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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Zur kcmdarbeiterfrage

Sankt Petersburg entwickelt sich durch einen Prozeß, wodurch sich Wörter,
Zusammensetzungen bilden. Das ausschließlich rechtgläubige Sankt fiel ab mit
der Erscheinung Peters, der die dualistische Doppelregierung des Heiligen und
Unheiligen befestigte. Eine weitere Etappe wird das Aufsuchen einer stärkeren
Basis sein, einer selbst sich beschützenden Burg -- Luthers Prinzip, vielmehr nicht
Luthers, sondern schon das der Hussiten, im Kern nicht germanisch -- sondern
allgemein kulturell.

Vor uns ist ein dreifach zusammengesetztes Wort, eine Bilderreihe, und
nicht ein einheitlicher Begriff, der absolut befriedigen würde. -- Darin liegt es,
weshalb sich die Seele Sankt Petersburgs nicht "fassen" läßt.




Zur Landarbeiterfrage
v Regienmgsrat Arnold Gaede on

WI ewöhnlich wird der große Bedarf an ausländischen Saisonarbeitern
in unseren landwirtschaftlichen Großbetrieben mit der größeren
Intensität der landwirtschaftlichen Wirtschaftsweise, mit dem ver¬
mehrten Anbau von Hackfrüchten (Kartoffeln und Zuckerrüben),
vor allem aber mit dem Mangel an Winterarbeit, der durch die
Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen entstanden ist, erklärt. Das trifft
auch zu. Das ganze Jahr hindurch kann der landwirtschaftliche Großbetrieb
bei den heutigen Produktionsverhältnissen nur einer bestimmten Zahl von Ar¬
beitern Beschäftigung geben. Für diese Zahl muß er Wohnung, Kost und
Lohn in jeder Jahreszeit bereithalten, Schul- und Armenlasten tragen. Daß
er das gleiche auch für die Arbeiter leiste, die er nur zur Bewältigung der
Mehrarbeit in der Bestellungs- und Erntezeit braucht, kann von ihm niemand
verlangen.

Solange es Saisonarbeiter gibt, die dem Gute nicht mehr zur Last
fallen, wenn die Ernte unter Dach und Fach gebracht ist, muß sie daher auch
der Großbetrieb verwenden. Er würde sonst unvernünftig wirtschaften.

Beachtet man dies, so kann man Herrn von Dewitz ("Eine ungewöhnliche
Gefahr für die deutsche Landwirtschaft", Ur. 255 des "Tag") nicht darin zu¬
stimmen, daß die Saisonarbeiter durch angesiedelte Arbeiter ersetzt werden
könnten und müßten. Denn die zur Saisonarbeit in landwirtschaftlichen Groß-


Grenzbsten I 1914 11
Zur kcmdarbeiterfrage

Sankt Petersburg entwickelt sich durch einen Prozeß, wodurch sich Wörter,
Zusammensetzungen bilden. Das ausschließlich rechtgläubige Sankt fiel ab mit
der Erscheinung Peters, der die dualistische Doppelregierung des Heiligen und
Unheiligen befestigte. Eine weitere Etappe wird das Aufsuchen einer stärkeren
Basis sein, einer selbst sich beschützenden Burg — Luthers Prinzip, vielmehr nicht
Luthers, sondern schon das der Hussiten, im Kern nicht germanisch — sondern
allgemein kulturell.

Vor uns ist ein dreifach zusammengesetztes Wort, eine Bilderreihe, und
nicht ein einheitlicher Begriff, der absolut befriedigen würde. — Darin liegt es,
weshalb sich die Seele Sankt Petersburgs nicht „fassen" läßt.




Zur Landarbeiterfrage
v Regienmgsrat Arnold Gaede on

WI ewöhnlich wird der große Bedarf an ausländischen Saisonarbeitern
in unseren landwirtschaftlichen Großbetrieben mit der größeren
Intensität der landwirtschaftlichen Wirtschaftsweise, mit dem ver¬
mehrten Anbau von Hackfrüchten (Kartoffeln und Zuckerrüben),
vor allem aber mit dem Mangel an Winterarbeit, der durch die
Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen entstanden ist, erklärt. Das trifft
auch zu. Das ganze Jahr hindurch kann der landwirtschaftliche Großbetrieb
bei den heutigen Produktionsverhältnissen nur einer bestimmten Zahl von Ar¬
beitern Beschäftigung geben. Für diese Zahl muß er Wohnung, Kost und
Lohn in jeder Jahreszeit bereithalten, Schul- und Armenlasten tragen. Daß
er das gleiche auch für die Arbeiter leiste, die er nur zur Bewältigung der
Mehrarbeit in der Bestellungs- und Erntezeit braucht, kann von ihm niemand
verlangen.

Solange es Saisonarbeiter gibt, die dem Gute nicht mehr zur Last
fallen, wenn die Ernte unter Dach und Fach gebracht ist, muß sie daher auch
der Großbetrieb verwenden. Er würde sonst unvernünftig wirtschaften.

Beachtet man dies, so kann man Herrn von Dewitz („Eine ungewöhnliche
Gefahr für die deutsche Landwirtschaft", Ur. 255 des „Tag") nicht darin zu¬
stimmen, daß die Saisonarbeiter durch angesiedelte Arbeiter ersetzt werden
könnten und müßten. Denn die zur Saisonarbeit in landwirtschaftlichen Groß-


Grenzbsten I 1914 11
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[0173] Zur kcmdarbeiterfrage Sankt Petersburg entwickelt sich durch einen Prozeß, wodurch sich Wörter, Zusammensetzungen bilden. Das ausschließlich rechtgläubige Sankt fiel ab mit der Erscheinung Peters, der die dualistische Doppelregierung des Heiligen und Unheiligen befestigte. Eine weitere Etappe wird das Aufsuchen einer stärkeren Basis sein, einer selbst sich beschützenden Burg — Luthers Prinzip, vielmehr nicht Luthers, sondern schon das der Hussiten, im Kern nicht germanisch — sondern allgemein kulturell. Vor uns ist ein dreifach zusammengesetztes Wort, eine Bilderreihe, und nicht ein einheitlicher Begriff, der absolut befriedigen würde. — Darin liegt es, weshalb sich die Seele Sankt Petersburgs nicht „fassen" läßt. Zur Landarbeiterfrage v Regienmgsrat Arnold Gaede on WI ewöhnlich wird der große Bedarf an ausländischen Saisonarbeitern in unseren landwirtschaftlichen Großbetrieben mit der größeren Intensität der landwirtschaftlichen Wirtschaftsweise, mit dem ver¬ mehrten Anbau von Hackfrüchten (Kartoffeln und Zuckerrüben), vor allem aber mit dem Mangel an Winterarbeit, der durch die Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen entstanden ist, erklärt. Das trifft auch zu. Das ganze Jahr hindurch kann der landwirtschaftliche Großbetrieb bei den heutigen Produktionsverhältnissen nur einer bestimmten Zahl von Ar¬ beitern Beschäftigung geben. Für diese Zahl muß er Wohnung, Kost und Lohn in jeder Jahreszeit bereithalten, Schul- und Armenlasten tragen. Daß er das gleiche auch für die Arbeiter leiste, die er nur zur Bewältigung der Mehrarbeit in der Bestellungs- und Erntezeit braucht, kann von ihm niemand verlangen. Solange es Saisonarbeiter gibt, die dem Gute nicht mehr zur Last fallen, wenn die Ernte unter Dach und Fach gebracht ist, muß sie daher auch der Großbetrieb verwenden. Er würde sonst unvernünftig wirtschaften. Beachtet man dies, so kann man Herrn von Dewitz („Eine ungewöhnliche Gefahr für die deutsche Landwirtschaft", Ur. 255 des „Tag") nicht darin zu¬ stimmen, daß die Saisonarbeiter durch angesiedelte Arbeiter ersetzt werden könnten und müßten. Denn die zur Saisonarbeit in landwirtschaftlichen Groß- Grenzbsten I 1914 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/173>, abgerufen am 29.12.2024.