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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Neue Aunstbücher
Dr. Richard Mcßleny von

n einem sonnenstrahlenden Septembertag habe ich es übers Herz
gebracht, in den Glaspalast zu gehen, da man in München aus¬
nahmslos der Meinung war, "man" müsse hinein. Ich ging, --
so sauer es mich auch ankam, deun es war ein Münchener Tag, der
die glückspendende Schönheit dieser einzigen Stadt offenbarte,
die nur denen aufgeht, die nicht nach München kommen, um "die Kunststadt
an der Jsar" anzusehen, sondern die dahin gehören, die aus irgendeinem klaren
oder unklaren Grunde dem Asniu8 loci verwandt sind. Und da wandelte ich
denn in der gläsernen Kunstgarage von einem Saal zum anderen mit ergebungs¬
vollen, trägem Pflichtgefühl. Plötzlich stand ich vor einem offenen Seiten¬
eingang. Die türenlosen Pfosten mit hellgelbem Rupfen bespannt, rahmten ein
Stück Nasen bildhaft energisch ein. Und Befreiung, jubelnde Entdeckung erscholl
mir in der Brust, ein Dankgebet, daß all die gequälten Leinwände um mich
her nur ein böser Traum sind, nichts, nichts Wirkliches, all das verzweifelte
Gesuche nach dem Etwas; Sicherheit stieg schmetternd mir fast zur Kehle
heraus: Du bist, du allewige Jugend, Natur! Der Schlagschatten, wie mit
dem Lineal gezogen, hegte das hohe Gras in blauweiche Dunkelheit und
flimmernd geigte im blitzenden Grün jedes Hälmchen seinen Sopran sonnenhalb
im echten Bild. Da ward ich ruhig, beglückt: ich hatte das Pfand dafür, daß
wir uns noch so sehr verirren dürfen im Gewirr aller Begrifflichkeit, im stei¬
nernen Labyrinth des Ismus. Jedesmal wird wohl einer kommen, die Türe
aufschlagen und mit dem dümmsten, banalsten Sonnenstrahl auf blonden Zöpfen
uns von unserer allzugroßen Klugheit glücklich befreien.

Hermann Abbe-Bernays treffliches Buch über Carl Spitzweg: "Des
Meisters Leben und Werk, seine Bedeutung in der Geschichte der
Münchener Kunst" (zweite vermehrte Auflage, Delphin-Verlag München 1914;
14 Mark) ist wahrhaftig so ein Notausgang, inmitten der leid- und qualvollen
Kunstliteratur, die uns umgibt. Nirgends die so "beliebten" Abgründe erkenntnis¬
theoretischer Faselei, nirgends ein künstliches Hinaussteigern des Stoffes in
Regionen lebloser Abstraktion, grundsätzlicher Spekulation, oder das ebenfalls
moderne Herumwerfen mit einer unerquicklichen Terminologie ateliertechnischer




Neue Aunstbücher
Dr. Richard Mcßleny von

n einem sonnenstrahlenden Septembertag habe ich es übers Herz
gebracht, in den Glaspalast zu gehen, da man in München aus¬
nahmslos der Meinung war, „man" müsse hinein. Ich ging, —
so sauer es mich auch ankam, deun es war ein Münchener Tag, der
die glückspendende Schönheit dieser einzigen Stadt offenbarte,
die nur denen aufgeht, die nicht nach München kommen, um „die Kunststadt
an der Jsar" anzusehen, sondern die dahin gehören, die aus irgendeinem klaren
oder unklaren Grunde dem Asniu8 loci verwandt sind. Und da wandelte ich
denn in der gläsernen Kunstgarage von einem Saal zum anderen mit ergebungs¬
vollen, trägem Pflichtgefühl. Plötzlich stand ich vor einem offenen Seiten¬
eingang. Die türenlosen Pfosten mit hellgelbem Rupfen bespannt, rahmten ein
Stück Nasen bildhaft energisch ein. Und Befreiung, jubelnde Entdeckung erscholl
mir in der Brust, ein Dankgebet, daß all die gequälten Leinwände um mich
her nur ein böser Traum sind, nichts, nichts Wirkliches, all das verzweifelte
Gesuche nach dem Etwas; Sicherheit stieg schmetternd mir fast zur Kehle
heraus: Du bist, du allewige Jugend, Natur! Der Schlagschatten, wie mit
dem Lineal gezogen, hegte das hohe Gras in blauweiche Dunkelheit und
flimmernd geigte im blitzenden Grün jedes Hälmchen seinen Sopran sonnenhalb
im echten Bild. Da ward ich ruhig, beglückt: ich hatte das Pfand dafür, daß
wir uns noch so sehr verirren dürfen im Gewirr aller Begrifflichkeit, im stei¬
nernen Labyrinth des Ismus. Jedesmal wird wohl einer kommen, die Türe
aufschlagen und mit dem dümmsten, banalsten Sonnenstrahl auf blonden Zöpfen
uns von unserer allzugroßen Klugheit glücklich befreien.

Hermann Abbe-Bernays treffliches Buch über Carl Spitzweg: „Des
Meisters Leben und Werk, seine Bedeutung in der Geschichte der
Münchener Kunst" (zweite vermehrte Auflage, Delphin-Verlag München 1914;
14 Mark) ist wahrhaftig so ein Notausgang, inmitten der leid- und qualvollen
Kunstliteratur, die uns umgibt. Nirgends die so „beliebten" Abgründe erkenntnis¬
theoretischer Faselei, nirgends ein künstliches Hinaussteigern des Stoffes in
Regionen lebloser Abstraktion, grundsätzlicher Spekulation, oder das ebenfalls
moderne Herumwerfen mit einer unerquicklichen Terminologie ateliertechnischer


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[0384] [Abbildung] Neue Aunstbücher Dr. Richard Mcßleny von n einem sonnenstrahlenden Septembertag habe ich es übers Herz gebracht, in den Glaspalast zu gehen, da man in München aus¬ nahmslos der Meinung war, „man" müsse hinein. Ich ging, — so sauer es mich auch ankam, deun es war ein Münchener Tag, der die glückspendende Schönheit dieser einzigen Stadt offenbarte, die nur denen aufgeht, die nicht nach München kommen, um „die Kunststadt an der Jsar" anzusehen, sondern die dahin gehören, die aus irgendeinem klaren oder unklaren Grunde dem Asniu8 loci verwandt sind. Und da wandelte ich denn in der gläsernen Kunstgarage von einem Saal zum anderen mit ergebungs¬ vollen, trägem Pflichtgefühl. Plötzlich stand ich vor einem offenen Seiten¬ eingang. Die türenlosen Pfosten mit hellgelbem Rupfen bespannt, rahmten ein Stück Nasen bildhaft energisch ein. Und Befreiung, jubelnde Entdeckung erscholl mir in der Brust, ein Dankgebet, daß all die gequälten Leinwände um mich her nur ein böser Traum sind, nichts, nichts Wirkliches, all das verzweifelte Gesuche nach dem Etwas; Sicherheit stieg schmetternd mir fast zur Kehle heraus: Du bist, du allewige Jugend, Natur! Der Schlagschatten, wie mit dem Lineal gezogen, hegte das hohe Gras in blauweiche Dunkelheit und flimmernd geigte im blitzenden Grün jedes Hälmchen seinen Sopran sonnenhalb im echten Bild. Da ward ich ruhig, beglückt: ich hatte das Pfand dafür, daß wir uns noch so sehr verirren dürfen im Gewirr aller Begrifflichkeit, im stei¬ nernen Labyrinth des Ismus. Jedesmal wird wohl einer kommen, die Türe aufschlagen und mit dem dümmsten, banalsten Sonnenstrahl auf blonden Zöpfen uns von unserer allzugroßen Klugheit glücklich befreien. Hermann Abbe-Bernays treffliches Buch über Carl Spitzweg: „Des Meisters Leben und Werk, seine Bedeutung in der Geschichte der Münchener Kunst" (zweite vermehrte Auflage, Delphin-Verlag München 1914; 14 Mark) ist wahrhaftig so ein Notausgang, inmitten der leid- und qualvollen Kunstliteratur, die uns umgibt. Nirgends die so „beliebten" Abgründe erkenntnis¬ theoretischer Faselei, nirgends ein künstliches Hinaussteigern des Stoffes in Regionen lebloser Abstraktion, grundsätzlicher Spekulation, oder das ebenfalls moderne Herumwerfen mit einer unerquicklichen Terminologie ateliertechnischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/384>, abgerufen am 29.12.2024.