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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wirtschaft und Kunst

Eine ähnliche Entwicklung wie in England und den Vereinigten Staaten
hat die Industrie auch in Deutschland und Österreich durchgemacht. Zum letzten
Male fanden hier die Zeitverhältnisse in den zwanziger und dreißiger Jahren
des neunzehnten Jahrhunderts im bürgerlichen Nachempire, dem Stile der
Biedermeierzeit, einen treffenden Ausdruck. Dann aber begann ein herbstliches
Sterben, ein Niedergang zu kahlen, geschmacklosen Nützlichkeitsformen. dem selbst
auch auf den Gebieten der Baukunst und der Ornamentik durch Männer wie
Schinkel und Semper nur vorübergehend gesteuert werden konnte. Der Sieg
der Maschinentechnik brachte schließlich das Absterben alles Kunstgefühls und die
Nachahmung begann ihre Triumphe zu feiern. Die Zollvereinsabteilung auf
der Londoner Weltausstellung von 1851 offenbarte den Tiefstand der deutschen
Industrie in seiner ganzen Bedeutung.

Die Reformbestrebungen setzten zuerst in Österreich ein. Es gelang hier
zunächst, die Baukunst zu neuem Leben zu erwecken und aus Gotik, Hellenismus
und italienischer Renaissance den Großwiener Baustil zu schaffen. Eine Rück¬
wirkung auf Dekoration. Möbelindustrie sowie Schlosser- und Bronzearbeit folgte
und brachte auf diesen Gebieten wachsende Ehrlichkeit in der Behandlung des
Materials wie größere Reinheit und Strenge der Form. Dann fing man an,
das Augenmerk besonders auf die Erziehung des gewerblichen Nachwuchses zu
richten. Der Gründung des österreichischen Museums für Kunst und Industrie
(1871) folgte die Errichtung einer Anzahl weiterer kunstgewerblicher Museen, ein
System kunstgewerblicher Fachschulen entstand und hatte die Hebung des Zeichen¬
unterrichts in den Volks-, Mittel- und Gewerbeschulen zur Folge, während die
Veranstaltung winterlicher Vortragskurse und die rasch wachsende kunstwissen¬
schaftliche Literatur der Erziehung des Publikums diente. Auf dieser Grundlage
konnte sich dann das österreichische Kunstgewerbe seit etwa 1876 rasch und
selbständig entwickeln und einen erfreulichen Aufschwung nehmen, der freilich
nicht lange anhielt, sondern schon Ende der achtziger Jahre in Stillstand und
allmählichen Niedergang endete. Stil folgte auf Stil, Nachahmung und
Historismus begannen wieder zu herrschen, bis dann endlich um die Jahrhundert¬
wende sich neue Aussichten für eine günstigere Entwicklung des österreichischen
Kunstgewerbes eröffneten.

Die Aufwärtsbewegung in der reichsdeutschen Industrie setzte etwas später
als im benachbarten Österreich ein. Noch auf den Weltausstellungen zu Wien
(1871) und Philadelphia (1376) erlitt sie ob ihrer ökonomischen Kleinlichkeit,
technischen Rückständigkeit und ästhetischen Minderwertigkeit eine gründliche
Niederlage. Auch dort, wo bedeutendere künstlerische Kräfte am Werke waren,
wie z. B. in München, versagte die Industrie wegen der Unfähigkeit der gewerb¬
lichen Hilfskräfte. Es zeigte sich also auch hier, daß die Grundvoraussetzung
für eine Fortentwicklung und künstlerische Durchbildung der Industrie eine
gute Erziehung und Ausbildung der ausführenden Arbeiter und Gehilfen ist.
I" dieser Erkenntnis begannen sich Gewerbetreibende. Künstler und Kunstfreunde


Wirtschaft und Kunst

Eine ähnliche Entwicklung wie in England und den Vereinigten Staaten
hat die Industrie auch in Deutschland und Österreich durchgemacht. Zum letzten
Male fanden hier die Zeitverhältnisse in den zwanziger und dreißiger Jahren
des neunzehnten Jahrhunderts im bürgerlichen Nachempire, dem Stile der
Biedermeierzeit, einen treffenden Ausdruck. Dann aber begann ein herbstliches
Sterben, ein Niedergang zu kahlen, geschmacklosen Nützlichkeitsformen. dem selbst
auch auf den Gebieten der Baukunst und der Ornamentik durch Männer wie
Schinkel und Semper nur vorübergehend gesteuert werden konnte. Der Sieg
der Maschinentechnik brachte schließlich das Absterben alles Kunstgefühls und die
Nachahmung begann ihre Triumphe zu feiern. Die Zollvereinsabteilung auf
der Londoner Weltausstellung von 1851 offenbarte den Tiefstand der deutschen
Industrie in seiner ganzen Bedeutung.

Die Reformbestrebungen setzten zuerst in Österreich ein. Es gelang hier
zunächst, die Baukunst zu neuem Leben zu erwecken und aus Gotik, Hellenismus
und italienischer Renaissance den Großwiener Baustil zu schaffen. Eine Rück¬
wirkung auf Dekoration. Möbelindustrie sowie Schlosser- und Bronzearbeit folgte
und brachte auf diesen Gebieten wachsende Ehrlichkeit in der Behandlung des
Materials wie größere Reinheit und Strenge der Form. Dann fing man an,
das Augenmerk besonders auf die Erziehung des gewerblichen Nachwuchses zu
richten. Der Gründung des österreichischen Museums für Kunst und Industrie
(1871) folgte die Errichtung einer Anzahl weiterer kunstgewerblicher Museen, ein
System kunstgewerblicher Fachschulen entstand und hatte die Hebung des Zeichen¬
unterrichts in den Volks-, Mittel- und Gewerbeschulen zur Folge, während die
Veranstaltung winterlicher Vortragskurse und die rasch wachsende kunstwissen¬
schaftliche Literatur der Erziehung des Publikums diente. Auf dieser Grundlage
konnte sich dann das österreichische Kunstgewerbe seit etwa 1876 rasch und
selbständig entwickeln und einen erfreulichen Aufschwung nehmen, der freilich
nicht lange anhielt, sondern schon Ende der achtziger Jahre in Stillstand und
allmählichen Niedergang endete. Stil folgte auf Stil, Nachahmung und
Historismus begannen wieder zu herrschen, bis dann endlich um die Jahrhundert¬
wende sich neue Aussichten für eine günstigere Entwicklung des österreichischen
Kunstgewerbes eröffneten.

Die Aufwärtsbewegung in der reichsdeutschen Industrie setzte etwas später
als im benachbarten Österreich ein. Noch auf den Weltausstellungen zu Wien
(1871) und Philadelphia (1376) erlitt sie ob ihrer ökonomischen Kleinlichkeit,
technischen Rückständigkeit und ästhetischen Minderwertigkeit eine gründliche
Niederlage. Auch dort, wo bedeutendere künstlerische Kräfte am Werke waren,
wie z. B. in München, versagte die Industrie wegen der Unfähigkeit der gewerb¬
lichen Hilfskräfte. Es zeigte sich also auch hier, daß die Grundvoraussetzung
für eine Fortentwicklung und künstlerische Durchbildung der Industrie eine
gute Erziehung und Ausbildung der ausführenden Arbeiter und Gehilfen ist.
I» dieser Erkenntnis begannen sich Gewerbetreibende. Künstler und Kunstfreunde


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[0219] Wirtschaft und Kunst Eine ähnliche Entwicklung wie in England und den Vereinigten Staaten hat die Industrie auch in Deutschland und Österreich durchgemacht. Zum letzten Male fanden hier die Zeitverhältnisse in den zwanziger und dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts im bürgerlichen Nachempire, dem Stile der Biedermeierzeit, einen treffenden Ausdruck. Dann aber begann ein herbstliches Sterben, ein Niedergang zu kahlen, geschmacklosen Nützlichkeitsformen. dem selbst auch auf den Gebieten der Baukunst und der Ornamentik durch Männer wie Schinkel und Semper nur vorübergehend gesteuert werden konnte. Der Sieg der Maschinentechnik brachte schließlich das Absterben alles Kunstgefühls und die Nachahmung begann ihre Triumphe zu feiern. Die Zollvereinsabteilung auf der Londoner Weltausstellung von 1851 offenbarte den Tiefstand der deutschen Industrie in seiner ganzen Bedeutung. Die Reformbestrebungen setzten zuerst in Österreich ein. Es gelang hier zunächst, die Baukunst zu neuem Leben zu erwecken und aus Gotik, Hellenismus und italienischer Renaissance den Großwiener Baustil zu schaffen. Eine Rück¬ wirkung auf Dekoration. Möbelindustrie sowie Schlosser- und Bronzearbeit folgte und brachte auf diesen Gebieten wachsende Ehrlichkeit in der Behandlung des Materials wie größere Reinheit und Strenge der Form. Dann fing man an, das Augenmerk besonders auf die Erziehung des gewerblichen Nachwuchses zu richten. Der Gründung des österreichischen Museums für Kunst und Industrie (1871) folgte die Errichtung einer Anzahl weiterer kunstgewerblicher Museen, ein System kunstgewerblicher Fachschulen entstand und hatte die Hebung des Zeichen¬ unterrichts in den Volks-, Mittel- und Gewerbeschulen zur Folge, während die Veranstaltung winterlicher Vortragskurse und die rasch wachsende kunstwissen¬ schaftliche Literatur der Erziehung des Publikums diente. Auf dieser Grundlage konnte sich dann das österreichische Kunstgewerbe seit etwa 1876 rasch und selbständig entwickeln und einen erfreulichen Aufschwung nehmen, der freilich nicht lange anhielt, sondern schon Ende der achtziger Jahre in Stillstand und allmählichen Niedergang endete. Stil folgte auf Stil, Nachahmung und Historismus begannen wieder zu herrschen, bis dann endlich um die Jahrhundert¬ wende sich neue Aussichten für eine günstigere Entwicklung des österreichischen Kunstgewerbes eröffneten. Die Aufwärtsbewegung in der reichsdeutschen Industrie setzte etwas später als im benachbarten Österreich ein. Noch auf den Weltausstellungen zu Wien (1871) und Philadelphia (1376) erlitt sie ob ihrer ökonomischen Kleinlichkeit, technischen Rückständigkeit und ästhetischen Minderwertigkeit eine gründliche Niederlage. Auch dort, wo bedeutendere künstlerische Kräfte am Werke waren, wie z. B. in München, versagte die Industrie wegen der Unfähigkeit der gewerb¬ lichen Hilfskräfte. Es zeigte sich also auch hier, daß die Grundvoraussetzung für eine Fortentwicklung und künstlerische Durchbildung der Industrie eine gute Erziehung und Ausbildung der ausführenden Arbeiter und Gehilfen ist. I» dieser Erkenntnis begannen sich Gewerbetreibende. Künstler und Kunstfreunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/219>, abgerufen am 25.07.2024.