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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Keine Frage scheint leichter beantwortet als die, für wen eigentlich deutsche
Weltpolitik gemacht wird. Man sagt unwillkürlich: für das Deutsche Reich,
denn das Auswärtige Amt ist ja eine Einrichtung dieses Reiches. Man
braucht demgegenüber nur zu antworten: für das deutsche Volk, und alsbald
stehen wir vor einer sehr verwickelten Hauptfrage unserer Politik. (Bereits im
ersten Satz der Verfassung des Deutschen Reiches stehen die oft übersehenen
Worte: ". . . schließen einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes
und des innerhalb desselben gültigen Rechtes sowie zur Pflege und Wohlfahrt
des deutschen Volkes." Also ausdrücklich: nicht zur Pflege und Wohlfahrt der
Staatsangehörigen des Teutschen Reiches, sondern des deutscheu Volkes schlechthin.)
Das deutsche Volk deckt sich nicht mit der Staatsgrenze des Reiches. Millionen
von Deutschen wohnen in Rußland, Österreich, Siebenbürgen, in der Schweiz,
in den amerikanischen Erdteilen, kurz, über die ganze bewohnte Welt zerstreut.
Das deutsche Volk hat mehrere Staaten mitbegründet und arbeitet an ihrer
Erhaltung mit all der Hingebung, mit der ein Deutscher an der Erhaltung eines
eigenen Werkes zu arbeiten pflegt. Was das Volk zu einer überstaatlichen
Einheit zusammenhält, ist vor allem die deutsche Sprache und mit ihr die deutsche
Kultur. Dazu das Bewußtsein des gemeinsamen Blutes und der gemeinsamen
Vergangenheit. Was dem Staate "Deutsches Reich" in dem gemeindeutschen
Leben eine besondere Stellung verleiht, ist, daß er auf dem alten Mutterboden
des Volkes entstanden und die verhältnismäßig reinste Ausprägung des sozialen
und politischen deutschen Wesens (abgesehen vielleicht von den deutsch¬
schweizerischen Kantonen) geworden ist. Er ist schlechthin die "deutsche Heimat".
Indem wir die Augen auf diesen Zustand unseres Volkes heften, fragen wir:
ist für unser Auswärtiges Amt das Deutsche Reich Selbstzweck oder soll dieses
Reich dem ganzen deutschen Volk dienen? Es gab einst eine großdeutsche Frage,
als es sich um die Reichsgründung handelte. Nun taucht im Weltgeschehen
von neuem eine großdeutsche Frage auf: soll die Reichsangehörigkeit oder die
Volksangehörigkeit zur Grundlage der deutschen Politik gemacht werden? Die
nächsten Jahrzehnte müssen uns Entwicklungen bringen, in denen dieser heut
noch wenig zur Geltung kommende Gegensatz uns vor die schwersten Entschei¬
dungen stellen wird.

Man sucht nun im Ausland gelegentlich Vorurteile gegen das Deutsche
Reich zu erwecken durch das Schreckbild eines "Pangermanismus". Man denkt
sich diesen Begriff als Grundlage einer imperialistischen Reichspolitik, als wolle
das Reich möglichst alle Gebiete, die von Deutschen bewohnt werden, zu einem
Imperium vereinigen. Ein solcher Irrtum ist, wo er nicht einfach bösen Ab¬
sichten entspringt, nur aus der allzu großen Sehweite zu erklären, aus der man
die deutschen Angelegenheiten im Ausland betrachtet. Die "Auslandsdeutschen"
sind so sehr in fremde Völker eingebettet, sie sind geschichtlich und persönlich so
sehr an das Wohlergehen der anderen Staaten gebunden, sie sind auch gemäß



2.

Keine Frage scheint leichter beantwortet als die, für wen eigentlich deutsche
Weltpolitik gemacht wird. Man sagt unwillkürlich: für das Deutsche Reich,
denn das Auswärtige Amt ist ja eine Einrichtung dieses Reiches. Man
braucht demgegenüber nur zu antworten: für das deutsche Volk, und alsbald
stehen wir vor einer sehr verwickelten Hauptfrage unserer Politik. (Bereits im
ersten Satz der Verfassung des Deutschen Reiches stehen die oft übersehenen
Worte: „. . . schließen einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes
und des innerhalb desselben gültigen Rechtes sowie zur Pflege und Wohlfahrt
des deutschen Volkes." Also ausdrücklich: nicht zur Pflege und Wohlfahrt der
Staatsangehörigen des Teutschen Reiches, sondern des deutscheu Volkes schlechthin.)
Das deutsche Volk deckt sich nicht mit der Staatsgrenze des Reiches. Millionen
von Deutschen wohnen in Rußland, Österreich, Siebenbürgen, in der Schweiz,
in den amerikanischen Erdteilen, kurz, über die ganze bewohnte Welt zerstreut.
Das deutsche Volk hat mehrere Staaten mitbegründet und arbeitet an ihrer
Erhaltung mit all der Hingebung, mit der ein Deutscher an der Erhaltung eines
eigenen Werkes zu arbeiten pflegt. Was das Volk zu einer überstaatlichen
Einheit zusammenhält, ist vor allem die deutsche Sprache und mit ihr die deutsche
Kultur. Dazu das Bewußtsein des gemeinsamen Blutes und der gemeinsamen
Vergangenheit. Was dem Staate „Deutsches Reich" in dem gemeindeutschen
Leben eine besondere Stellung verleiht, ist, daß er auf dem alten Mutterboden
des Volkes entstanden und die verhältnismäßig reinste Ausprägung des sozialen
und politischen deutschen Wesens (abgesehen vielleicht von den deutsch¬
schweizerischen Kantonen) geworden ist. Er ist schlechthin die „deutsche Heimat".
Indem wir die Augen auf diesen Zustand unseres Volkes heften, fragen wir:
ist für unser Auswärtiges Amt das Deutsche Reich Selbstzweck oder soll dieses
Reich dem ganzen deutschen Volk dienen? Es gab einst eine großdeutsche Frage,
als es sich um die Reichsgründung handelte. Nun taucht im Weltgeschehen
von neuem eine großdeutsche Frage auf: soll die Reichsangehörigkeit oder die
Volksangehörigkeit zur Grundlage der deutschen Politik gemacht werden? Die
nächsten Jahrzehnte müssen uns Entwicklungen bringen, in denen dieser heut
noch wenig zur Geltung kommende Gegensatz uns vor die schwersten Entschei¬
dungen stellen wird.

Man sucht nun im Ausland gelegentlich Vorurteile gegen das Deutsche
Reich zu erwecken durch das Schreckbild eines „Pangermanismus". Man denkt
sich diesen Begriff als Grundlage einer imperialistischen Reichspolitik, als wolle
das Reich möglichst alle Gebiete, die von Deutschen bewohnt werden, zu einem
Imperium vereinigen. Ein solcher Irrtum ist, wo er nicht einfach bösen Ab¬
sichten entspringt, nur aus der allzu großen Sehweite zu erklären, aus der man
die deutschen Angelegenheiten im Ausland betrachtet. Die „Auslandsdeutschen"
sind so sehr in fremde Völker eingebettet, sie sind geschichtlich und persönlich so
sehr an das Wohlergehen der anderen Staaten gebunden, sie sind auch gemäß


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[0111] 2. Keine Frage scheint leichter beantwortet als die, für wen eigentlich deutsche Weltpolitik gemacht wird. Man sagt unwillkürlich: für das Deutsche Reich, denn das Auswärtige Amt ist ja eine Einrichtung dieses Reiches. Man braucht demgegenüber nur zu antworten: für das deutsche Volk, und alsbald stehen wir vor einer sehr verwickelten Hauptfrage unserer Politik. (Bereits im ersten Satz der Verfassung des Deutschen Reiches stehen die oft übersehenen Worte: „. . . schließen einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes sowie zur Pflege und Wohlfahrt des deutschen Volkes." Also ausdrücklich: nicht zur Pflege und Wohlfahrt der Staatsangehörigen des Teutschen Reiches, sondern des deutscheu Volkes schlechthin.) Das deutsche Volk deckt sich nicht mit der Staatsgrenze des Reiches. Millionen von Deutschen wohnen in Rußland, Österreich, Siebenbürgen, in der Schweiz, in den amerikanischen Erdteilen, kurz, über die ganze bewohnte Welt zerstreut. Das deutsche Volk hat mehrere Staaten mitbegründet und arbeitet an ihrer Erhaltung mit all der Hingebung, mit der ein Deutscher an der Erhaltung eines eigenen Werkes zu arbeiten pflegt. Was das Volk zu einer überstaatlichen Einheit zusammenhält, ist vor allem die deutsche Sprache und mit ihr die deutsche Kultur. Dazu das Bewußtsein des gemeinsamen Blutes und der gemeinsamen Vergangenheit. Was dem Staate „Deutsches Reich" in dem gemeindeutschen Leben eine besondere Stellung verleiht, ist, daß er auf dem alten Mutterboden des Volkes entstanden und die verhältnismäßig reinste Ausprägung des sozialen und politischen deutschen Wesens (abgesehen vielleicht von den deutsch¬ schweizerischen Kantonen) geworden ist. Er ist schlechthin die „deutsche Heimat". Indem wir die Augen auf diesen Zustand unseres Volkes heften, fragen wir: ist für unser Auswärtiges Amt das Deutsche Reich Selbstzweck oder soll dieses Reich dem ganzen deutschen Volk dienen? Es gab einst eine großdeutsche Frage, als es sich um die Reichsgründung handelte. Nun taucht im Weltgeschehen von neuem eine großdeutsche Frage auf: soll die Reichsangehörigkeit oder die Volksangehörigkeit zur Grundlage der deutschen Politik gemacht werden? Die nächsten Jahrzehnte müssen uns Entwicklungen bringen, in denen dieser heut noch wenig zur Geltung kommende Gegensatz uns vor die schwersten Entschei¬ dungen stellen wird. Man sucht nun im Ausland gelegentlich Vorurteile gegen das Deutsche Reich zu erwecken durch das Schreckbild eines „Pangermanismus". Man denkt sich diesen Begriff als Grundlage einer imperialistischen Reichspolitik, als wolle das Reich möglichst alle Gebiete, die von Deutschen bewohnt werden, zu einem Imperium vereinigen. Ein solcher Irrtum ist, wo er nicht einfach bösen Ab¬ sichten entspringt, nur aus der allzu großen Sehweite zu erklären, aus der man die deutschen Angelegenheiten im Ausland betrachtet. Die „Auslandsdeutschen" sind so sehr in fremde Völker eingebettet, sie sind geschichtlich und persönlich so sehr an das Wohlergehen der anderen Staaten gebunden, sie sind auch gemäß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/111>, abgerufen am 13.11.2024.