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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Mcxikofrage

erheblich veränderten Verhältnissen bestätigt hatte, kam in den ersten Monaten
des Jahres 1912 die Sache im Senat zur Sprache und zwar durch den Se¬
nator Lodge. Dieser nahm seinen Ausgangspunkt von der Verhandlung der
Schiedsgerichtsverträge und führte als Beispiel sür die Unmöglichkeit ihrer An¬
nahme gerade die Magdalenenbucht an: wenn eine große östliche Macht direkt oder
indirekt von einem Hafen an der Westküste von Mexiko Besitz ergreisen würde,
um ihn militärisch zu benutzen, so müßten die Vereinigten Staaten unmittelbar
intervenieren, und zwar unter Berufung auf die Monroedoktrin. Die Ver¬
einigten Staaten könnten sich in einem solchen Falle unter keinen Umständen
auf Einleitung eines internationalen Schiedsverfahrens einlassen. Gerade zurzeit
sei eine indirekte Bewegung im Gange, um für eine fremde Macht die Magda¬
lenenbucht zu erlangen. Im weiteren Verfolge der Angelegenheit innerhalb des
Senates erklärte der Staatssekretär, er habe keinerlei Anlaß gehabt, die Sache
von Amts wegen anhängig zu machen, da die japanische wie die mexikanische
Regierung amtlich irgendeine Verbindung mit den Bemühungen jener japanischen
Gesellschaft in Abrede gestellt hätten. Der erwähnte Senator Lodge erklärte
in seinem Berichte über die Sache für ganz belanglos, ob die Regierungen
direkt daran beteiligt feien oder nicht. "Der dünne Schleier einer Korporation
berührt die Angelegenheit nicht." Schließlich faßte der Senat eine Resolution
des Inhaltes:

"Es wird beschlossen, daß, wenn ein Hafen oder ein anderer Platz in
den amerikanischen Kontinenten so gelegen ist, daß seine Besetzung für
maritime oder militärische Zwecke den Verkehr oder die Sicherheit der Ver¬
einigten Staaten zu bedrohen geeignet ist, -- die Regierung der Vereinigten
Staaten den Besitz eines solchen Hafens oder anderen Platzes nicht ohne schwere
Besorgnis in den Händen einer Korporation sehen würde, die eine der¬
artige Beziehung zu einer anderen nichtamerikanischen Regierung hat, daß dieser
Besitz die tatsächliche Kontrollgewalt für maritime oder militärische Zwecke an
diese Regierung gibt."

Ob man diesen Senatsbeschluß nun als "Lodgedoktrin" bezeichnet oder
anders: er ist von großer Bedeutung, allgemein dadurch, daß er die Erwerbung
ausländischer Handelsgesellschaften an gewissen Punkten amerikanischen Bodens
mit der alten Forderung: Monroedoktrin hinsichtlich europäischer Kolonisierung
und Fußfassung überhaupt einfach identifiziert. Es versteht sich weiter von
selbst, daß die praktische Anwendung dieser Doktrin beinahe unbegrenzte Mög¬
lichkeiten eröffnet. Die Vereinigten Staaten können, wo auch immer eine aus¬
ländische Gesellschaft auf amerikanischem Boden -- also dem Boden eines der
beiden amerikanischen Kontinente oder der sie umgebenden Inseln -- ein Areal
zu kaufen versucht, um dort in irgendeiner Form Geschäfte zu machen, er¬
klären, daß dieser Punkt als Waffenplatz oder Hafen usw. Wichtigkeit besitze
oder gewinnen könnte. Daraufhin würde dann die betreffende Handelsgesellschaft
ihre Ansprüche zurückziehen müssen. Natürlich wird hier die Machtfrage, sei es


Die Mcxikofrage

erheblich veränderten Verhältnissen bestätigt hatte, kam in den ersten Monaten
des Jahres 1912 die Sache im Senat zur Sprache und zwar durch den Se¬
nator Lodge. Dieser nahm seinen Ausgangspunkt von der Verhandlung der
Schiedsgerichtsverträge und führte als Beispiel sür die Unmöglichkeit ihrer An¬
nahme gerade die Magdalenenbucht an: wenn eine große östliche Macht direkt oder
indirekt von einem Hafen an der Westküste von Mexiko Besitz ergreisen würde,
um ihn militärisch zu benutzen, so müßten die Vereinigten Staaten unmittelbar
intervenieren, und zwar unter Berufung auf die Monroedoktrin. Die Ver¬
einigten Staaten könnten sich in einem solchen Falle unter keinen Umständen
auf Einleitung eines internationalen Schiedsverfahrens einlassen. Gerade zurzeit
sei eine indirekte Bewegung im Gange, um für eine fremde Macht die Magda¬
lenenbucht zu erlangen. Im weiteren Verfolge der Angelegenheit innerhalb des
Senates erklärte der Staatssekretär, er habe keinerlei Anlaß gehabt, die Sache
von Amts wegen anhängig zu machen, da die japanische wie die mexikanische
Regierung amtlich irgendeine Verbindung mit den Bemühungen jener japanischen
Gesellschaft in Abrede gestellt hätten. Der erwähnte Senator Lodge erklärte
in seinem Berichte über die Sache für ganz belanglos, ob die Regierungen
direkt daran beteiligt feien oder nicht. „Der dünne Schleier einer Korporation
berührt die Angelegenheit nicht." Schließlich faßte der Senat eine Resolution
des Inhaltes:

„Es wird beschlossen, daß, wenn ein Hafen oder ein anderer Platz in
den amerikanischen Kontinenten so gelegen ist, daß seine Besetzung für
maritime oder militärische Zwecke den Verkehr oder die Sicherheit der Ver¬
einigten Staaten zu bedrohen geeignet ist, — die Regierung der Vereinigten
Staaten den Besitz eines solchen Hafens oder anderen Platzes nicht ohne schwere
Besorgnis in den Händen einer Korporation sehen würde, die eine der¬
artige Beziehung zu einer anderen nichtamerikanischen Regierung hat, daß dieser
Besitz die tatsächliche Kontrollgewalt für maritime oder militärische Zwecke an
diese Regierung gibt."

Ob man diesen Senatsbeschluß nun als „Lodgedoktrin" bezeichnet oder
anders: er ist von großer Bedeutung, allgemein dadurch, daß er die Erwerbung
ausländischer Handelsgesellschaften an gewissen Punkten amerikanischen Bodens
mit der alten Forderung: Monroedoktrin hinsichtlich europäischer Kolonisierung
und Fußfassung überhaupt einfach identifiziert. Es versteht sich weiter von
selbst, daß die praktische Anwendung dieser Doktrin beinahe unbegrenzte Mög¬
lichkeiten eröffnet. Die Vereinigten Staaten können, wo auch immer eine aus¬
ländische Gesellschaft auf amerikanischem Boden — also dem Boden eines der
beiden amerikanischen Kontinente oder der sie umgebenden Inseln — ein Areal
zu kaufen versucht, um dort in irgendeiner Form Geschäfte zu machen, er¬
klären, daß dieser Punkt als Waffenplatz oder Hafen usw. Wichtigkeit besitze
oder gewinnen könnte. Daraufhin würde dann die betreffende Handelsgesellschaft
ihre Ansprüche zurückziehen müssen. Natürlich wird hier die Machtfrage, sei es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/230>, abgerufen am 25.07.2024.