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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebricfe

Die Chilenen tragen das tote Tier heran. Da schreit es unten wieder.
Verflucht! Bitte, nicht diesen Ton! Ich kann dir doch nicht die tote Mutter
wieder lebendig machen! Sentimentalität? Ach nein, keine Spur. Aber Respekt
vorm Leben. Ich zerstöre doch ungern eins. Weil ich dich selbst so liebe, du
herrliches, furchtbares Jagen durch diese Welt. Weil ich selbst, solange ich
diesen Leib habe, nichts besseres wünschen kann, als ihn ewig zu verjüngen,
immer neu zu schöpfen . . . deshalb tuts mir leid um jedes Leben, das ich ende.
Hinterher, meine ich . . .

Der Chilene gleitet in den Busch. Mit dem kleinen, jammernden Kerl
kommt er zurück. "Pumeta . . . Pumeta." Ganz zärtlich sagt er es. Tierliebe
ist sonst nicht die starke Seite dieser Halbindianer. Das süße Kätzchen, das
noch zu dumm ist, die zarten Krallen zu gebrauchen, wird in ein Tuch verpackt,
wo es nicht sieht, was nun mit der toten Mutter geschieht. Am nächsten Tage
habe ich es mitgenommen. Vielleicht verträgt es die Reise nach Europa. Junge
Pumas sind leicht zu zähmen. Dann läuft es nächstes Jahr mit mir über den
Promenadenplatz oder durch den englischen Garten!

An: nächsten Tag? Ja, wir ritten noch ein gutes Stück in die Ebene
hinein, den blauen Bergen entgegen. Wer fünf Wochen an Bord eingesperrt
war, kann der Bewegung und des Grüns nicht leicht genug bekommen.

Am Abend war ich Gast im Hause meines Jagdfreundes. In einem
richtigen Hause, denkt euch! Nicht in einem unbehaglichen, knarrenden Schiffs¬
salon mit Stühlen, die man nicht rücken kann, mit unausstehlichen Stewards,
mit stummen Tafelgenossen. Nein, ein richtiges Zimmer mit aller Behaglichkeit
und allem Leben, in das man eigentlich hineingehört. Und bei Tisch saß man
wieder einer Dame gegenüber. Einer Dame! Denkt, was das heißt! Ach, ihr
wißt es ja nicht! Die sich in Südwest oder in der Mandschurei herumgetrieben
haben, kennen es natürlich noch viel mehr: das Gefühl, nach Wochen zum ersten
Male wieder in Damengesellschaft zu sein.

Man ist verbauert, verwildert, verschmutzt auf den tausend Streif¬
zügen, weil die Dame fehlt. Ohne die man am Ende zum Aschantineger
würde ...

Wir waren zu viere an jenem Abend. Denn Konsul Grün war auch
gekommen. Wer das ist? An Südamerikas Westküste braucht man nicht
danach zu fragen, denn sie hallt wieder von seinem Ruhm. Konsul
Grün ist ein Ritter ohne Furcht und Tadel, sieht mit dem weißen Vollbart
und seinen sechs Fuß just so aus, wie ich mir den lieben Gott vorstelle,
oder zum mindesten den Oberst Beerenkreutz in Gösta Berling. Und Geige
spielen kann er auch. Denn alle Kavaliere spielen bekanntlich mindestens ein
Instrument . . .

Ja, so langten wir bei der Musik an, an jenem fröhlichen Abend. Der
Oberförster liebäugelte mit einem wunderschönen, blitzblanken Horn. Nein, heute
muß ich es haben. Ich habe es lange entbehrt. Noten her!


Reisebricfe

Die Chilenen tragen das tote Tier heran. Da schreit es unten wieder.
Verflucht! Bitte, nicht diesen Ton! Ich kann dir doch nicht die tote Mutter
wieder lebendig machen! Sentimentalität? Ach nein, keine Spur. Aber Respekt
vorm Leben. Ich zerstöre doch ungern eins. Weil ich dich selbst so liebe, du
herrliches, furchtbares Jagen durch diese Welt. Weil ich selbst, solange ich
diesen Leib habe, nichts besseres wünschen kann, als ihn ewig zu verjüngen,
immer neu zu schöpfen . . . deshalb tuts mir leid um jedes Leben, das ich ende.
Hinterher, meine ich . . .

Der Chilene gleitet in den Busch. Mit dem kleinen, jammernden Kerl
kommt er zurück. „Pumeta . . . Pumeta." Ganz zärtlich sagt er es. Tierliebe
ist sonst nicht die starke Seite dieser Halbindianer. Das süße Kätzchen, das
noch zu dumm ist, die zarten Krallen zu gebrauchen, wird in ein Tuch verpackt,
wo es nicht sieht, was nun mit der toten Mutter geschieht. Am nächsten Tage
habe ich es mitgenommen. Vielleicht verträgt es die Reise nach Europa. Junge
Pumas sind leicht zu zähmen. Dann läuft es nächstes Jahr mit mir über den
Promenadenplatz oder durch den englischen Garten!

An: nächsten Tag? Ja, wir ritten noch ein gutes Stück in die Ebene
hinein, den blauen Bergen entgegen. Wer fünf Wochen an Bord eingesperrt
war, kann der Bewegung und des Grüns nicht leicht genug bekommen.

Am Abend war ich Gast im Hause meines Jagdfreundes. In einem
richtigen Hause, denkt euch! Nicht in einem unbehaglichen, knarrenden Schiffs¬
salon mit Stühlen, die man nicht rücken kann, mit unausstehlichen Stewards,
mit stummen Tafelgenossen. Nein, ein richtiges Zimmer mit aller Behaglichkeit
und allem Leben, in das man eigentlich hineingehört. Und bei Tisch saß man
wieder einer Dame gegenüber. Einer Dame! Denkt, was das heißt! Ach, ihr
wißt es ja nicht! Die sich in Südwest oder in der Mandschurei herumgetrieben
haben, kennen es natürlich noch viel mehr: das Gefühl, nach Wochen zum ersten
Male wieder in Damengesellschaft zu sein.

Man ist verbauert, verwildert, verschmutzt auf den tausend Streif¬
zügen, weil die Dame fehlt. Ohne die man am Ende zum Aschantineger
würde ...

Wir waren zu viere an jenem Abend. Denn Konsul Grün war auch
gekommen. Wer das ist? An Südamerikas Westküste braucht man nicht
danach zu fragen, denn sie hallt wieder von seinem Ruhm. Konsul
Grün ist ein Ritter ohne Furcht und Tadel, sieht mit dem weißen Vollbart
und seinen sechs Fuß just so aus, wie ich mir den lieben Gott vorstelle,
oder zum mindesten den Oberst Beerenkreutz in Gösta Berling. Und Geige
spielen kann er auch. Denn alle Kavaliere spielen bekanntlich mindestens ein
Instrument . . .

Ja, so langten wir bei der Musik an, an jenem fröhlichen Abend. Der
Oberförster liebäugelte mit einem wunderschönen, blitzblanken Horn. Nein, heute
muß ich es haben. Ich habe es lange entbehrt. Noten her!


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[0097] Reisebricfe Die Chilenen tragen das tote Tier heran. Da schreit es unten wieder. Verflucht! Bitte, nicht diesen Ton! Ich kann dir doch nicht die tote Mutter wieder lebendig machen! Sentimentalität? Ach nein, keine Spur. Aber Respekt vorm Leben. Ich zerstöre doch ungern eins. Weil ich dich selbst so liebe, du herrliches, furchtbares Jagen durch diese Welt. Weil ich selbst, solange ich diesen Leib habe, nichts besseres wünschen kann, als ihn ewig zu verjüngen, immer neu zu schöpfen . . . deshalb tuts mir leid um jedes Leben, das ich ende. Hinterher, meine ich . . . Der Chilene gleitet in den Busch. Mit dem kleinen, jammernden Kerl kommt er zurück. „Pumeta . . . Pumeta." Ganz zärtlich sagt er es. Tierliebe ist sonst nicht die starke Seite dieser Halbindianer. Das süße Kätzchen, das noch zu dumm ist, die zarten Krallen zu gebrauchen, wird in ein Tuch verpackt, wo es nicht sieht, was nun mit der toten Mutter geschieht. Am nächsten Tage habe ich es mitgenommen. Vielleicht verträgt es die Reise nach Europa. Junge Pumas sind leicht zu zähmen. Dann läuft es nächstes Jahr mit mir über den Promenadenplatz oder durch den englischen Garten! An: nächsten Tag? Ja, wir ritten noch ein gutes Stück in die Ebene hinein, den blauen Bergen entgegen. Wer fünf Wochen an Bord eingesperrt war, kann der Bewegung und des Grüns nicht leicht genug bekommen. Am Abend war ich Gast im Hause meines Jagdfreundes. In einem richtigen Hause, denkt euch! Nicht in einem unbehaglichen, knarrenden Schiffs¬ salon mit Stühlen, die man nicht rücken kann, mit unausstehlichen Stewards, mit stummen Tafelgenossen. Nein, ein richtiges Zimmer mit aller Behaglichkeit und allem Leben, in das man eigentlich hineingehört. Und bei Tisch saß man wieder einer Dame gegenüber. Einer Dame! Denkt, was das heißt! Ach, ihr wißt es ja nicht! Die sich in Südwest oder in der Mandschurei herumgetrieben haben, kennen es natürlich noch viel mehr: das Gefühl, nach Wochen zum ersten Male wieder in Damengesellschaft zu sein. Man ist verbauert, verwildert, verschmutzt auf den tausend Streif¬ zügen, weil die Dame fehlt. Ohne die man am Ende zum Aschantineger würde ... Wir waren zu viere an jenem Abend. Denn Konsul Grün war auch gekommen. Wer das ist? An Südamerikas Westküste braucht man nicht danach zu fragen, denn sie hallt wieder von seinem Ruhm. Konsul Grün ist ein Ritter ohne Furcht und Tadel, sieht mit dem weißen Vollbart und seinen sechs Fuß just so aus, wie ich mir den lieben Gott vorstelle, oder zum mindesten den Oberst Beerenkreutz in Gösta Berling. Und Geige spielen kann er auch. Denn alle Kavaliere spielen bekanntlich mindestens ein Instrument . . . Ja, so langten wir bei der Musik an, an jenem fröhlichen Abend. Der Oberförster liebäugelte mit einem wunderschönen, blitzblanken Horn. Nein, heute muß ich es haben. Ich habe es lange entbehrt. Noten her!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/97>, abgerufen am 22.07.2024.