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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Mexiko frage

Porfirio Diaz' Ansehen, nach innen wie außen, noch gesichert schien, urteilten
erfahren? Deutsche im Lande, es könne so nicht weitergehen, über kurz oder
lang müsse die Verrottung der Zustände zu gewaltsamen Entladungen führen.
Dieses Urteil hat sich bald darauf als im wesentlichen richtig herausgestellt.
Unrichtig dürfte nur sein, für die Verrottung der Zustände dem Regierungs¬
system Diaz' und den Mitteln, die es anwandte, allein die Schuld zuzuschreiben. Auch
auf englischer, zumal aber auf amerikanischer Seite ist dies fälschlicherweise
geschehen. Es ist sicher ungerecht. Man wird nicht behaupten können, daß Diaz
ohne die Mittel, die er anwandte, überhaupt etwas hätte erreichen können.
Seine damaligen Mexikaner waren keine Unschuldsengel, die durch seine Herrschaft
verdorben worden wären. Auf der anderen Seite haben englische Kenner
Mexikos recht, die die Möglichkeit einer erneuten Einführung des Diazschen Ne-
gierungssnstemes durch einen neuen starken Mann bestreiten. Die Verkehrs-
erschließung Mexikos hat dafür zuviel verändert. Es ist ein wichtiges Moment,
das heute wie in Zukunft weit mehr bleibt als eine geschichtliche Tatsache, daß
die Unzufriedenheit des Fremden, insbesondere des nordamerikanischen Elementes,
mit den Diazschen Regierungsformen viel zu Diaz' Sturze beigetragen hat.
Wäre für die Zukunft denkbar, daß etwa Huerta oder eine andere Persön¬
lichkeit von Stärke und Entschlossenheit die Vereinigten Staaten von Mexiko
regierte, so würde sie doch bei aller Notwendigkeit gelegentlichen rücksichtslosen
Durchgreifens modernere Methoden anwenden müssen als der alte Diaz
sie anwandte. Nach außen freilich hatte auch er es schon versucht.
Während der letzten Zeit seiner Regierung war es sein Bestreben gewesen, bei
England und bei Japan Schutz gegen die immer drohender werdende Übermacht
der Vereinigten Staaten von Amerika zu finden. Aber es war zu spät; nur
das Gegenteil des von ihm angestrebten Ergebnisses erreichte Diaz: seine Be¬
ziehungen zu Japan erregten die Mißbilligung und Besorgnis der Vereinigten
Staaten in so hohem Maße, daß sie unverzüglich auf dem üblichen Wege,
nnttels Geld und Revolution, auf seinen Sturz hinzuarbeiten begannen. An Diaz'
Stelle trat Madero, der. semitischer Abstammung, von Anfang an in Speku¬
lationsgeschäften tätig, aller zum Herrschen nötigen Eigenschaften ermangelte.
In Washington glaubte man von ihm. der nach jeder Richtung hin in den
Händen der Vereinigten Staaten war, er sei der den amerikanischen Interessen
entsprechende Präsident von Mexiko. Man irrte sich, denn Madero war doch
..einige Nummern zu schwach". Nicht nur konnte er sich keine Autorität ver¬
schaffen, er mehrte alle schon vorhandene Korruption indirekt durch neue: seine
Zahlreichen Verwandten, die das Land aussagen, wurden an Zuständen schuld,
die man selbst in Mexiko als unerträglich empfand. Es folgte Maderos Er-
mordung und nach dem kurzen Regierungsintermezzo des Generals Diaz. Por-
firios Neffen, der Aufstieg General Huertas zur Macht (vgl. Jahrgang 1913,
Heft 52). der nun entschlossen zu sein scheint, Mexiko durch einen Krieg gegen
die Vereinigten Staaten von Amerika zusammenzuschweißen und zu retten.


Die Mexiko frage

Porfirio Diaz' Ansehen, nach innen wie außen, noch gesichert schien, urteilten
erfahren? Deutsche im Lande, es könne so nicht weitergehen, über kurz oder
lang müsse die Verrottung der Zustände zu gewaltsamen Entladungen führen.
Dieses Urteil hat sich bald darauf als im wesentlichen richtig herausgestellt.
Unrichtig dürfte nur sein, für die Verrottung der Zustände dem Regierungs¬
system Diaz' und den Mitteln, die es anwandte, allein die Schuld zuzuschreiben. Auch
auf englischer, zumal aber auf amerikanischer Seite ist dies fälschlicherweise
geschehen. Es ist sicher ungerecht. Man wird nicht behaupten können, daß Diaz
ohne die Mittel, die er anwandte, überhaupt etwas hätte erreichen können.
Seine damaligen Mexikaner waren keine Unschuldsengel, die durch seine Herrschaft
verdorben worden wären. Auf der anderen Seite haben englische Kenner
Mexikos recht, die die Möglichkeit einer erneuten Einführung des Diazschen Ne-
gierungssnstemes durch einen neuen starken Mann bestreiten. Die Verkehrs-
erschließung Mexikos hat dafür zuviel verändert. Es ist ein wichtiges Moment,
das heute wie in Zukunft weit mehr bleibt als eine geschichtliche Tatsache, daß
die Unzufriedenheit des Fremden, insbesondere des nordamerikanischen Elementes,
mit den Diazschen Regierungsformen viel zu Diaz' Sturze beigetragen hat.
Wäre für die Zukunft denkbar, daß etwa Huerta oder eine andere Persön¬
lichkeit von Stärke und Entschlossenheit die Vereinigten Staaten von Mexiko
regierte, so würde sie doch bei aller Notwendigkeit gelegentlichen rücksichtslosen
Durchgreifens modernere Methoden anwenden müssen als der alte Diaz
sie anwandte. Nach außen freilich hatte auch er es schon versucht.
Während der letzten Zeit seiner Regierung war es sein Bestreben gewesen, bei
England und bei Japan Schutz gegen die immer drohender werdende Übermacht
der Vereinigten Staaten von Amerika zu finden. Aber es war zu spät; nur
das Gegenteil des von ihm angestrebten Ergebnisses erreichte Diaz: seine Be¬
ziehungen zu Japan erregten die Mißbilligung und Besorgnis der Vereinigten
Staaten in so hohem Maße, daß sie unverzüglich auf dem üblichen Wege,
nnttels Geld und Revolution, auf seinen Sturz hinzuarbeiten begannen. An Diaz'
Stelle trat Madero, der. semitischer Abstammung, von Anfang an in Speku¬
lationsgeschäften tätig, aller zum Herrschen nötigen Eigenschaften ermangelte.
In Washington glaubte man von ihm. der nach jeder Richtung hin in den
Händen der Vereinigten Staaten war, er sei der den amerikanischen Interessen
entsprechende Präsident von Mexiko. Man irrte sich, denn Madero war doch
..einige Nummern zu schwach". Nicht nur konnte er sich keine Autorität ver¬
schaffen, er mehrte alle schon vorhandene Korruption indirekt durch neue: seine
Zahlreichen Verwandten, die das Land aussagen, wurden an Zuständen schuld,
die man selbst in Mexiko als unerträglich empfand. Es folgte Maderos Er-
mordung und nach dem kurzen Regierungsintermezzo des Generals Diaz. Por-
firios Neffen, der Aufstieg General Huertas zur Macht (vgl. Jahrgang 1913,
Heft 52). der nun entschlossen zu sein scheint, Mexiko durch einen Krieg gegen
die Vereinigten Staaten von Amerika zusammenzuschweißen und zu retten.


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[0225] Die Mexiko frage Porfirio Diaz' Ansehen, nach innen wie außen, noch gesichert schien, urteilten erfahren? Deutsche im Lande, es könne so nicht weitergehen, über kurz oder lang müsse die Verrottung der Zustände zu gewaltsamen Entladungen führen. Dieses Urteil hat sich bald darauf als im wesentlichen richtig herausgestellt. Unrichtig dürfte nur sein, für die Verrottung der Zustände dem Regierungs¬ system Diaz' und den Mitteln, die es anwandte, allein die Schuld zuzuschreiben. Auch auf englischer, zumal aber auf amerikanischer Seite ist dies fälschlicherweise geschehen. Es ist sicher ungerecht. Man wird nicht behaupten können, daß Diaz ohne die Mittel, die er anwandte, überhaupt etwas hätte erreichen können. Seine damaligen Mexikaner waren keine Unschuldsengel, die durch seine Herrschaft verdorben worden wären. Auf der anderen Seite haben englische Kenner Mexikos recht, die die Möglichkeit einer erneuten Einführung des Diazschen Ne- gierungssnstemes durch einen neuen starken Mann bestreiten. Die Verkehrs- erschließung Mexikos hat dafür zuviel verändert. Es ist ein wichtiges Moment, das heute wie in Zukunft weit mehr bleibt als eine geschichtliche Tatsache, daß die Unzufriedenheit des Fremden, insbesondere des nordamerikanischen Elementes, mit den Diazschen Regierungsformen viel zu Diaz' Sturze beigetragen hat. Wäre für die Zukunft denkbar, daß etwa Huerta oder eine andere Persön¬ lichkeit von Stärke und Entschlossenheit die Vereinigten Staaten von Mexiko regierte, so würde sie doch bei aller Notwendigkeit gelegentlichen rücksichtslosen Durchgreifens modernere Methoden anwenden müssen als der alte Diaz sie anwandte. Nach außen freilich hatte auch er es schon versucht. Während der letzten Zeit seiner Regierung war es sein Bestreben gewesen, bei England und bei Japan Schutz gegen die immer drohender werdende Übermacht der Vereinigten Staaten von Amerika zu finden. Aber es war zu spät; nur das Gegenteil des von ihm angestrebten Ergebnisses erreichte Diaz: seine Be¬ ziehungen zu Japan erregten die Mißbilligung und Besorgnis der Vereinigten Staaten in so hohem Maße, daß sie unverzüglich auf dem üblichen Wege, nnttels Geld und Revolution, auf seinen Sturz hinzuarbeiten begannen. An Diaz' Stelle trat Madero, der. semitischer Abstammung, von Anfang an in Speku¬ lationsgeschäften tätig, aller zum Herrschen nötigen Eigenschaften ermangelte. In Washington glaubte man von ihm. der nach jeder Richtung hin in den Händen der Vereinigten Staaten war, er sei der den amerikanischen Interessen entsprechende Präsident von Mexiko. Man irrte sich, denn Madero war doch ..einige Nummern zu schwach". Nicht nur konnte er sich keine Autorität ver¬ schaffen, er mehrte alle schon vorhandene Korruption indirekt durch neue: seine Zahlreichen Verwandten, die das Land aussagen, wurden an Zuständen schuld, die man selbst in Mexiko als unerträglich empfand. Es folgte Maderos Er- mordung und nach dem kurzen Regierungsintermezzo des Generals Diaz. Por- firios Neffen, der Aufstieg General Huertas zur Macht (vgl. Jahrgang 1913, Heft 52). der nun entschlossen zu sein scheint, Mexiko durch einen Krieg gegen die Vereinigten Staaten von Amerika zusammenzuschweißen und zu retten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/225>, abgerufen am 04.07.2024.