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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Siegfried oder Achill?

"Wir ziehen mit dem Herzog an die Mosel!" rief er mit seiner hellen
Stimme. "Der Lothringer kommt hernach, wir aber bilden die Vorhut!"

"Sapperlot, das lob ich mir!" Josias wischte sich die Stirn und rückte
an seinem Wehrgehenk. "Die Franzosen laß ich gern über die Klinge springen
und einige andere dazu!"

Er sah zu Sebastian hin, der regungslos, mit weit geöffneten Augen stand.

"Ihr solltet mitkommen, Junker!" sagte er halb spöttisch. "Wir armen
Ketzer tragen unsere Haut für die Rheinländer zu Markt und diese beten nicht
einmal für uns. Wir haben ja nicht den rechten heiligen Glauben! Aber
beschützen dürfen wir Euch!"

Klirrend ging er die Straße hinunter und Gerritt folgte ihm mit zufriedenen
Gesicht.

"Ja, so ein papistisch Herrlein, mit einem Heiligen im Gemach --" Die
anderen Worte verklangen, Sebastian hörte sie nicht mehr.

(Fortsetzung folgt"




Siegfried oder Achill?
Dr. Roland Schacht Von

n allen modernen Literaturen gibt es Werke, deren technische
Vollkommenheit jeder unvoreingenommene Kritiker anerkennen
I muß und die doch ohne jede Wirkung sind. Woher mag das
kommen? Oder stellen wir die Frage gleich allgemeiner: wo-
^ durch wird Kunst populär, d. h. wodurch ist sie imstande, nicht
nur einem engeren Kreise von literarisch Interessierten, nicht nur einem weiteren
von Gebildeten, sondern auch dem Volk, mithin der gesamten Nation lebendige
und nachhaltige Eindrücke mitzuteilen? Offenbar zunächst durch künstlerische
Qualität. Nur was von einer gewissen technischen Qualität ist, es braucht nicht
immer die höchste zu sein, vermag sich dauernd zu behaupten. Aber wie aus
der oben gestellten ersten Frage bereits hervorgeht und ich schon unlängst in
meinem Kleist-Aufsatz angedeutet habe (Grenzboten 72. Jahrg. Ur. 42), genügt
die Qualität allem nicht, damit ein Werk von der Nation dankbar entgegen¬
genommen wird, es bedarf offenbar noch anderer Eigenschaften.

Zunächst der Einfachheit. Das Komplizierte ist stets das Produkt eines
relativ engen, in sich geschlossenen Kreises, der mit den ihm gegebenen Möglich¬
keiten zu spielen beginnt; außerhalb dieses Kreises überzeugt es nicht mit jener
unmittelbar schlagenden und doch nachhaltigen Wirkung, die die Hauptbedingung


Siegfried oder Achill?

„Wir ziehen mit dem Herzog an die Mosel!" rief er mit seiner hellen
Stimme. „Der Lothringer kommt hernach, wir aber bilden die Vorhut!"

„Sapperlot, das lob ich mir!" Josias wischte sich die Stirn und rückte
an seinem Wehrgehenk. „Die Franzosen laß ich gern über die Klinge springen
und einige andere dazu!"

Er sah zu Sebastian hin, der regungslos, mit weit geöffneten Augen stand.

„Ihr solltet mitkommen, Junker!" sagte er halb spöttisch. „Wir armen
Ketzer tragen unsere Haut für die Rheinländer zu Markt und diese beten nicht
einmal für uns. Wir haben ja nicht den rechten heiligen Glauben! Aber
beschützen dürfen wir Euch!"

Klirrend ging er die Straße hinunter und Gerritt folgte ihm mit zufriedenen
Gesicht.

„Ja, so ein papistisch Herrlein, mit einem Heiligen im Gemach —" Die
anderen Worte verklangen, Sebastian hörte sie nicht mehr.

(Fortsetzung folgt»




Siegfried oder Achill?
Dr. Roland Schacht Von

n allen modernen Literaturen gibt es Werke, deren technische
Vollkommenheit jeder unvoreingenommene Kritiker anerkennen
I muß und die doch ohne jede Wirkung sind. Woher mag das
kommen? Oder stellen wir die Frage gleich allgemeiner: wo-
^ durch wird Kunst populär, d. h. wodurch ist sie imstande, nicht
nur einem engeren Kreise von literarisch Interessierten, nicht nur einem weiteren
von Gebildeten, sondern auch dem Volk, mithin der gesamten Nation lebendige
und nachhaltige Eindrücke mitzuteilen? Offenbar zunächst durch künstlerische
Qualität. Nur was von einer gewissen technischen Qualität ist, es braucht nicht
immer die höchste zu sein, vermag sich dauernd zu behaupten. Aber wie aus
der oben gestellten ersten Frage bereits hervorgeht und ich schon unlängst in
meinem Kleist-Aufsatz angedeutet habe (Grenzboten 72. Jahrg. Ur. 42), genügt
die Qualität allem nicht, damit ein Werk von der Nation dankbar entgegen¬
genommen wird, es bedarf offenbar noch anderer Eigenschaften.

Zunächst der Einfachheit. Das Komplizierte ist stets das Produkt eines
relativ engen, in sich geschlossenen Kreises, der mit den ihm gegebenen Möglich¬
keiten zu spielen beginnt; außerhalb dieses Kreises überzeugt es nicht mit jener
unmittelbar schlagenden und doch nachhaltigen Wirkung, die die Hauptbedingung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/614>, abgerufen am 29.12.2024.