinen mittel¬ amerikanischen Republiken scheint Großbritannien sich ebenfalls erfolgreich zu bemühen. Man sieht, die Ölfrage ist nicht nur eine solche des wirtschaftlichen und kaufmännischen Wettbewerbs, eine des erreichten oder entgangenen Gewinnes — sie kann zu einer solchen politischer und militärischer Natur erster Ordnung werden. Das Öl der Ölquellen, auch wenn sie irgendwo mitten im Lande liegen, kann man Hunderte von Kilometern weit durch Rohrleitungen bis an einen Hafenort führen und dort direkt verwenden oder verladen. Darin liegt, was z. B. Mexiko betrifft, eine Aussicht gefährlicher Konkurrenz für die Vereinigten Staaten. Auch sie erzeugen Öl. Nach Eröffnung des Panama- kcmales würden Mexiko und die ^produzierenden mittelamerikanischen Re¬ publiken ihr Öl direkt an Häfen Heranletten können, die dem Pcmamakanale

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/235>, abgerufen am 25.07.2024.