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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Downnigstrcet und die Dominionen

Nationen in Unterhandlungen zu treten, mit denen Meistbegünstigungsverträge
älteren Datums bestanden, um den Dominionen das Recht des Rücktritts von
den alten englischen Verträgen zu sichern. Erwähnt sei auch an dieser Stelle,
daß die Dominionen, insbesondere Kanada, seit neuerer Zeit im Ausland eigene
Handelsattaches, sogenannte "Trade Commissioners" anstellen.

Doch auch in den Fällen, in denen die Dominionen die Regelung ihres
Verhältnisses zum Ausland nicht in eigene Regie übernehmen, versäumt es die
englische Regierung nicht, die Dominialregierungen über den Gang schwebender
diplomatischer Verhandlungen aus dem Laufenden zu erhalten und ihnen Ge¬
legenheit zu begutachtender Äußerung zu geben, bevor man sich in London auf
eine bestimmte Stellungnahme festlegt. In diese Kategorie fallen solche diplo¬
matische Verhandlungen, bei denen das englische bzw. das Reichsinteresse an
erster Stelle, das Sonderinteresse einer Dominion hingegen nur nebensächlich
berührt wird.

Schließlich stellt England die Dienste seines diplomatischen Korps und seiner
Konsulate den Dominionen zu unmittelbarer Inanspruchnahme zur Verfügung.
Wenn die Kolonien früher die Hilfe der englischen auswärtigen Vertretungen
in Anspruch nehmen wollten, so war der Weg mühsam und zeitraubend. Die
betreffende Dominialregierung hatte sich nämlich auf dem Umweg über das
Kolonialamt zunächst einmal mit dem Auswärtigen Amt ins Einvernehmen zu
setzen. Downingstreet konnte alsdann nach eigenem Gutdünken das "Gesuch"
der Dominion in eine "Weisung" des Auswärtigen Amtes an den betreffenden
diplomatischen oder Konsulatsbeamten verwandeln. Die Antwort langte, wiederum
auf dem Umweg über das Auswärtige und das Kolonialamt und häufig zu
spät, bei der Dominialregierung an. Mit diesem lästigen Instanzenweg ist seit
dem Frühjahr dieses Jahres endgültig gebrochen worden. Am 8. Mai 1913
gab der Staatssekretär des Kolonialamtes im Parlament die Erklärung ab, daß
"der britische Konsulardienst den Dominionen zu unmittelbarem amtlichen Verkehr
zur Verfügung gestellt ist und daß sich Kanada, Australien und Südafrika des
neuen Reichsdienstzweiges bereits bedienen." Was den diplomatischen Dienst
angeht, so ist die Umwandlung aus einem spezifisch englischen in einen britischen
Reichsdienst schon im Vorjahre Tatsache geworden. Von wie außerordentlicher
Wichtigkeit diese Entwicklung ist, erhellt aus einer Äußerung des letzten englischen
Botschafters in Washington, Mr. Brice, nach dessen Worten "mehr als zwei
Drittel des auf seiner Kanzlei vorliegenden Materials in: Interesse der kana¬
dischen Regierung bearbeitet wird." Hier übt Kanada zweifellos schon heute
jenen "kontrollierenden diplomatischen Einfluß" aus, der das Schlagwort der
"plat 5oren" in den Dominionen geworden ist.

Die Dienstbarkeit der englischen Diplomatie und der Konsulate im Interesse
der Dominionen, das Anhören der kolonialen Regierungen vor wichtigen poli¬
tischen Entscheidungen des englischen Auswärtigen Amtes und endlich die erlangte
Souveränität der Tochterstaaten in internationalen Fragen der Wirtschaftspolitik,


Downnigstrcet und die Dominionen

Nationen in Unterhandlungen zu treten, mit denen Meistbegünstigungsverträge
älteren Datums bestanden, um den Dominionen das Recht des Rücktritts von
den alten englischen Verträgen zu sichern. Erwähnt sei auch an dieser Stelle,
daß die Dominionen, insbesondere Kanada, seit neuerer Zeit im Ausland eigene
Handelsattaches, sogenannte „Trade Commissioners" anstellen.

Doch auch in den Fällen, in denen die Dominionen die Regelung ihres
Verhältnisses zum Ausland nicht in eigene Regie übernehmen, versäumt es die
englische Regierung nicht, die Dominialregierungen über den Gang schwebender
diplomatischer Verhandlungen aus dem Laufenden zu erhalten und ihnen Ge¬
legenheit zu begutachtender Äußerung zu geben, bevor man sich in London auf
eine bestimmte Stellungnahme festlegt. In diese Kategorie fallen solche diplo¬
matische Verhandlungen, bei denen das englische bzw. das Reichsinteresse an
erster Stelle, das Sonderinteresse einer Dominion hingegen nur nebensächlich
berührt wird.

Schließlich stellt England die Dienste seines diplomatischen Korps und seiner
Konsulate den Dominionen zu unmittelbarer Inanspruchnahme zur Verfügung.
Wenn die Kolonien früher die Hilfe der englischen auswärtigen Vertretungen
in Anspruch nehmen wollten, so war der Weg mühsam und zeitraubend. Die
betreffende Dominialregierung hatte sich nämlich auf dem Umweg über das
Kolonialamt zunächst einmal mit dem Auswärtigen Amt ins Einvernehmen zu
setzen. Downingstreet konnte alsdann nach eigenem Gutdünken das „Gesuch"
der Dominion in eine „Weisung" des Auswärtigen Amtes an den betreffenden
diplomatischen oder Konsulatsbeamten verwandeln. Die Antwort langte, wiederum
auf dem Umweg über das Auswärtige und das Kolonialamt und häufig zu
spät, bei der Dominialregierung an. Mit diesem lästigen Instanzenweg ist seit
dem Frühjahr dieses Jahres endgültig gebrochen worden. Am 8. Mai 1913
gab der Staatssekretär des Kolonialamtes im Parlament die Erklärung ab, daß
„der britische Konsulardienst den Dominionen zu unmittelbarem amtlichen Verkehr
zur Verfügung gestellt ist und daß sich Kanada, Australien und Südafrika des
neuen Reichsdienstzweiges bereits bedienen." Was den diplomatischen Dienst
angeht, so ist die Umwandlung aus einem spezifisch englischen in einen britischen
Reichsdienst schon im Vorjahre Tatsache geworden. Von wie außerordentlicher
Wichtigkeit diese Entwicklung ist, erhellt aus einer Äußerung des letzten englischen
Botschafters in Washington, Mr. Brice, nach dessen Worten „mehr als zwei
Drittel des auf seiner Kanzlei vorliegenden Materials in: Interesse der kana¬
dischen Regierung bearbeitet wird." Hier übt Kanada zweifellos schon heute
jenen „kontrollierenden diplomatischen Einfluß" aus, der das Schlagwort der
„plat 5oren" in den Dominionen geworden ist.

Die Dienstbarkeit der englischen Diplomatie und der Konsulate im Interesse
der Dominionen, das Anhören der kolonialen Regierungen vor wichtigen poli¬
tischen Entscheidungen des englischen Auswärtigen Amtes und endlich die erlangte
Souveränität der Tochterstaaten in internationalen Fragen der Wirtschaftspolitik,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/64>, abgerufen am 22.07.2024.