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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Gluck
Dr. H, Schlüchterer von

Am zweiten Juli dieses Jahres wird sich der Geburtstag Glucks
zum zweihundertsten Mal jähren. Was dieser Meister uns ist und sein
kann, berichtet der nachfolgende Aufsatz. Der Gedenktag wird bei uns
und im Auslande festlich begangen werden. Paris ist dessen eingedenk,
daß der deutsche Meister "Orpheus", "Alceste", "Armida", namentlich
aber seine beiden "Iphigenien" daselbst zur Aufführung brachte. Wien,
wo Gluck Kapellmeister war und 1787 starb, wird ein Denkmal errichten,
zu dem am Geburtstag der Grundstein gelegt werden soll. In Deutsch¬
land bereitet die "Gluckgesellschaft" eine Ausgabe der Hauptwerke und
die Begründung eines "Gluckjahrbuchs" bor, und die zur Förderung des
Verständnisses des Meisters zusammengetretene "Gluckgemeinde" strebt die
Aufführung von einigen tragischen und auch komischen Schöpfungen
Glucks in rein klassischem Orchesterstil an.

em Ritter Chr. Willibald von Gluck hat unsere Zeit ein zwie¬
spältiges Los bereitet. Keine Musikgeschichte, auf welchen: Stand¬
punkte sie auch steht, und wenn es sich um den flüchtigsten Abriß
handelt, wird seines Namens vergessen und jede wird ihn
mit hohen Ehren nennen. In auffälligen Gegensatz dazu steht
die bescheidene Rolle, die Gluck im modernen Musikleben spielt, wenigstens bei
uns in Deutschland. Mit wenigen rühmlichen Ausnahmen gehen Opern-
Intendanten und Konzertleiter kalt an ihm vorüber, ja es mag Leute von ge¬
diegener musikalischer Bildung geben, die von dem berühmten, in allen Musik¬
geschichten mit Ehren genannten Gluck nur die Ouvertüre zur "Iphigenie in
Antis" kennen.

Nun braucht dieser Gegensatz zwischen historischer Würdigung und praktischer
Vernachlässigung nicht unbedingt einen Widerspruch in sich zu schließen. Als
"Reformator der Oper" wird Gluck einstimmig gerühmt, seine Verdienste um die
Entwicklung des Musikdramas werden unbedingt anerkannt, aber ein Nachweis
sür die Lebensberechtigung seiner Werke ist hiermit noch nicht erbracht. Es hängt
eben mit dem innersten Wesen der Kunst überhaupt und der Musik im be¬
sonderen zusammen, daß über die Lebenssühigkeit des Einzelwerkes die gefühls¬
müßige Wirkung entscheidet; und keine noch so gründliche historische Betrachtung
vermag ein Werk, das unserm Gefühl sonst abgestorben ist. wieder zu beleben.
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Gluck
Dr. H, Schlüchterer von

Am zweiten Juli dieses Jahres wird sich der Geburtstag Glucks
zum zweihundertsten Mal jähren. Was dieser Meister uns ist und sein
kann, berichtet der nachfolgende Aufsatz. Der Gedenktag wird bei uns
und im Auslande festlich begangen werden. Paris ist dessen eingedenk,
daß der deutsche Meister „Orpheus", „Alceste", „Armida", namentlich
aber seine beiden „Iphigenien" daselbst zur Aufführung brachte. Wien,
wo Gluck Kapellmeister war und 1787 starb, wird ein Denkmal errichten,
zu dem am Geburtstag der Grundstein gelegt werden soll. In Deutsch¬
land bereitet die „Gluckgesellschaft" eine Ausgabe der Hauptwerke und
die Begründung eines „Gluckjahrbuchs" bor, und die zur Förderung des
Verständnisses des Meisters zusammengetretene „Gluckgemeinde" strebt die
Aufführung von einigen tragischen und auch komischen Schöpfungen
Glucks in rein klassischem Orchesterstil an.

em Ritter Chr. Willibald von Gluck hat unsere Zeit ein zwie¬
spältiges Los bereitet. Keine Musikgeschichte, auf welchen: Stand¬
punkte sie auch steht, und wenn es sich um den flüchtigsten Abriß
handelt, wird seines Namens vergessen und jede wird ihn
mit hohen Ehren nennen. In auffälligen Gegensatz dazu steht
die bescheidene Rolle, die Gluck im modernen Musikleben spielt, wenigstens bei
uns in Deutschland. Mit wenigen rühmlichen Ausnahmen gehen Opern-
Intendanten und Konzertleiter kalt an ihm vorüber, ja es mag Leute von ge¬
diegener musikalischer Bildung geben, die von dem berühmten, in allen Musik¬
geschichten mit Ehren genannten Gluck nur die Ouvertüre zur „Iphigenie in
Antis" kennen.

Nun braucht dieser Gegensatz zwischen historischer Würdigung und praktischer
Vernachlässigung nicht unbedingt einen Widerspruch in sich zu schließen. Als
„Reformator der Oper" wird Gluck einstimmig gerühmt, seine Verdienste um die
Entwicklung des Musikdramas werden unbedingt anerkannt, aber ein Nachweis
sür die Lebensberechtigung seiner Werke ist hiermit noch nicht erbracht. Es hängt
eben mit dem innersten Wesen der Kunst überhaupt und der Musik im be¬
sonderen zusammen, daß über die Lebenssühigkeit des Einzelwerkes die gefühls¬
müßige Wirkung entscheidet; und keine noch so gründliche historische Betrachtung
vermag ein Werk, das unserm Gefühl sonst abgestorben ist. wieder zu beleben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/367>, abgerufen am 29.12.2024.