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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Gustav Frenssen

Heimat, das Bauerntum Dithmarschens in typischer Größe zu geben, so, daß
jeder Leser sehen mußte, wie dies Land und seine Bewohner von jeher sind und
sich entwickeln. Das "Jörn Abt"-Thema wuchs unmittelbar aus dem Thema
der "drei Getreuen" heraus.

Das Schaffen des dritten Romans schloß sich denn auch eng an den
zweiten an. Er brachte den großen Sieg -- äußerlich wie innerlich.
Deutschland entdeckte in Frenssen mit dem "Jörn Abt" den Dichter seiner Zeit.
Und Frenssen überwand mit dem "Jörn Abt" die einengendem Heimatgreuzen.
wie er es deutlich und persönlich empfand, als er auf neu erworbenem Hof
Bauer zu werden versuchte.

Ihn rief nun nicht mehr der Acker, sondern das ganze Volk. Der Erfolg
seines Werkes, der Sieg seines Talentes, seiner Weltanschauung stellte ihn auf
eine einsame Warte, unter die Männer, die für jeden Schritt, den sie tun,
ihrem Volke Rechenschaft ablegen müssen, in die Welt des deutschen Geistes.

Fünf Jahre lang schwieg der Dichter nach dem Erscheinen des "Jörn Abt".
Keine Erfolghascherei jagte und hetzte sein Schaffen. Er mußte das große Er¬
eignis, sich in seinem Werte erkannt zu sehen, erst innerlich seinem Charakter gemäß,
überwinden, zu einem Stück Vergangenheit werden lassen. Gab es ihm doch die
äußere und innere Freiheit. Er konnte nun von den Lasten des Amtes lassen, sich
ganz seinem eingeborenen Berufe zur Verfügung stellen und er konnte jetzi die
Stellung zur engeren und weiteren Heimat wählen, nach der er sich sehnt..
Nicht Dithmarschen durfte es mehr sein, wofür er schuf, sondern ganz Deutschland
war vom "Jörn Abt" an seine Aufgabe und seine Pflicht, seine Heimat und
sein Lebenselement, das erkannte er in den Zwischenjahren.

Mit Deutschland lebte er fortan. Er baute sich am AbHange der
Blankeneser Berge sein neues Heim. Ein Haus, in das Licht und Luft dringt,
durch das Frische und Helle weht. Aus den Fenstern sieht man hinab auf
den breiten Elbstrom. Dort unten, zu Füßen des Berges, gleiten die Riesen¬
dampfer vorbei: sie weisen in die Welt hinaus und in die Heimat zurück.
Jenseits des Stromes dehnt sich endlos die niederdeutsche Ebene in Dunst und
Sonnenglast, in machtvoller Weite und Eintönigkeit. Die Winde, vom Meere
wandernd, jagen drüber hin. Am hoch sich wölbender Himmel treiben die
Wolken -- es ist einem, als liege das All hier vereint, man scheint hier zum
ersten Male, in grandioser Wucht, den Begriff "Welt" zu erleben, wie man
eine Liebe oder eine Not erlebt. Und in dem Riesenraume, der sich dem Auge
darbietet, wachsen die Vistonen, die Gedanken des Geistesmenschen zu fast nieder¬
drückender Größe. Die sah Frenssen nach dem "Jörn Abt" vor sich.

Und er spürte eine Not an sein Inneres klopfen, die Not ganz Deutsch¬
lands, die er persönlich schon seit Jahrzehnten mit sich trug: das Ringen um
geistige Klarheit. Er hatte für sein Ich Resultate erkämpft, er hatte sich seine sittliche
und religiöse Weltanschauung gebaut. Sie war das Beste, was er nach "Jörn Abt"
zu geben hatte. Und so offenbarte er sie denn in seinen! neuen Werke:


Gustav Frenssen

Heimat, das Bauerntum Dithmarschens in typischer Größe zu geben, so, daß
jeder Leser sehen mußte, wie dies Land und seine Bewohner von jeher sind und
sich entwickeln. Das „Jörn Abt"-Thema wuchs unmittelbar aus dem Thema
der „drei Getreuen" heraus.

Das Schaffen des dritten Romans schloß sich denn auch eng an den
zweiten an. Er brachte den großen Sieg — äußerlich wie innerlich.
Deutschland entdeckte in Frenssen mit dem „Jörn Abt" den Dichter seiner Zeit.
Und Frenssen überwand mit dem „Jörn Abt" die einengendem Heimatgreuzen.
wie er es deutlich und persönlich empfand, als er auf neu erworbenem Hof
Bauer zu werden versuchte.

Ihn rief nun nicht mehr der Acker, sondern das ganze Volk. Der Erfolg
seines Werkes, der Sieg seines Talentes, seiner Weltanschauung stellte ihn auf
eine einsame Warte, unter die Männer, die für jeden Schritt, den sie tun,
ihrem Volke Rechenschaft ablegen müssen, in die Welt des deutschen Geistes.

Fünf Jahre lang schwieg der Dichter nach dem Erscheinen des „Jörn Abt".
Keine Erfolghascherei jagte und hetzte sein Schaffen. Er mußte das große Er¬
eignis, sich in seinem Werte erkannt zu sehen, erst innerlich seinem Charakter gemäß,
überwinden, zu einem Stück Vergangenheit werden lassen. Gab es ihm doch die
äußere und innere Freiheit. Er konnte nun von den Lasten des Amtes lassen, sich
ganz seinem eingeborenen Berufe zur Verfügung stellen und er konnte jetzi die
Stellung zur engeren und weiteren Heimat wählen, nach der er sich sehnt..
Nicht Dithmarschen durfte es mehr sein, wofür er schuf, sondern ganz Deutschland
war vom „Jörn Abt" an seine Aufgabe und seine Pflicht, seine Heimat und
sein Lebenselement, das erkannte er in den Zwischenjahren.

Mit Deutschland lebte er fortan. Er baute sich am AbHange der
Blankeneser Berge sein neues Heim. Ein Haus, in das Licht und Luft dringt,
durch das Frische und Helle weht. Aus den Fenstern sieht man hinab auf
den breiten Elbstrom. Dort unten, zu Füßen des Berges, gleiten die Riesen¬
dampfer vorbei: sie weisen in die Welt hinaus und in die Heimat zurück.
Jenseits des Stromes dehnt sich endlos die niederdeutsche Ebene in Dunst und
Sonnenglast, in machtvoller Weite und Eintönigkeit. Die Winde, vom Meere
wandernd, jagen drüber hin. Am hoch sich wölbender Himmel treiben die
Wolken — es ist einem, als liege das All hier vereint, man scheint hier zum
ersten Male, in grandioser Wucht, den Begriff „Welt" zu erleben, wie man
eine Liebe oder eine Not erlebt. Und in dem Riesenraume, der sich dem Auge
darbietet, wachsen die Vistonen, die Gedanken des Geistesmenschen zu fast nieder¬
drückender Größe. Die sah Frenssen nach dem „Jörn Abt" vor sich.

Und er spürte eine Not an sein Inneres klopfen, die Not ganz Deutsch¬
lands, die er persönlich schon seit Jahrzehnten mit sich trug: das Ringen um
geistige Klarheit. Er hatte für sein Ich Resultate erkämpft, er hatte sich seine sittliche
und religiöse Weltanschauung gebaut. Sie war das Beste, was er nach „Jörn Abt"
zu geben hatte. Und so offenbarte er sie denn in seinen! neuen Werke:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/78>, abgerufen am 22.01.2025.