Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Gustav Frenssen Zu seinem 50. Geburtstage am 1,9- Oktober von Hans von Bruneck ernst du das Land zwischen den Meeren? Hast du schon einmal Gustav Frenssen Zu seinem 50. Geburtstage am 1,9- Oktober von Hans von Bruneck ernst du das Land zwischen den Meeren? Hast du schon einmal <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326885"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341897_326811/figures/grenzboten_341897_326811_326885_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Gustav Frenssen<lb/> Zu seinem 50. Geburtstage am 1,9- Oktober<lb/><lb/> <note type="byline"> von Hans von Bruneck </note></head><lb/> <p xml:id="ID_250" next="#ID_251"> ernst du das Land zwischen den Meeren? Hast du schon einmal<lb/> erfahren, was es bedeutet, in jener nordischen Luft zu atmen,<lb/> mit jenen germanischen Menschen zu leben? Hier breitet sich die<lb/> schimmernd grüne Marsch in schmalem Streifen, laufend von<lb/> Süd nach Nord, die Meeresküste im Westen. Kleine und breite<lb/> Kanäle, im Sommer zumeist trocken, durchschneiden den fetten Boden, dessen<lb/> Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit man schon ohne landwirtschaftliches Wissen er¬<lb/> kennt. Hier und da, weit verstreut voneinander und kaum verbunden durch schmale<lb/> Wege einige Erhebungen, die Wurden. Sie tragen im Kranze hoher Ulmen,<lb/> durch die der Seewind rauscht, alte, breite Gehöfte, schwer lagernde, strohgedeckte<lb/> Bauernhäuser, in deren Fenstern von Westen her, über die Nordsee hinweg die<lb/> abendliche Sonne blitzt, die am Morgen über das östliche Meer strahlt und um<lb/> Mittag sich über Deutschlands Weite dehnt. Auf lang sich hinziehenden, gras¬<lb/> bewachsenen Binnen-, Haff- und Außendeichen laufen die großen Straßen: aus<lb/> weiter Ferne kann man schauen, wer auf ihnen dahinwandert, und wie Ge¬<lb/> spenster heben sich die schwarzen Gestalten der Reisenden vom blanken Himmel<lb/> ab. Und über all der Grüne, über dem Blühen und Wachsen, über schnee¬<lb/> weißer Öde und Einsamkeit wölbt sich in horizontferner Begrenzung, in mächtiger<lb/> Glocke die Beste des Himmels, die Endlosigkeit der Luft, aus der im Sommer<lb/> der Lerchen Jubeln herniederfällt, aus der im Frühjahr der Kiebitze Schrei ver¬<lb/> hallt. Neben der Marsch reckt sich die Geest. Sie ist der Gegensatz zu<lb/> all dem Reichtum und Gedeihen in der Tiefe. Sie liegt hoch, plötzlich an¬<lb/> steigend aus dem Lande, das einst harter Sinn dem Meere abrang und ab¬<lb/> ringe. Die Geest ist uraltes Land, sandig, trocken, heidekrautbesät. Kater,<lb/> arme Bauerngehöfte lagern auf ihr. Sie trägt auch die kleinen Ackerstädte,<lb/> Dörfer und Gemeinden. Ein Marschdorf gibt es kaum: wer in der Marsch<lb/> seine Länder bebaut, lebt allein auf seiner Wurde. Auf der Geest drängt das<lb/> Volk zusammen, ist es mehr aufeinander angewiesen, lebt Händler- und Erwerbs¬<lb/> geist, wie dort der Sinn des Besitzenden. Wundervoll ist es, Sommertage in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
[Abbildung]
Gustav Frenssen
Zu seinem 50. Geburtstage am 1,9- Oktober
von Hans von Bruneck
ernst du das Land zwischen den Meeren? Hast du schon einmal
erfahren, was es bedeutet, in jener nordischen Luft zu atmen,
mit jenen germanischen Menschen zu leben? Hier breitet sich die
schimmernd grüne Marsch in schmalem Streifen, laufend von
Süd nach Nord, die Meeresküste im Westen. Kleine und breite
Kanäle, im Sommer zumeist trocken, durchschneiden den fetten Boden, dessen
Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit man schon ohne landwirtschaftliches Wissen er¬
kennt. Hier und da, weit verstreut voneinander und kaum verbunden durch schmale
Wege einige Erhebungen, die Wurden. Sie tragen im Kranze hoher Ulmen,
durch die der Seewind rauscht, alte, breite Gehöfte, schwer lagernde, strohgedeckte
Bauernhäuser, in deren Fenstern von Westen her, über die Nordsee hinweg die
abendliche Sonne blitzt, die am Morgen über das östliche Meer strahlt und um
Mittag sich über Deutschlands Weite dehnt. Auf lang sich hinziehenden, gras¬
bewachsenen Binnen-, Haff- und Außendeichen laufen die großen Straßen: aus
weiter Ferne kann man schauen, wer auf ihnen dahinwandert, und wie Ge¬
spenster heben sich die schwarzen Gestalten der Reisenden vom blanken Himmel
ab. Und über all der Grüne, über dem Blühen und Wachsen, über schnee¬
weißer Öde und Einsamkeit wölbt sich in horizontferner Begrenzung, in mächtiger
Glocke die Beste des Himmels, die Endlosigkeit der Luft, aus der im Sommer
der Lerchen Jubeln herniederfällt, aus der im Frühjahr der Kiebitze Schrei ver¬
hallt. Neben der Marsch reckt sich die Geest. Sie ist der Gegensatz zu
all dem Reichtum und Gedeihen in der Tiefe. Sie liegt hoch, plötzlich an¬
steigend aus dem Lande, das einst harter Sinn dem Meere abrang und ab¬
ringe. Die Geest ist uraltes Land, sandig, trocken, heidekrautbesät. Kater,
arme Bauerngehöfte lagern auf ihr. Sie trägt auch die kleinen Ackerstädte,
Dörfer und Gemeinden. Ein Marschdorf gibt es kaum: wer in der Marsch
seine Länder bebaut, lebt allein auf seiner Wurde. Auf der Geest drängt das
Volk zusammen, ist es mehr aufeinander angewiesen, lebt Händler- und Erwerbs¬
geist, wie dort der Sinn des Besitzenden. Wundervoll ist es, Sommertage in
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |