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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Orientalischen Seminars ins Auge fassen, durch Angliederung von Vorlesungen
über internationales Recht, Verfassungen der Fremdstaaten, Finanzwissenschaft
und Zollpolitik; eine starke Dosis politischer Geschichte des Auslandes hätte das
Lehrprogramm zu vervollständigen. Damit aber wäre meines Erachtens alles
Wünschenswerte erfüllt. Denn unsere Konsuln und Diplomaten sollen keine
Gelehrten sein, die wissenschaftliche Probleme lösen, sondern praktische Politiker,
die die bestehenden jeweiligen Verhältnisse zu Nutz und Frommen der Heimat
G, Li, zu biegen wissen.


Das russische Problem

Die Dinge in Rußland entwickeln sich langsam in der Richtung, die ich in
meinem Aufsatz über den Ministerpräsidenten des Zarenreichs (Heft 8) angedeutet
habe. Goremykin geht entschieden vor allen Dingen darauf aus, in der inneren
Politik klare Verhältnisse zu schaffen und die Negierungsautorität in allen
ihren Ausstrahlungen aufzurichten. Er wird wegen dieses Bestrebens vielfach
bespöttelt, weil sein Ministerium so wenig homogen sei. Zieht man in Betracht,
daß Herr Suchomlinow Kriegspolitik treibt, während er selbst durchaus Frieden
wünscht, der notwendig ist, um die inneren Schwierigkeiten zu überwinden, so sieht
es in der Tat mit seiner Autorität nicht erfreulich aus. Goremykin läßt sich
dadurch nicht anfechten: in seiner ruhigen Art arbeitet er für die Zukunft, in¬
dem er zuverlässige Männer in diejenigen Stellungen bringt, wo starker Wille
und gute Nerven am Platze sind. So ist auch der Sohn des so viel geschmähten
Ministers Plehwe, der noch vor wenigen Jahren bescheidener Staatsanwalt in
der Provinz war, dann dank seiner großen Arbeitskraft zum Protokollführer
im Ministerkomitee befördert wurde, zum Gehilfen des Ministers des Inneren
aufgemalt. Und wir werden wohl damit rechnen dürfen, daß dieser tüchtige,
verhältnismäßig junge Mann in der inneren Entwicklung Rußlands noch
eine Rolle spielen wird. Eine Schwierigkeit in der Entwicklung liegt in der
Erkrankung des Ministers sür Landwirtschaft, Kriwoschein, der neuerdings seinen
Aufenthalt im Süden hat verlängern müssen. Wie ich höre, soll er aber
ein gut organisiertes und exakt arbeitendes Ministerium in Petersburg zurück¬
gelassen haben, so daß Goremykin wohl aus der Zahl der Beamten auch einen
Nachfolger für den schwer leidenden Agrarreformer finden dürfte. Mit der Volks¬
vertretung scheint sich die Regierung nicht viel Zwang auferlegen zu wollen.
Jedenfalls deutet das letzte Reskript des Zaren darauf hin. daß man zwar
bereit sein wird, mit der Duma zu arbeiten, daß man sich aber auch ohne die
Duma durchhelfen könne. Wenn Goremykin in seinem hohen Alter eine solche
Politik gutheißt, wird er wohl auch Männer im Auge haben, die jederzeit an
seine Stelle springen können.

Im Auslande hat es Herr Graf Witte verstanden, die Aufmerksamkeit
wieder ganz auf seine Person zu lenken. Von Berlin aus läßt es sich
schwer entscheiden, was an den Schreibereien, besonders des "Nowoje Wremja",


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Orientalischen Seminars ins Auge fassen, durch Angliederung von Vorlesungen
über internationales Recht, Verfassungen der Fremdstaaten, Finanzwissenschaft
und Zollpolitik; eine starke Dosis politischer Geschichte des Auslandes hätte das
Lehrprogramm zu vervollständigen. Damit aber wäre meines Erachtens alles
Wünschenswerte erfüllt. Denn unsere Konsuln und Diplomaten sollen keine
Gelehrten sein, die wissenschaftliche Probleme lösen, sondern praktische Politiker,
die die bestehenden jeweiligen Verhältnisse zu Nutz und Frommen der Heimat
G, Li, zu biegen wissen.


Das russische Problem

Die Dinge in Rußland entwickeln sich langsam in der Richtung, die ich in
meinem Aufsatz über den Ministerpräsidenten des Zarenreichs (Heft 8) angedeutet
habe. Goremykin geht entschieden vor allen Dingen darauf aus, in der inneren
Politik klare Verhältnisse zu schaffen und die Negierungsautorität in allen
ihren Ausstrahlungen aufzurichten. Er wird wegen dieses Bestrebens vielfach
bespöttelt, weil sein Ministerium so wenig homogen sei. Zieht man in Betracht,
daß Herr Suchomlinow Kriegspolitik treibt, während er selbst durchaus Frieden
wünscht, der notwendig ist, um die inneren Schwierigkeiten zu überwinden, so sieht
es in der Tat mit seiner Autorität nicht erfreulich aus. Goremykin läßt sich
dadurch nicht anfechten: in seiner ruhigen Art arbeitet er für die Zukunft, in¬
dem er zuverlässige Männer in diejenigen Stellungen bringt, wo starker Wille
und gute Nerven am Platze sind. So ist auch der Sohn des so viel geschmähten
Ministers Plehwe, der noch vor wenigen Jahren bescheidener Staatsanwalt in
der Provinz war, dann dank seiner großen Arbeitskraft zum Protokollführer
im Ministerkomitee befördert wurde, zum Gehilfen des Ministers des Inneren
aufgemalt. Und wir werden wohl damit rechnen dürfen, daß dieser tüchtige,
verhältnismäßig junge Mann in der inneren Entwicklung Rußlands noch
eine Rolle spielen wird. Eine Schwierigkeit in der Entwicklung liegt in der
Erkrankung des Ministers sür Landwirtschaft, Kriwoschein, der neuerdings seinen
Aufenthalt im Süden hat verlängern müssen. Wie ich höre, soll er aber
ein gut organisiertes und exakt arbeitendes Ministerium in Petersburg zurück¬
gelassen haben, so daß Goremykin wohl aus der Zahl der Beamten auch einen
Nachfolger für den schwer leidenden Agrarreformer finden dürfte. Mit der Volks¬
vertretung scheint sich die Regierung nicht viel Zwang auferlegen zu wollen.
Jedenfalls deutet das letzte Reskript des Zaren darauf hin. daß man zwar
bereit sein wird, mit der Duma zu arbeiten, daß man sich aber auch ohne die
Duma durchhelfen könne. Wenn Goremykin in seinem hohen Alter eine solche
Politik gutheißt, wird er wohl auch Männer im Auge haben, die jederzeit an
seine Stelle springen können.

Im Auslande hat es Herr Graf Witte verstanden, die Aufmerksamkeit
wieder ganz auf seine Person zu lenken. Von Berlin aus läßt es sich
schwer entscheiden, was an den Schreibereien, besonders des „Nowoje Wremja",


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[0627] Rcichssxiegel Orientalischen Seminars ins Auge fassen, durch Angliederung von Vorlesungen über internationales Recht, Verfassungen der Fremdstaaten, Finanzwissenschaft und Zollpolitik; eine starke Dosis politischer Geschichte des Auslandes hätte das Lehrprogramm zu vervollständigen. Damit aber wäre meines Erachtens alles Wünschenswerte erfüllt. Denn unsere Konsuln und Diplomaten sollen keine Gelehrten sein, die wissenschaftliche Probleme lösen, sondern praktische Politiker, die die bestehenden jeweiligen Verhältnisse zu Nutz und Frommen der Heimat G, Li, zu biegen wissen. Das russische Problem Die Dinge in Rußland entwickeln sich langsam in der Richtung, die ich in meinem Aufsatz über den Ministerpräsidenten des Zarenreichs (Heft 8) angedeutet habe. Goremykin geht entschieden vor allen Dingen darauf aus, in der inneren Politik klare Verhältnisse zu schaffen und die Negierungsautorität in allen ihren Ausstrahlungen aufzurichten. Er wird wegen dieses Bestrebens vielfach bespöttelt, weil sein Ministerium so wenig homogen sei. Zieht man in Betracht, daß Herr Suchomlinow Kriegspolitik treibt, während er selbst durchaus Frieden wünscht, der notwendig ist, um die inneren Schwierigkeiten zu überwinden, so sieht es in der Tat mit seiner Autorität nicht erfreulich aus. Goremykin läßt sich dadurch nicht anfechten: in seiner ruhigen Art arbeitet er für die Zukunft, in¬ dem er zuverlässige Männer in diejenigen Stellungen bringt, wo starker Wille und gute Nerven am Platze sind. So ist auch der Sohn des so viel geschmähten Ministers Plehwe, der noch vor wenigen Jahren bescheidener Staatsanwalt in der Provinz war, dann dank seiner großen Arbeitskraft zum Protokollführer im Ministerkomitee befördert wurde, zum Gehilfen des Ministers des Inneren aufgemalt. Und wir werden wohl damit rechnen dürfen, daß dieser tüchtige, verhältnismäßig junge Mann in der inneren Entwicklung Rußlands noch eine Rolle spielen wird. Eine Schwierigkeit in der Entwicklung liegt in der Erkrankung des Ministers sür Landwirtschaft, Kriwoschein, der neuerdings seinen Aufenthalt im Süden hat verlängern müssen. Wie ich höre, soll er aber ein gut organisiertes und exakt arbeitendes Ministerium in Petersburg zurück¬ gelassen haben, so daß Goremykin wohl aus der Zahl der Beamten auch einen Nachfolger für den schwer leidenden Agrarreformer finden dürfte. Mit der Volks¬ vertretung scheint sich die Regierung nicht viel Zwang auferlegen zu wollen. Jedenfalls deutet das letzte Reskript des Zaren darauf hin. daß man zwar bereit sein wird, mit der Duma zu arbeiten, daß man sich aber auch ohne die Duma durchhelfen könne. Wenn Goremykin in seinem hohen Alter eine solche Politik gutheißt, wird er wohl auch Männer im Auge haben, die jederzeit an seine Stelle springen können. Im Auslande hat es Herr Graf Witte verstanden, die Aufmerksamkeit wieder ganz auf seine Person zu lenken. Von Berlin aus läßt es sich schwer entscheiden, was an den Schreibereien, besonders des „Nowoje Wremja",

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/627>, abgerufen am 29.12.2024.