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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Gustav Frenssen

der Geest zu verleben: da gräbt die Sonne ihre Glut in Sand und Heide, in
Kiefernwald und Haferfeld, indessen unten auf der schattenlosen Marsch die Kühe
und Pferde in den weiten Hürden und auf den von Knicks umsäumten Weide¬
plätzen hinter einzelnen Bäumen Kühle und Dunkel suchen.

Das Land, die Menschenart und -lebensweise lösen sich in Holstein und
in Dithmarschen ganz in der Natur auf. Sie allein begründete und erhielt mit
ihrem Gegensatz von Marsch und Geest die sozialen und materiellen Unterschiede.
Sie veranlaßte auch einst die Scheidung von Herrenmensch und Volksvertreter.
Denn der Herrenmensch allein konnte sich dem Meere entgegenstemmen, der
brüllenden Nordsee im jahrhundertelangen Kampfe Land -- die Marsch --
abzwingen und vor den Angriffen der wütigen Feindin bewahren. Der Herren¬
mensch allein konnte die Schutzdeiche bauen und erhalten, konnte Hilfe bringen,
wenn die Elemente rasten, wenn auf den Wassern die Not schrie. Und die
Natur war es, die den Freiheitstrieb in die Brust dieser Männer senkte. Wie
die Möve frei, die von der grauen See weit ins Land hinein streicht, mußten
sie sein, sollte ihnen ihr Eigen bleiben, das keiner zu halten verstand, als sie
allein, und das sie in manchem politischen Streite bewahrten. Wenn auch einst
niedergezwungen von fürstlicher Uebermacht, so doch nie innerlich besiegt: der
Bauer der König seiner Welt. Trotz. Stolz, Zähigkeit, Willenskraft, Ehrlichkeit,
Verschlossenheit, Festigkeit, Härte, Wildheit und Hochmut drängten sich in der
Dithmarschen Blut, das geistige Frucht zu tragen erst im neunzehnten Jahr¬
hundert die Überkraft und die Muße fand.

Aus solchem Volke ging Gustav Frenssen hervor, aus einem Volke von
Aristokraten. Kein Proletarierbewußtsein kam hier auf, kein Demokratensinn
konnte hier mächtig werden. Die Volkseinheit, die da war, war gegeben durch
den Besitz, durch das Erbe, nicht durch den Erwerb, den Handel. Wer den
trieb, gehörte zu den "Kreyer", die von den "Asien" verachtet wurden und
niemals Einfluß auf das Werden des Landes erhielten.

Die Ahnen Gustav Frenssens rechneten zu deu "Asien". Erst jüngst erfuhr
der Dichter von dem Bauerntume seines Geschlechtes. Er hatte schon lange
darüber nachgerätselt, woher die unhemmbare Sehnsucht nach Ackerbesitz und
Bauerspielen in seiner Familie, in seinem eigenen Innern stammte. Schon der
Pastor hatte in Kirchenbüchern Nachforschungen nach der Herkunft seines Namens,
seiner Art angestellt. Denn "es macht Freude und allerlei gute und stille Ge¬
danken, zu wissen, woher man gekommen ist." Und so gelang es ihm schließlich,
aus alten Türkensteuerlisten festzustellen, daß die Frenssen aus dem Harder-
geschlecht, um 1600 ansässig in Süderdithmarschen, stattliche Bauern waren,
denn ein Frenssen Jürgen und ein Frentz Peters Hans, ein Frenz Hans Frentz
und Jürgen Frentzen zahlten damals gewichtige Steuerbeträge, für die nur
größere Bauern in Betracht kamen. Im siebzehnten Jahrhundert verloren aber
die Frenssen ihren Besitz; dessen Bebauung und Bewahrung war ihnen freilich
ins Blut übergegangen; sie fühlten sich, waren sie nun auch Schäfer oder


Gustav Frenssen

der Geest zu verleben: da gräbt die Sonne ihre Glut in Sand und Heide, in
Kiefernwald und Haferfeld, indessen unten auf der schattenlosen Marsch die Kühe
und Pferde in den weiten Hürden und auf den von Knicks umsäumten Weide¬
plätzen hinter einzelnen Bäumen Kühle und Dunkel suchen.

Das Land, die Menschenart und -lebensweise lösen sich in Holstein und
in Dithmarschen ganz in der Natur auf. Sie allein begründete und erhielt mit
ihrem Gegensatz von Marsch und Geest die sozialen und materiellen Unterschiede.
Sie veranlaßte auch einst die Scheidung von Herrenmensch und Volksvertreter.
Denn der Herrenmensch allein konnte sich dem Meere entgegenstemmen, der
brüllenden Nordsee im jahrhundertelangen Kampfe Land — die Marsch —
abzwingen und vor den Angriffen der wütigen Feindin bewahren. Der Herren¬
mensch allein konnte die Schutzdeiche bauen und erhalten, konnte Hilfe bringen,
wenn die Elemente rasten, wenn auf den Wassern die Not schrie. Und die
Natur war es, die den Freiheitstrieb in die Brust dieser Männer senkte. Wie
die Möve frei, die von der grauen See weit ins Land hinein streicht, mußten
sie sein, sollte ihnen ihr Eigen bleiben, das keiner zu halten verstand, als sie
allein, und das sie in manchem politischen Streite bewahrten. Wenn auch einst
niedergezwungen von fürstlicher Uebermacht, so doch nie innerlich besiegt: der
Bauer der König seiner Welt. Trotz. Stolz, Zähigkeit, Willenskraft, Ehrlichkeit,
Verschlossenheit, Festigkeit, Härte, Wildheit und Hochmut drängten sich in der
Dithmarschen Blut, das geistige Frucht zu tragen erst im neunzehnten Jahr¬
hundert die Überkraft und die Muße fand.

Aus solchem Volke ging Gustav Frenssen hervor, aus einem Volke von
Aristokraten. Kein Proletarierbewußtsein kam hier auf, kein Demokratensinn
konnte hier mächtig werden. Die Volkseinheit, die da war, war gegeben durch
den Besitz, durch das Erbe, nicht durch den Erwerb, den Handel. Wer den
trieb, gehörte zu den „Kreyer", die von den „Asien" verachtet wurden und
niemals Einfluß auf das Werden des Landes erhielten.

Die Ahnen Gustav Frenssens rechneten zu deu „Asien". Erst jüngst erfuhr
der Dichter von dem Bauerntume seines Geschlechtes. Er hatte schon lange
darüber nachgerätselt, woher die unhemmbare Sehnsucht nach Ackerbesitz und
Bauerspielen in seiner Familie, in seinem eigenen Innern stammte. Schon der
Pastor hatte in Kirchenbüchern Nachforschungen nach der Herkunft seines Namens,
seiner Art angestellt. Denn „es macht Freude und allerlei gute und stille Ge¬
danken, zu wissen, woher man gekommen ist." Und so gelang es ihm schließlich,
aus alten Türkensteuerlisten festzustellen, daß die Frenssen aus dem Harder-
geschlecht, um 1600 ansässig in Süderdithmarschen, stattliche Bauern waren,
denn ein Frenssen Jürgen und ein Frentz Peters Hans, ein Frenz Hans Frentz
und Jürgen Frentzen zahlten damals gewichtige Steuerbeträge, für die nur
größere Bauern in Betracht kamen. Im siebzehnten Jahrhundert verloren aber
die Frenssen ihren Besitz; dessen Bebauung und Bewahrung war ihnen freilich
ins Blut übergegangen; sie fühlten sich, waren sie nun auch Schäfer oder


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[0074] Gustav Frenssen der Geest zu verleben: da gräbt die Sonne ihre Glut in Sand und Heide, in Kiefernwald und Haferfeld, indessen unten auf der schattenlosen Marsch die Kühe und Pferde in den weiten Hürden und auf den von Knicks umsäumten Weide¬ plätzen hinter einzelnen Bäumen Kühle und Dunkel suchen. Das Land, die Menschenart und -lebensweise lösen sich in Holstein und in Dithmarschen ganz in der Natur auf. Sie allein begründete und erhielt mit ihrem Gegensatz von Marsch und Geest die sozialen und materiellen Unterschiede. Sie veranlaßte auch einst die Scheidung von Herrenmensch und Volksvertreter. Denn der Herrenmensch allein konnte sich dem Meere entgegenstemmen, der brüllenden Nordsee im jahrhundertelangen Kampfe Land — die Marsch — abzwingen und vor den Angriffen der wütigen Feindin bewahren. Der Herren¬ mensch allein konnte die Schutzdeiche bauen und erhalten, konnte Hilfe bringen, wenn die Elemente rasten, wenn auf den Wassern die Not schrie. Und die Natur war es, die den Freiheitstrieb in die Brust dieser Männer senkte. Wie die Möve frei, die von der grauen See weit ins Land hinein streicht, mußten sie sein, sollte ihnen ihr Eigen bleiben, das keiner zu halten verstand, als sie allein, und das sie in manchem politischen Streite bewahrten. Wenn auch einst niedergezwungen von fürstlicher Uebermacht, so doch nie innerlich besiegt: der Bauer der König seiner Welt. Trotz. Stolz, Zähigkeit, Willenskraft, Ehrlichkeit, Verschlossenheit, Festigkeit, Härte, Wildheit und Hochmut drängten sich in der Dithmarschen Blut, das geistige Frucht zu tragen erst im neunzehnten Jahr¬ hundert die Überkraft und die Muße fand. Aus solchem Volke ging Gustav Frenssen hervor, aus einem Volke von Aristokraten. Kein Proletarierbewußtsein kam hier auf, kein Demokratensinn konnte hier mächtig werden. Die Volkseinheit, die da war, war gegeben durch den Besitz, durch das Erbe, nicht durch den Erwerb, den Handel. Wer den trieb, gehörte zu den „Kreyer", die von den „Asien" verachtet wurden und niemals Einfluß auf das Werden des Landes erhielten. Die Ahnen Gustav Frenssens rechneten zu deu „Asien". Erst jüngst erfuhr der Dichter von dem Bauerntume seines Geschlechtes. Er hatte schon lange darüber nachgerätselt, woher die unhemmbare Sehnsucht nach Ackerbesitz und Bauerspielen in seiner Familie, in seinem eigenen Innern stammte. Schon der Pastor hatte in Kirchenbüchern Nachforschungen nach der Herkunft seines Namens, seiner Art angestellt. Denn „es macht Freude und allerlei gute und stille Ge¬ danken, zu wissen, woher man gekommen ist." Und so gelang es ihm schließlich, aus alten Türkensteuerlisten festzustellen, daß die Frenssen aus dem Harder- geschlecht, um 1600 ansässig in Süderdithmarschen, stattliche Bauern waren, denn ein Frenssen Jürgen und ein Frentz Peters Hans, ein Frenz Hans Frentz und Jürgen Frentzen zahlten damals gewichtige Steuerbeträge, für die nur größere Bauern in Betracht kamen. Im siebzehnten Jahrhundert verloren aber die Frenssen ihren Besitz; dessen Bebauung und Bewahrung war ihnen freilich ins Blut übergegangen; sie fühlten sich, waren sie nun auch Schäfer oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/74>, abgerufen am 22.07.2024.