Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Mcxikofrage

sich entwickeln werden, welche Partei die Oberhand gewinnen, welche Rolle
die Vereinigten Staaten spielen werden.

Kehren wir zur Frage zurück, welches die Endabsichten der Vereinigten
Staaten und insbesondere Wilsons in und mit Mexiko sein können. Was die
Persönlichkeit Wilsons anlangt, so ist darauf eine Antwort schwer zu geben.
Er ist trotz seiner unzweifelhaften geistigen Bedeutung kein Staatsmann und
am allerwenigsten ein praktischer Ratgeber in auswärtigen Dingen. Was seinen
Staatssekretär des Auswärtigen. Mr. Bryan, betrifft, so ist bei ihm von solchen
Eigenschaften noch weniger die Rede, zumal die geistige Bedeutung Bruans an
die Wilsons nicht heranreicht. Daß Wilsons moralische und konstitutionelle
Bedenken gegen Huerta Heuchelei und Vorwand seien, ist vielfach geglaubt
worden. Wir möchten uns dieser Auffassung nicht anschließen, sondern Wilsons
Bedenken für subjektiv echt ansehen. Dadurch werden sie an sich nicht stich¬
haltiger, sind aber für die Beurteilung des Wilsonschen Standpunktes von Wert.

Vielleicht wird später einmal ein Zeitpunkt kommen, wo man über alle
wirklichen An- und Absichten Wilsons und seiner Berater einwandfrei urteilen
kann. Heute muß man sich mit Vermutungen begnügen, vor allem aber mit
den Folgen und den voraussichtlichen Ergebnissen dieser Politik. So weltfremd
Wilson und Bruan auf dem Gebiete der internationalen Politik sind, so werden
sie doch nicht umhin können, wenigstens den Wunsch nach einem beruhigten
Mexiko zu hegen, wohlverstanden einem solchen, das sich unter ihrer Vor¬
mundschaft befindet. Das alte Spiel der Vereinigten Staaten, in Mexiko Re¬
volutionen zu organisieren, um ihnen unbequeme Machthaber zu drücken oder
sie in die Luft zu sprengen, kann auf die Dauer ihre Politik nicht befriedigen.
Das natürliche Ziel der Politik der Vereinigten Staaten, absolute Be¬
herrschung des Gebietes zwischen ihren südlichen Landgrenzen und dem Panama¬
kanal, kann hinsichtlich Mexikos, wie wir gesehen haben, auf zwei Wegen erreicht
werden: Eroberung des Landes oder Einsetzung eines tatsächlich von Washington
abhängigen Präsidenten. Was die letzte angeht, dürfte freilich immer wieder die
Schwierigkeit auftauchen und sich wahrscheinlich als unüberwindlich zeigen, daß
ein solcher Präsident über kurz oder lang heftigen Widerstand im eigenen Lande
bei Männern finden wird, die mit der nationalen Devise eine Fronde gegen
ihn organisieren. Er würde auch, wenn er sich von den erwähnten Fehlern
Maderos freihielte, als Verräter der mexikanischen Unabhängigkeit einen Teil
der Bevölkerung gegen sich haben. Man sieht also: ein mexikanischer Präsident
erweckt sich, wenn er von den Vereinigten Staaten abhängt, automatisch im
eigenen Lande die Revolution, die ihm von den Vereinigten Staaten im selben
Augenblicke angezettelt wird, wo er von ihnen unabhängig ist oder zu werden
versucht.

Der erstgenannte Weg, Eroberung des Landes Mexiko, würde, aka¬
demisch betrachtet, natürlich am gründlichsten und sichersten zum Ziele führen.
Dabei wäre die Frage ohne besondere Bedeutung, ob man dem eroberten


Die Mcxikofrage

sich entwickeln werden, welche Partei die Oberhand gewinnen, welche Rolle
die Vereinigten Staaten spielen werden.

Kehren wir zur Frage zurück, welches die Endabsichten der Vereinigten
Staaten und insbesondere Wilsons in und mit Mexiko sein können. Was die
Persönlichkeit Wilsons anlangt, so ist darauf eine Antwort schwer zu geben.
Er ist trotz seiner unzweifelhaften geistigen Bedeutung kein Staatsmann und
am allerwenigsten ein praktischer Ratgeber in auswärtigen Dingen. Was seinen
Staatssekretär des Auswärtigen. Mr. Bryan, betrifft, so ist bei ihm von solchen
Eigenschaften noch weniger die Rede, zumal die geistige Bedeutung Bruans an
die Wilsons nicht heranreicht. Daß Wilsons moralische und konstitutionelle
Bedenken gegen Huerta Heuchelei und Vorwand seien, ist vielfach geglaubt
worden. Wir möchten uns dieser Auffassung nicht anschließen, sondern Wilsons
Bedenken für subjektiv echt ansehen. Dadurch werden sie an sich nicht stich¬
haltiger, sind aber für die Beurteilung des Wilsonschen Standpunktes von Wert.

Vielleicht wird später einmal ein Zeitpunkt kommen, wo man über alle
wirklichen An- und Absichten Wilsons und seiner Berater einwandfrei urteilen
kann. Heute muß man sich mit Vermutungen begnügen, vor allem aber mit
den Folgen und den voraussichtlichen Ergebnissen dieser Politik. So weltfremd
Wilson und Bruan auf dem Gebiete der internationalen Politik sind, so werden
sie doch nicht umhin können, wenigstens den Wunsch nach einem beruhigten
Mexiko zu hegen, wohlverstanden einem solchen, das sich unter ihrer Vor¬
mundschaft befindet. Das alte Spiel der Vereinigten Staaten, in Mexiko Re¬
volutionen zu organisieren, um ihnen unbequeme Machthaber zu drücken oder
sie in die Luft zu sprengen, kann auf die Dauer ihre Politik nicht befriedigen.
Das natürliche Ziel der Politik der Vereinigten Staaten, absolute Be¬
herrschung des Gebietes zwischen ihren südlichen Landgrenzen und dem Panama¬
kanal, kann hinsichtlich Mexikos, wie wir gesehen haben, auf zwei Wegen erreicht
werden: Eroberung des Landes oder Einsetzung eines tatsächlich von Washington
abhängigen Präsidenten. Was die letzte angeht, dürfte freilich immer wieder die
Schwierigkeit auftauchen und sich wahrscheinlich als unüberwindlich zeigen, daß
ein solcher Präsident über kurz oder lang heftigen Widerstand im eigenen Lande
bei Männern finden wird, die mit der nationalen Devise eine Fronde gegen
ihn organisieren. Er würde auch, wenn er sich von den erwähnten Fehlern
Maderos freihielte, als Verräter der mexikanischen Unabhängigkeit einen Teil
der Bevölkerung gegen sich haben. Man sieht also: ein mexikanischer Präsident
erweckt sich, wenn er von den Vereinigten Staaten abhängt, automatisch im
eigenen Lande die Revolution, die ihm von den Vereinigten Staaten im selben
Augenblicke angezettelt wird, wo er von ihnen unabhängig ist oder zu werden
versucht.

Der erstgenannte Weg, Eroberung des Landes Mexiko, würde, aka¬
demisch betrachtet, natürlich am gründlichsten und sichersten zum Ziele führen.
Dabei wäre die Frage ohne besondere Bedeutung, ob man dem eroberten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328333"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Mcxikofrage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_986" prev="#ID_985"> sich entwickeln werden, welche Partei die Oberhand gewinnen, welche Rolle<lb/>
die Vereinigten Staaten spielen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_987"> Kehren wir zur Frage zurück, welches die Endabsichten der Vereinigten<lb/>
Staaten und insbesondere Wilsons in und mit Mexiko sein können. Was die<lb/>
Persönlichkeit Wilsons anlangt, so ist darauf eine Antwort schwer zu geben.<lb/>
Er ist trotz seiner unzweifelhaften geistigen Bedeutung kein Staatsmann und<lb/>
am allerwenigsten ein praktischer Ratgeber in auswärtigen Dingen. Was seinen<lb/>
Staatssekretär des Auswärtigen. Mr. Bryan, betrifft, so ist bei ihm von solchen<lb/>
Eigenschaften noch weniger die Rede, zumal die geistige Bedeutung Bruans an<lb/>
die Wilsons nicht heranreicht. Daß Wilsons moralische und konstitutionelle<lb/>
Bedenken gegen Huerta Heuchelei und Vorwand seien, ist vielfach geglaubt<lb/>
worden. Wir möchten uns dieser Auffassung nicht anschließen, sondern Wilsons<lb/>
Bedenken für subjektiv echt ansehen. Dadurch werden sie an sich nicht stich¬<lb/>
haltiger, sind aber für die Beurteilung des Wilsonschen Standpunktes von Wert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_988"> Vielleicht wird später einmal ein Zeitpunkt kommen, wo man über alle<lb/>
wirklichen An- und Absichten Wilsons und seiner Berater einwandfrei urteilen<lb/>
kann. Heute muß man sich mit Vermutungen begnügen, vor allem aber mit<lb/>
den Folgen und den voraussichtlichen Ergebnissen dieser Politik. So weltfremd<lb/>
Wilson und Bruan auf dem Gebiete der internationalen Politik sind, so werden<lb/>
sie doch nicht umhin können, wenigstens den Wunsch nach einem beruhigten<lb/>
Mexiko zu hegen, wohlverstanden einem solchen, das sich unter ihrer Vor¬<lb/>
mundschaft befindet. Das alte Spiel der Vereinigten Staaten, in Mexiko Re¬<lb/>
volutionen zu organisieren, um ihnen unbequeme Machthaber zu drücken oder<lb/>
sie in die Luft zu sprengen, kann auf die Dauer ihre Politik nicht befriedigen.<lb/>
Das natürliche Ziel der Politik der Vereinigten Staaten, absolute Be¬<lb/>
herrschung des Gebietes zwischen ihren südlichen Landgrenzen und dem Panama¬<lb/>
kanal, kann hinsichtlich Mexikos, wie wir gesehen haben, auf zwei Wegen erreicht<lb/>
werden: Eroberung des Landes oder Einsetzung eines tatsächlich von Washington<lb/>
abhängigen Präsidenten. Was die letzte angeht, dürfte freilich immer wieder die<lb/>
Schwierigkeit auftauchen und sich wahrscheinlich als unüberwindlich zeigen, daß<lb/>
ein solcher Präsident über kurz oder lang heftigen Widerstand im eigenen Lande<lb/>
bei Männern finden wird, die mit der nationalen Devise eine Fronde gegen<lb/>
ihn organisieren. Er würde auch, wenn er sich von den erwähnten Fehlern<lb/>
Maderos freihielte, als Verräter der mexikanischen Unabhängigkeit einen Teil<lb/>
der Bevölkerung gegen sich haben. Man sieht also: ein mexikanischer Präsident<lb/>
erweckt sich, wenn er von den Vereinigten Staaten abhängt, automatisch im<lb/>
eigenen Lande die Revolution, die ihm von den Vereinigten Staaten im selben<lb/>
Augenblicke angezettelt wird, wo er von ihnen unabhängig ist oder zu werden<lb/>
versucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_989" next="#ID_990"> Der erstgenannte Weg, Eroberung des Landes Mexiko, würde, aka¬<lb/>
demisch betrachtet, natürlich am gründlichsten und sichersten zum Ziele führen.<lb/>
Dabei wäre die Frage ohne besondere Bedeutung, ob man dem eroberten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] Die Mcxikofrage sich entwickeln werden, welche Partei die Oberhand gewinnen, welche Rolle die Vereinigten Staaten spielen werden. Kehren wir zur Frage zurück, welches die Endabsichten der Vereinigten Staaten und insbesondere Wilsons in und mit Mexiko sein können. Was die Persönlichkeit Wilsons anlangt, so ist darauf eine Antwort schwer zu geben. Er ist trotz seiner unzweifelhaften geistigen Bedeutung kein Staatsmann und am allerwenigsten ein praktischer Ratgeber in auswärtigen Dingen. Was seinen Staatssekretär des Auswärtigen. Mr. Bryan, betrifft, so ist bei ihm von solchen Eigenschaften noch weniger die Rede, zumal die geistige Bedeutung Bruans an die Wilsons nicht heranreicht. Daß Wilsons moralische und konstitutionelle Bedenken gegen Huerta Heuchelei und Vorwand seien, ist vielfach geglaubt worden. Wir möchten uns dieser Auffassung nicht anschließen, sondern Wilsons Bedenken für subjektiv echt ansehen. Dadurch werden sie an sich nicht stich¬ haltiger, sind aber für die Beurteilung des Wilsonschen Standpunktes von Wert. Vielleicht wird später einmal ein Zeitpunkt kommen, wo man über alle wirklichen An- und Absichten Wilsons und seiner Berater einwandfrei urteilen kann. Heute muß man sich mit Vermutungen begnügen, vor allem aber mit den Folgen und den voraussichtlichen Ergebnissen dieser Politik. So weltfremd Wilson und Bruan auf dem Gebiete der internationalen Politik sind, so werden sie doch nicht umhin können, wenigstens den Wunsch nach einem beruhigten Mexiko zu hegen, wohlverstanden einem solchen, das sich unter ihrer Vor¬ mundschaft befindet. Das alte Spiel der Vereinigten Staaten, in Mexiko Re¬ volutionen zu organisieren, um ihnen unbequeme Machthaber zu drücken oder sie in die Luft zu sprengen, kann auf die Dauer ihre Politik nicht befriedigen. Das natürliche Ziel der Politik der Vereinigten Staaten, absolute Be¬ herrschung des Gebietes zwischen ihren südlichen Landgrenzen und dem Panama¬ kanal, kann hinsichtlich Mexikos, wie wir gesehen haben, auf zwei Wegen erreicht werden: Eroberung des Landes oder Einsetzung eines tatsächlich von Washington abhängigen Präsidenten. Was die letzte angeht, dürfte freilich immer wieder die Schwierigkeit auftauchen und sich wahrscheinlich als unüberwindlich zeigen, daß ein solcher Präsident über kurz oder lang heftigen Widerstand im eigenen Lande bei Männern finden wird, die mit der nationalen Devise eine Fronde gegen ihn organisieren. Er würde auch, wenn er sich von den erwähnten Fehlern Maderos freihielte, als Verräter der mexikanischen Unabhängigkeit einen Teil der Bevölkerung gegen sich haben. Man sieht also: ein mexikanischer Präsident erweckt sich, wenn er von den Vereinigten Staaten abhängt, automatisch im eigenen Lande die Revolution, die ihm von den Vereinigten Staaten im selben Augenblicke angezettelt wird, wo er von ihnen unabhängig ist oder zu werden versucht. Der erstgenannte Weg, Eroberung des Landes Mexiko, würde, aka¬ demisch betrachtet, natürlich am gründlichsten und sichersten zum Ziele führen. Dabei wäre die Frage ohne besondere Bedeutung, ob man dem eroberten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/233>, abgerufen am 25.07.2024.