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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Downingstreet und die Dominionen

AIs charakteristisches Beispiel für die ab und zu zutage tretende Divergenz
der politischen Interessen Englands und der Selbstverwaltungskolonien möchte
ich an einen Artikel erinnern, den.ein australischer Staatsmann vor wenigen
Monaten in der angesehenen politischen Zeitschrift The Fortnightly Review
veröffentlichte und der in England großes Aufsehen erregte. Der koloniale
Politiker der sich als "an ^U8tralian" zeichnete, führte unter anderem aus:

Die Dominionen haben nur Nachteile davon, daß England durch die IZnwnte
corctiale mit Frankreich seine Politik in der Hauptsache auf den europäischen
Kontinent eingestellt hat. Das Prestige des britischen Weltreichs leidet unter
der Zusammenziehung der Flotte in der Nordsee, die eine unmittelbare Folge
der Anlehnung an Frankreich und des hierdurch bedingten Antagonismus gegen
Deutschland anzusprechen ist. Insbesondere wird durch die Vernachlässigung der
außereuropäischen Flottenstationen die Position Australiens gegenüber Japan
gefährdet, dessen in London anerkannte Bündnisfähigkeit im Hinblick auf die
ethnologischen Spannungen in Australien, Neuseeland, Britisch Kolumbien und
Kanada ohnehin den Dominionen stets ein Stein des Anstoßes geblieben ist.

Schon jetzt ist das Mutterland dem Drängen der Tochternationen nach einer
tätigen Teilhaberschaft an den auswärtigen Angelegenheiten des Reiches in einer
ganzen Reihe von Fällen entgegengekommen. Bei diesen Kompetenzkompromissen
sind drei nebeneinanderherlaufende Ansätze zum Ausbau der politischen Reichs-
vrganisation erkennbar. In die erste Kategorie sind jene Fälle einzugliedern,
in denen die englische Regierung den Dominialregierungen freie Hand zum
selbständigen politischen Auftreten einräumt. Hier ist die Regelung der asia¬
tischen Einwanderung durch die kanadische Regierung und die Eingeborenen¬
politik der südafrikanischen Union den Schwarzen gegenüber zu nennen. Doch
auch die europäische Wirtschaftspolitik wird unmittelbar von der den englischen
Dominionen bewilligten Halbsouverünität berührt. Den Selbstverwaltungs¬
kolonien steht heute das Recht zum Abschluß von Handelsverträgen mit sreniden
Staaten zu. Bereits im Jahre 1897 war der Einfluß der Dominionen stark
genug, daß sie England zur Kündigung seiner Handelsverträge mit Deutschland
und Belgien zwingen konnten. Zahlreiche Konventionen und Staatsverträge,
insbesondere solche handelsrechtlicher Natur, die England heute mit fremden
Nationen abschließt, haben für die vier übrigen Einzelstaaten des britischen
Imperiums keine rechtsbindende Wirksamkeit, es sei denn, daß sie auf dem Wege
der Legislative, d. h. als eine von den einzelnen Parlamenten angenommene
Bill die Billigung der Tochternationen erhalten. England pflegt daher bei inter¬
nationalen Abmachungen dieser Kategorie jetzt durch eine besondere Klausel den
Dominionen das Recht des Beitritts offen zu halten. Dem willkürlichen Bei-
trittsrecht entspricht es, daß jede Dominion auch aus eigenem Recht wieder
aus dem internationalen Vertragsverhältnis ausscheiden kann. Diese dominialen
Sonderrechte wurden auf der Reichskonferenz des Jahres 1911 ausdrücklich und
grundsätzlich anerkannt. England übernahm es damals, mit solchen fremden


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Downingstreet und die Dominionen

AIs charakteristisches Beispiel für die ab und zu zutage tretende Divergenz
der politischen Interessen Englands und der Selbstverwaltungskolonien möchte
ich an einen Artikel erinnern, den.ein australischer Staatsmann vor wenigen
Monaten in der angesehenen politischen Zeitschrift The Fortnightly Review
veröffentlichte und der in England großes Aufsehen erregte. Der koloniale
Politiker der sich als „an ^U8tralian" zeichnete, führte unter anderem aus:

Die Dominionen haben nur Nachteile davon, daß England durch die IZnwnte
corctiale mit Frankreich seine Politik in der Hauptsache auf den europäischen
Kontinent eingestellt hat. Das Prestige des britischen Weltreichs leidet unter
der Zusammenziehung der Flotte in der Nordsee, die eine unmittelbare Folge
der Anlehnung an Frankreich und des hierdurch bedingten Antagonismus gegen
Deutschland anzusprechen ist. Insbesondere wird durch die Vernachlässigung der
außereuropäischen Flottenstationen die Position Australiens gegenüber Japan
gefährdet, dessen in London anerkannte Bündnisfähigkeit im Hinblick auf die
ethnologischen Spannungen in Australien, Neuseeland, Britisch Kolumbien und
Kanada ohnehin den Dominionen stets ein Stein des Anstoßes geblieben ist.

Schon jetzt ist das Mutterland dem Drängen der Tochternationen nach einer
tätigen Teilhaberschaft an den auswärtigen Angelegenheiten des Reiches in einer
ganzen Reihe von Fällen entgegengekommen. Bei diesen Kompetenzkompromissen
sind drei nebeneinanderherlaufende Ansätze zum Ausbau der politischen Reichs-
vrganisation erkennbar. In die erste Kategorie sind jene Fälle einzugliedern,
in denen die englische Regierung den Dominialregierungen freie Hand zum
selbständigen politischen Auftreten einräumt. Hier ist die Regelung der asia¬
tischen Einwanderung durch die kanadische Regierung und die Eingeborenen¬
politik der südafrikanischen Union den Schwarzen gegenüber zu nennen. Doch
auch die europäische Wirtschaftspolitik wird unmittelbar von der den englischen
Dominionen bewilligten Halbsouverünität berührt. Den Selbstverwaltungs¬
kolonien steht heute das Recht zum Abschluß von Handelsverträgen mit sreniden
Staaten zu. Bereits im Jahre 1897 war der Einfluß der Dominionen stark
genug, daß sie England zur Kündigung seiner Handelsverträge mit Deutschland
und Belgien zwingen konnten. Zahlreiche Konventionen und Staatsverträge,
insbesondere solche handelsrechtlicher Natur, die England heute mit fremden
Nationen abschließt, haben für die vier übrigen Einzelstaaten des britischen
Imperiums keine rechtsbindende Wirksamkeit, es sei denn, daß sie auf dem Wege
der Legislative, d. h. als eine von den einzelnen Parlamenten angenommene
Bill die Billigung der Tochternationen erhalten. England pflegt daher bei inter¬
nationalen Abmachungen dieser Kategorie jetzt durch eine besondere Klausel den
Dominionen das Recht des Beitritts offen zu halten. Dem willkürlichen Bei-
trittsrecht entspricht es, daß jede Dominion auch aus eigenem Recht wieder
aus dem internationalen Vertragsverhältnis ausscheiden kann. Diese dominialen
Sonderrechte wurden auf der Reichskonferenz des Jahres 1911 ausdrücklich und
grundsätzlich anerkannt. England übernahm es damals, mit solchen fremden


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[0063] Downingstreet und die Dominionen AIs charakteristisches Beispiel für die ab und zu zutage tretende Divergenz der politischen Interessen Englands und der Selbstverwaltungskolonien möchte ich an einen Artikel erinnern, den.ein australischer Staatsmann vor wenigen Monaten in der angesehenen politischen Zeitschrift The Fortnightly Review veröffentlichte und der in England großes Aufsehen erregte. Der koloniale Politiker der sich als „an ^U8tralian" zeichnete, führte unter anderem aus: Die Dominionen haben nur Nachteile davon, daß England durch die IZnwnte corctiale mit Frankreich seine Politik in der Hauptsache auf den europäischen Kontinent eingestellt hat. Das Prestige des britischen Weltreichs leidet unter der Zusammenziehung der Flotte in der Nordsee, die eine unmittelbare Folge der Anlehnung an Frankreich und des hierdurch bedingten Antagonismus gegen Deutschland anzusprechen ist. Insbesondere wird durch die Vernachlässigung der außereuropäischen Flottenstationen die Position Australiens gegenüber Japan gefährdet, dessen in London anerkannte Bündnisfähigkeit im Hinblick auf die ethnologischen Spannungen in Australien, Neuseeland, Britisch Kolumbien und Kanada ohnehin den Dominionen stets ein Stein des Anstoßes geblieben ist. Schon jetzt ist das Mutterland dem Drängen der Tochternationen nach einer tätigen Teilhaberschaft an den auswärtigen Angelegenheiten des Reiches in einer ganzen Reihe von Fällen entgegengekommen. Bei diesen Kompetenzkompromissen sind drei nebeneinanderherlaufende Ansätze zum Ausbau der politischen Reichs- vrganisation erkennbar. In die erste Kategorie sind jene Fälle einzugliedern, in denen die englische Regierung den Dominialregierungen freie Hand zum selbständigen politischen Auftreten einräumt. Hier ist die Regelung der asia¬ tischen Einwanderung durch die kanadische Regierung und die Eingeborenen¬ politik der südafrikanischen Union den Schwarzen gegenüber zu nennen. Doch auch die europäische Wirtschaftspolitik wird unmittelbar von der den englischen Dominionen bewilligten Halbsouverünität berührt. Den Selbstverwaltungs¬ kolonien steht heute das Recht zum Abschluß von Handelsverträgen mit sreniden Staaten zu. Bereits im Jahre 1897 war der Einfluß der Dominionen stark genug, daß sie England zur Kündigung seiner Handelsverträge mit Deutschland und Belgien zwingen konnten. Zahlreiche Konventionen und Staatsverträge, insbesondere solche handelsrechtlicher Natur, die England heute mit fremden Nationen abschließt, haben für die vier übrigen Einzelstaaten des britischen Imperiums keine rechtsbindende Wirksamkeit, es sei denn, daß sie auf dem Wege der Legislative, d. h. als eine von den einzelnen Parlamenten angenommene Bill die Billigung der Tochternationen erhalten. England pflegt daher bei inter¬ nationalen Abmachungen dieser Kategorie jetzt durch eine besondere Klausel den Dominionen das Recht des Beitritts offen zu halten. Dem willkürlichen Bei- trittsrecht entspricht es, daß jede Dominion auch aus eigenem Recht wieder aus dem internationalen Vertragsverhältnis ausscheiden kann. Diese dominialen Sonderrechte wurden auf der Reichskonferenz des Jahres 1911 ausdrücklich und grundsätzlich anerkannt. England übernahm es damals, mit solchen fremden 4*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/63>, abgerufen am 22.07.2024.