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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wirtschaft und Kunst

Logik und Einfachheit wurden die Grundlagen der englischen Kunstindustrie.
Eine gewisse Nüchternheit der Form bewahrte sie vor dem Überwuchern alles
ornamentalen Nebenwerkes und verhalf der Richtung auf das struktive und
Rationelle zum Sieg. Vor allem aber gelang es den Engländern, die Gewerbe¬
kunst zu demokratisieren und der Kunstindustrie so auch den weiten Absatzkreis
zu schaffen, ohne den sie nun einmal im Zeitalter der Massenproduktion nicht
bestehen kann.

Das zweite Beispiel für den oben formulierten Satz von der Wechsel¬
beziehung zwischen Arbeiterqualifikation und Qualitätsarbeit ist die Jndustrie-
entwicklung der Vereinigten Staaten. Auch hier war in der Mitte des neun¬
zehnten Jahrhunderts Geschmacklosigkeit Trumpf. Die amerikanische Industrie
brachte gleich der englischen billige Massenartikel hervor die, wenn auch praktisch, doch
völlig unkünstlerisch waren. Erst in den siebziger Jahren kam im Anschluß an
die Weltausstellung von Philadelphia eine Reformbewegung in Fluß, die deutlich
unter derEinwirkungCarlylesundNuskins stand. In verschiedenen Staaten machten
sich Bestrebungen auf Einführung des obligatorischen Zeichenunterrichts in Lehrer¬
seminar und Volksschule geltend, besondere künstlerische Lehranstalten wurden
in das Leben gerufen, Handfertigkeitsschulen gegründet und öffentliche Kunst¬
sammlungen in den Dienst der Volkserziehung gestellt. Künstler von Bedeutung
traten an die Spitze der Bewegung, deren Erfolg ein bedeutender Aufschwung
des amerikanischen Kunstgewerbes in den achtziger Jahren war. Vorliebe für
echte Materialien und wachsende Verdrängung der Surrogate, Herausarbeiten
schöner Linien und gesteigerter Farbensinn waren die unmittelbaren Wirkungen
der Bewegung, die einen einheitlichen Stil freilich noch nicht zu zeitigen ver¬
mochte. Dann kam in den neunziger Jahren die ^res-auel Lratts-Bewegung,
die durch Gewerbevereine, Handwerkergilden und Lehrwerkstätten nach englischem
Muster im Verein mit der raschen Entwicklung des gewerblichen Schulwesens
ein schnelles Anwachsen des Kunstverständnisses bewirkte, dessen Folge eine weitere
Verbesserung von Qualität und Form der Fabrikwaren war. Zwar fehlt es
auch in den Vereinigten Staaten noch an einer genügenden Durchdringung der
industriellen Erzeugnisse mit künstlerischen Gedanken; immerhin aber scheint die
amerikanische Industrie wenigstens auf dem richtigen Wege zu einer wirklichen
Kunstindustrie zu sein und damit für die Lösung jener wichtigsten Aufgabe reif
zu werden, die darin besteht, für die Erzeugnisse der allermodernsten Technik
die ihnen adäquate künstlerische Form zu finden. Manches ist hier schon erreicht
worden. Der amerikanische Maschinenbau zeichnet sich durch hohe Formvollendung
aus und auch in der Stahlwarenfabrikation ist das Vorhandensein eines aus
der Konstruktion des Gegenstandes erwachsenden, zur wirklichen Linienschönheit
gesteigerten Formenprinzips unverkennbar. Allenthalben zeigt sich eine weit¬
gehende Anpassung der Form an das Bedürfnis, die mindestens das eine
beweist, daß den Amerikanern ein hohes Stilgefühl eignet, d. h. die Fähigkeit,
eine Anzahl Formelemente zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten.


Wirtschaft und Kunst

Logik und Einfachheit wurden die Grundlagen der englischen Kunstindustrie.
Eine gewisse Nüchternheit der Form bewahrte sie vor dem Überwuchern alles
ornamentalen Nebenwerkes und verhalf der Richtung auf das struktive und
Rationelle zum Sieg. Vor allem aber gelang es den Engländern, die Gewerbe¬
kunst zu demokratisieren und der Kunstindustrie so auch den weiten Absatzkreis
zu schaffen, ohne den sie nun einmal im Zeitalter der Massenproduktion nicht
bestehen kann.

Das zweite Beispiel für den oben formulierten Satz von der Wechsel¬
beziehung zwischen Arbeiterqualifikation und Qualitätsarbeit ist die Jndustrie-
entwicklung der Vereinigten Staaten. Auch hier war in der Mitte des neun¬
zehnten Jahrhunderts Geschmacklosigkeit Trumpf. Die amerikanische Industrie
brachte gleich der englischen billige Massenartikel hervor die, wenn auch praktisch, doch
völlig unkünstlerisch waren. Erst in den siebziger Jahren kam im Anschluß an
die Weltausstellung von Philadelphia eine Reformbewegung in Fluß, die deutlich
unter derEinwirkungCarlylesundNuskins stand. In verschiedenen Staaten machten
sich Bestrebungen auf Einführung des obligatorischen Zeichenunterrichts in Lehrer¬
seminar und Volksschule geltend, besondere künstlerische Lehranstalten wurden
in das Leben gerufen, Handfertigkeitsschulen gegründet und öffentliche Kunst¬
sammlungen in den Dienst der Volkserziehung gestellt. Künstler von Bedeutung
traten an die Spitze der Bewegung, deren Erfolg ein bedeutender Aufschwung
des amerikanischen Kunstgewerbes in den achtziger Jahren war. Vorliebe für
echte Materialien und wachsende Verdrängung der Surrogate, Herausarbeiten
schöner Linien und gesteigerter Farbensinn waren die unmittelbaren Wirkungen
der Bewegung, die einen einheitlichen Stil freilich noch nicht zu zeitigen ver¬
mochte. Dann kam in den neunziger Jahren die ^res-auel Lratts-Bewegung,
die durch Gewerbevereine, Handwerkergilden und Lehrwerkstätten nach englischem
Muster im Verein mit der raschen Entwicklung des gewerblichen Schulwesens
ein schnelles Anwachsen des Kunstverständnisses bewirkte, dessen Folge eine weitere
Verbesserung von Qualität und Form der Fabrikwaren war. Zwar fehlt es
auch in den Vereinigten Staaten noch an einer genügenden Durchdringung der
industriellen Erzeugnisse mit künstlerischen Gedanken; immerhin aber scheint die
amerikanische Industrie wenigstens auf dem richtigen Wege zu einer wirklichen
Kunstindustrie zu sein und damit für die Lösung jener wichtigsten Aufgabe reif
zu werden, die darin besteht, für die Erzeugnisse der allermodernsten Technik
die ihnen adäquate künstlerische Form zu finden. Manches ist hier schon erreicht
worden. Der amerikanische Maschinenbau zeichnet sich durch hohe Formvollendung
aus und auch in der Stahlwarenfabrikation ist das Vorhandensein eines aus
der Konstruktion des Gegenstandes erwachsenden, zur wirklichen Linienschönheit
gesteigerten Formenprinzips unverkennbar. Allenthalben zeigt sich eine weit¬
gehende Anpassung der Form an das Bedürfnis, die mindestens das eine
beweist, daß den Amerikanern ein hohes Stilgefühl eignet, d. h. die Fähigkeit,
eine Anzahl Formelemente zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten.


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[0218] Wirtschaft und Kunst Logik und Einfachheit wurden die Grundlagen der englischen Kunstindustrie. Eine gewisse Nüchternheit der Form bewahrte sie vor dem Überwuchern alles ornamentalen Nebenwerkes und verhalf der Richtung auf das struktive und Rationelle zum Sieg. Vor allem aber gelang es den Engländern, die Gewerbe¬ kunst zu demokratisieren und der Kunstindustrie so auch den weiten Absatzkreis zu schaffen, ohne den sie nun einmal im Zeitalter der Massenproduktion nicht bestehen kann. Das zweite Beispiel für den oben formulierten Satz von der Wechsel¬ beziehung zwischen Arbeiterqualifikation und Qualitätsarbeit ist die Jndustrie- entwicklung der Vereinigten Staaten. Auch hier war in der Mitte des neun¬ zehnten Jahrhunderts Geschmacklosigkeit Trumpf. Die amerikanische Industrie brachte gleich der englischen billige Massenartikel hervor die, wenn auch praktisch, doch völlig unkünstlerisch waren. Erst in den siebziger Jahren kam im Anschluß an die Weltausstellung von Philadelphia eine Reformbewegung in Fluß, die deutlich unter derEinwirkungCarlylesundNuskins stand. In verschiedenen Staaten machten sich Bestrebungen auf Einführung des obligatorischen Zeichenunterrichts in Lehrer¬ seminar und Volksschule geltend, besondere künstlerische Lehranstalten wurden in das Leben gerufen, Handfertigkeitsschulen gegründet und öffentliche Kunst¬ sammlungen in den Dienst der Volkserziehung gestellt. Künstler von Bedeutung traten an die Spitze der Bewegung, deren Erfolg ein bedeutender Aufschwung des amerikanischen Kunstgewerbes in den achtziger Jahren war. Vorliebe für echte Materialien und wachsende Verdrängung der Surrogate, Herausarbeiten schöner Linien und gesteigerter Farbensinn waren die unmittelbaren Wirkungen der Bewegung, die einen einheitlichen Stil freilich noch nicht zu zeitigen ver¬ mochte. Dann kam in den neunziger Jahren die ^res-auel Lratts-Bewegung, die durch Gewerbevereine, Handwerkergilden und Lehrwerkstätten nach englischem Muster im Verein mit der raschen Entwicklung des gewerblichen Schulwesens ein schnelles Anwachsen des Kunstverständnisses bewirkte, dessen Folge eine weitere Verbesserung von Qualität und Form der Fabrikwaren war. Zwar fehlt es auch in den Vereinigten Staaten noch an einer genügenden Durchdringung der industriellen Erzeugnisse mit künstlerischen Gedanken; immerhin aber scheint die amerikanische Industrie wenigstens auf dem richtigen Wege zu einer wirklichen Kunstindustrie zu sein und damit für die Lösung jener wichtigsten Aufgabe reif zu werden, die darin besteht, für die Erzeugnisse der allermodernsten Technik die ihnen adäquate künstlerische Form zu finden. Manches ist hier schon erreicht worden. Der amerikanische Maschinenbau zeichnet sich durch hohe Formvollendung aus und auch in der Stahlwarenfabrikation ist das Vorhandensein eines aus der Konstruktion des Gegenstandes erwachsenden, zur wirklichen Linienschönheit gesteigerten Formenprinzips unverkennbar. Allenthalben zeigt sich eine weit¬ gehende Anpassung der Form an das Bedürfnis, die mindestens das eine beweist, daß den Amerikanern ein hohes Stilgefühl eignet, d. h. die Fähigkeit, eine Anzahl Formelemente zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/218>, abgerufen am 25.07.2024.