Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Bismarcks S"taatsstreichplan
Maximilian von Hagen von

is im Oktober 1906, wenig mehr als acht Jahre nach Bismarcks
Tode, die Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-
Schillingsfürst zur Ausgabe gelangten, da ergab sich für die
Geschichtswissenschaft eine reizvolle Aufgabe. Es galt die ver¬
schiedenen, oft in wenigen Worten liegenden Enthüllungen des
dritten deutschen Reichskanzlers, die in der Presse eine fast durchweg unfreund¬
liche Aufnahme fanden, unter die historische Lupe zu nehmen. Denn nur von
einer wissenschaftlichen Kritik der Veröffentlichung war eine intimere Kenntnis
der politischen Zusammenhänge der neuesten Geschichte zu erwarten, die ja für
den an der Regierung unbeteiligten Zeitgenossen niemals restlos zu deuten sind.

In diesem Sinne begann der Geschichtslehrer an der Universität Berlin,
Professor Hans Delbrück, die Frage des Bismarckschen Sturzes, zu der die
Hohenloheschen Tagebuchnotizen interessantes Material liefern, von neuem zu
prüfen, da diese Frage nach der Lektüre des Bismarckschen Entlassungsgesuches
und der sonstigen Eröffnungen über seinen plötzlichen Rücktritt dem Tiefer-
blickenden noch keineswegs gelöst erscheinen konnte. Die Ergebnisse seiner Unter¬
suchungen legte er noch im selben Jahre, im November- und Dezemberheft
seiner Preußischen Jahrbücher, der Öffentlichkeit vor. Sie gipfeln in der "Ent¬
hüllung", daß Bismarcks Entlassung hauptsächlich deshalb erfolgen mußte, weil
Kaiser Wilhelm der Zweite den Staatsstreichgedanken ablehnte, den der Alt¬
reichskanzler nach langjährigen Drohungen durch Abänderung des Wahlrechtes
zur Bekämpfung der Sozialdemokratie durchzuführen wünschte, als der Reichstag
ihm die Aussicht auf sichere Majoritäten zu versagen schien. In einem späteren
Aufsatze über "Bismarcks letzte politische Idee" löste Delbrück -- im Januar¬
heft der Preußischen Jahrbücher von 1912 -- durch vergleichende Untersuchung
aller bekannt gewordenen Bismarckschen Wahlrechtspläne auch die weitere Frage,
wie sich der Kanzler die Abwandlung der Verfassung gedacht haben muß.
Danach wollte Bismarck am Ende seiner Amtszeit das Wahlrecht nicht prin-




Bismarcks S»taatsstreichplan
Maximilian von Hagen von

is im Oktober 1906, wenig mehr als acht Jahre nach Bismarcks
Tode, die Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-
Schillingsfürst zur Ausgabe gelangten, da ergab sich für die
Geschichtswissenschaft eine reizvolle Aufgabe. Es galt die ver¬
schiedenen, oft in wenigen Worten liegenden Enthüllungen des
dritten deutschen Reichskanzlers, die in der Presse eine fast durchweg unfreund¬
liche Aufnahme fanden, unter die historische Lupe zu nehmen. Denn nur von
einer wissenschaftlichen Kritik der Veröffentlichung war eine intimere Kenntnis
der politischen Zusammenhänge der neuesten Geschichte zu erwarten, die ja für
den an der Regierung unbeteiligten Zeitgenossen niemals restlos zu deuten sind.

In diesem Sinne begann der Geschichtslehrer an der Universität Berlin,
Professor Hans Delbrück, die Frage des Bismarckschen Sturzes, zu der die
Hohenloheschen Tagebuchnotizen interessantes Material liefern, von neuem zu
prüfen, da diese Frage nach der Lektüre des Bismarckschen Entlassungsgesuches
und der sonstigen Eröffnungen über seinen plötzlichen Rücktritt dem Tiefer-
blickenden noch keineswegs gelöst erscheinen konnte. Die Ergebnisse seiner Unter¬
suchungen legte er noch im selben Jahre, im November- und Dezemberheft
seiner Preußischen Jahrbücher, der Öffentlichkeit vor. Sie gipfeln in der „Ent¬
hüllung", daß Bismarcks Entlassung hauptsächlich deshalb erfolgen mußte, weil
Kaiser Wilhelm der Zweite den Staatsstreichgedanken ablehnte, den der Alt¬
reichskanzler nach langjährigen Drohungen durch Abänderung des Wahlrechtes
zur Bekämpfung der Sozialdemokratie durchzuführen wünschte, als der Reichstag
ihm die Aussicht auf sichere Majoritäten zu versagen schien. In einem späteren
Aufsatze über „Bismarcks letzte politische Idee" löste Delbrück — im Januar¬
heft der Preußischen Jahrbücher von 1912 — durch vergleichende Untersuchung
aller bekannt gewordenen Bismarckschen Wahlrechtspläne auch die weitere Frage,
wie sich der Kanzler die Abwandlung der Verfassung gedacht haben muß.
Danach wollte Bismarck am Ende seiner Amtszeit das Wahlrecht nicht prin-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327676"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341899_327465/figures/grenzboten_341899_327465_327676_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Bismarcks S»taatsstreichplan<lb/><note type="byline"> Maximilian von Hagen</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_952"> is im Oktober 1906, wenig mehr als acht Jahre nach Bismarcks<lb/>
Tode, die Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-<lb/>
Schillingsfürst zur Ausgabe gelangten, da ergab sich für die<lb/>
Geschichtswissenschaft eine reizvolle Aufgabe. Es galt die ver¬<lb/>
schiedenen, oft in wenigen Worten liegenden Enthüllungen des<lb/>
dritten deutschen Reichskanzlers, die in der Presse eine fast durchweg unfreund¬<lb/>
liche Aufnahme fanden, unter die historische Lupe zu nehmen. Denn nur von<lb/>
einer wissenschaftlichen Kritik der Veröffentlichung war eine intimere Kenntnis<lb/>
der politischen Zusammenhänge der neuesten Geschichte zu erwarten, die ja für<lb/>
den an der Regierung unbeteiligten Zeitgenossen niemals restlos zu deuten sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_953" next="#ID_954"> In diesem Sinne begann der Geschichtslehrer an der Universität Berlin,<lb/>
Professor Hans Delbrück, die Frage des Bismarckschen Sturzes, zu der die<lb/>
Hohenloheschen Tagebuchnotizen interessantes Material liefern, von neuem zu<lb/>
prüfen, da diese Frage nach der Lektüre des Bismarckschen Entlassungsgesuches<lb/>
und der sonstigen Eröffnungen über seinen plötzlichen Rücktritt dem Tiefer-<lb/>
blickenden noch keineswegs gelöst erscheinen konnte. Die Ergebnisse seiner Unter¬<lb/>
suchungen legte er noch im selben Jahre, im November- und Dezemberheft<lb/>
seiner Preußischen Jahrbücher, der Öffentlichkeit vor. Sie gipfeln in der &#x201E;Ent¬<lb/>
hüllung", daß Bismarcks Entlassung hauptsächlich deshalb erfolgen mußte, weil<lb/>
Kaiser Wilhelm der Zweite den Staatsstreichgedanken ablehnte, den der Alt¬<lb/>
reichskanzler nach langjährigen Drohungen durch Abänderung des Wahlrechtes<lb/>
zur Bekämpfung der Sozialdemokratie durchzuführen wünschte, als der Reichstag<lb/>
ihm die Aussicht auf sichere Majoritäten zu versagen schien. In einem späteren<lb/>
Aufsatze über &#x201E;Bismarcks letzte politische Idee" löste Delbrück &#x2014; im Januar¬<lb/>
heft der Preußischen Jahrbücher von 1912 &#x2014; durch vergleichende Untersuchung<lb/>
aller bekannt gewordenen Bismarckschen Wahlrechtspläne auch die weitere Frage,<lb/>
wie sich der Kanzler die Abwandlung der Verfassung gedacht haben muß.<lb/>
Danach wollte Bismarck am Ende seiner Amtszeit das Wahlrecht nicht prin-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0210] [Abbildung] Bismarcks S»taatsstreichplan Maximilian von Hagen von is im Oktober 1906, wenig mehr als acht Jahre nach Bismarcks Tode, die Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe- Schillingsfürst zur Ausgabe gelangten, da ergab sich für die Geschichtswissenschaft eine reizvolle Aufgabe. Es galt die ver¬ schiedenen, oft in wenigen Worten liegenden Enthüllungen des dritten deutschen Reichskanzlers, die in der Presse eine fast durchweg unfreund¬ liche Aufnahme fanden, unter die historische Lupe zu nehmen. Denn nur von einer wissenschaftlichen Kritik der Veröffentlichung war eine intimere Kenntnis der politischen Zusammenhänge der neuesten Geschichte zu erwarten, die ja für den an der Regierung unbeteiligten Zeitgenossen niemals restlos zu deuten sind. In diesem Sinne begann der Geschichtslehrer an der Universität Berlin, Professor Hans Delbrück, die Frage des Bismarckschen Sturzes, zu der die Hohenloheschen Tagebuchnotizen interessantes Material liefern, von neuem zu prüfen, da diese Frage nach der Lektüre des Bismarckschen Entlassungsgesuches und der sonstigen Eröffnungen über seinen plötzlichen Rücktritt dem Tiefer- blickenden noch keineswegs gelöst erscheinen konnte. Die Ergebnisse seiner Unter¬ suchungen legte er noch im selben Jahre, im November- und Dezemberheft seiner Preußischen Jahrbücher, der Öffentlichkeit vor. Sie gipfeln in der „Ent¬ hüllung", daß Bismarcks Entlassung hauptsächlich deshalb erfolgen mußte, weil Kaiser Wilhelm der Zweite den Staatsstreichgedanken ablehnte, den der Alt¬ reichskanzler nach langjährigen Drohungen durch Abänderung des Wahlrechtes zur Bekämpfung der Sozialdemokratie durchzuführen wünschte, als der Reichstag ihm die Aussicht auf sichere Majoritäten zu versagen schien. In einem späteren Aufsatze über „Bismarcks letzte politische Idee" löste Delbrück — im Januar¬ heft der Preußischen Jahrbücher von 1912 — durch vergleichende Untersuchung aller bekannt gewordenen Bismarckschen Wahlrechtspläne auch die weitere Frage, wie sich der Kanzler die Abwandlung der Verfassung gedacht haben muß. Danach wollte Bismarck am Ende seiner Amtszeit das Wahlrecht nicht prin-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/210
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/210>, abgerufen am 29.12.2024.