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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der erste deutsche Herbstsalon

Oberfläche, ihre Erscheinung, ihre Bewegung, wie sie sich im Moment darstellten,
wiedergegeben. Natürlich waren seine Möglichkeiten bald erschöpft und etwas
Neues stand zu erwarten. Dieses Neue brachten im wesentlichen der Neo-
impressionismus, Cözanne und van Gogh. Der Neoimpressionismus
unter Signac ging in der Abstraktion von den Dingen noch einen Schritt weiter und
löste, indem er ein lediglich farbig differenziertes Lichtgeflimmer über die ganze
Leinwand breitete, sowohl Gegenstände wie Farbenvaleurs bis hart an die
Grenze der Erkennbarkeit auf. Die Impressionisten hatten sich ferner etwas
zugute getan auf die Auflösung der Lokalfarbe, auf die Differenzierung der Valeurs.
Cözanne geht von dieser Differenzierung aus. Aber sie ist ihm, den man
wohl den Klassiker des Impressionismus genannt hat, zu kompliziert, er strebt
nach Vereinfachung. Deshalb faßt er aus der Menge der Valeurs die wesent¬
liche, arbeitet gewissermassen den freilich subjektiv erfaßten Grundton vieler
Valeurs heraus, synthetisiert (weshalb sich seine Nachfolger Neosynthetiker
nannten) und stellt aus diesen verschiedenen Grundtönen ein Bild zusammen,
das nun allerdings noch etwas Gegenständliches darstellt, aber ebensogut als
eine Harmonie einfacher Farbentöne angesehen werden kann. An ihn schließt
sich eine reiche Entwicklung. Neufranzösische Landschafter, wie Asselin, Camoin
u. a. gehen nicht mehr wie Cözanne von Valeurs aus, sondern von einer
Lokalfarbe, deren Grelle sie in Reaktion gegen den vornehm gedämpften Meister
und unter dem Einfluß Gauguins noch meist übertrieben. Wie aber der Meister
nur eine Valeur herausgenommen hatte, so nehmen sie häufig nur die eine
Lokalfarbe, die sie auf den ganzen Gegenstand übertrogen. Eine Baumkrone
z. B. wird also nicht mehr wie etwa bei Monet als ein ungeheuer differen¬
ziertes Neben- und Ineinander verschiedener Grundtöne, sondern als eine einzige
grüne Silhouette aufgefaßt. Hieraus lassen sich dann wieder neue Möglichkeiten
entwickeln: z. B. die Verschiebung farbiger Silhouetten gegen die dahinter
liegende Bergkette usw. Wollte man aber unter dem Einfluß des Neoimpressio¬
nismus stark flimmernde Eindrücke geben oder turbulente Massen, so mußte
man die ruhigen synthetischen Flächen C6zannes wieder aufteilen. Dies tut
im Grunde der Futurist Severini, der Lokalfarbensynthesen nicht geschlossen
nebeneinander setzt, sondern ihre geometrisch abgegrenzten Teile durch- und
ineinander schiebt, so daß also (wie auf dem starken "Pan-Pan-Tanz in
Monico", der auf der Futuristenausstellung vom Mai 1912 alle Bilder über¬
ragte und leider im Herbstsalon fehlte) ein bewegtes Bein aus sechs oder zehn
rosa Flecken besteht, die durch andere zu anderen Gegenständen gehörige
Flecken getrennt werden können, wodurch nun allerdings der Ausdruck höchster
wirbelnder Bewegung erzielt wird. Endlich konnte man auch, von Cezannes
späten Bildern ausgehend, den letzten Schritt in der Abstraktion vom Gegen¬
stande tun und nur noch Farbenflecken gegeneinander stellen, entweder scharf
abgegrenzt wie es Bolz oder W. Burljuk tun oder verschwimmen" wie
Kandinsky, und dann auch folgerichtig die Bilder nicht mehr nach Realen


Der erste deutsche Herbstsalon

Oberfläche, ihre Erscheinung, ihre Bewegung, wie sie sich im Moment darstellten,
wiedergegeben. Natürlich waren seine Möglichkeiten bald erschöpft und etwas
Neues stand zu erwarten. Dieses Neue brachten im wesentlichen der Neo-
impressionismus, Cözanne und van Gogh. Der Neoimpressionismus
unter Signac ging in der Abstraktion von den Dingen noch einen Schritt weiter und
löste, indem er ein lediglich farbig differenziertes Lichtgeflimmer über die ganze
Leinwand breitete, sowohl Gegenstände wie Farbenvaleurs bis hart an die
Grenze der Erkennbarkeit auf. Die Impressionisten hatten sich ferner etwas
zugute getan auf die Auflösung der Lokalfarbe, auf die Differenzierung der Valeurs.
Cözanne geht von dieser Differenzierung aus. Aber sie ist ihm, den man
wohl den Klassiker des Impressionismus genannt hat, zu kompliziert, er strebt
nach Vereinfachung. Deshalb faßt er aus der Menge der Valeurs die wesent¬
liche, arbeitet gewissermassen den freilich subjektiv erfaßten Grundton vieler
Valeurs heraus, synthetisiert (weshalb sich seine Nachfolger Neosynthetiker
nannten) und stellt aus diesen verschiedenen Grundtönen ein Bild zusammen,
das nun allerdings noch etwas Gegenständliches darstellt, aber ebensogut als
eine Harmonie einfacher Farbentöne angesehen werden kann. An ihn schließt
sich eine reiche Entwicklung. Neufranzösische Landschafter, wie Asselin, Camoin
u. a. gehen nicht mehr wie Cözanne von Valeurs aus, sondern von einer
Lokalfarbe, deren Grelle sie in Reaktion gegen den vornehm gedämpften Meister
und unter dem Einfluß Gauguins noch meist übertrieben. Wie aber der Meister
nur eine Valeur herausgenommen hatte, so nehmen sie häufig nur die eine
Lokalfarbe, die sie auf den ganzen Gegenstand übertrogen. Eine Baumkrone
z. B. wird also nicht mehr wie etwa bei Monet als ein ungeheuer differen¬
ziertes Neben- und Ineinander verschiedener Grundtöne, sondern als eine einzige
grüne Silhouette aufgefaßt. Hieraus lassen sich dann wieder neue Möglichkeiten
entwickeln: z. B. die Verschiebung farbiger Silhouetten gegen die dahinter
liegende Bergkette usw. Wollte man aber unter dem Einfluß des Neoimpressio¬
nismus stark flimmernde Eindrücke geben oder turbulente Massen, so mußte
man die ruhigen synthetischen Flächen C6zannes wieder aufteilen. Dies tut
im Grunde der Futurist Severini, der Lokalfarbensynthesen nicht geschlossen
nebeneinander setzt, sondern ihre geometrisch abgegrenzten Teile durch- und
ineinander schiebt, so daß also (wie auf dem starken „Pan-Pan-Tanz in
Monico", der auf der Futuristenausstellung vom Mai 1912 alle Bilder über¬
ragte und leider im Herbstsalon fehlte) ein bewegtes Bein aus sechs oder zehn
rosa Flecken besteht, die durch andere zu anderen Gegenständen gehörige
Flecken getrennt werden können, wodurch nun allerdings der Ausdruck höchster
wirbelnder Bewegung erzielt wird. Endlich konnte man auch, von Cezannes
späten Bildern ausgehend, den letzten Schritt in der Abstraktion vom Gegen¬
stande tun und nur noch Farbenflecken gegeneinander stellen, entweder scharf
abgegrenzt wie es Bolz oder W. Burljuk tun oder verschwimmen» wie
Kandinsky, und dann auch folgerichtig die Bilder nicht mehr nach Realen


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[0625] Der erste deutsche Herbstsalon Oberfläche, ihre Erscheinung, ihre Bewegung, wie sie sich im Moment darstellten, wiedergegeben. Natürlich waren seine Möglichkeiten bald erschöpft und etwas Neues stand zu erwarten. Dieses Neue brachten im wesentlichen der Neo- impressionismus, Cözanne und van Gogh. Der Neoimpressionismus unter Signac ging in der Abstraktion von den Dingen noch einen Schritt weiter und löste, indem er ein lediglich farbig differenziertes Lichtgeflimmer über die ganze Leinwand breitete, sowohl Gegenstände wie Farbenvaleurs bis hart an die Grenze der Erkennbarkeit auf. Die Impressionisten hatten sich ferner etwas zugute getan auf die Auflösung der Lokalfarbe, auf die Differenzierung der Valeurs. Cözanne geht von dieser Differenzierung aus. Aber sie ist ihm, den man wohl den Klassiker des Impressionismus genannt hat, zu kompliziert, er strebt nach Vereinfachung. Deshalb faßt er aus der Menge der Valeurs die wesent¬ liche, arbeitet gewissermassen den freilich subjektiv erfaßten Grundton vieler Valeurs heraus, synthetisiert (weshalb sich seine Nachfolger Neosynthetiker nannten) und stellt aus diesen verschiedenen Grundtönen ein Bild zusammen, das nun allerdings noch etwas Gegenständliches darstellt, aber ebensogut als eine Harmonie einfacher Farbentöne angesehen werden kann. An ihn schließt sich eine reiche Entwicklung. Neufranzösische Landschafter, wie Asselin, Camoin u. a. gehen nicht mehr wie Cözanne von Valeurs aus, sondern von einer Lokalfarbe, deren Grelle sie in Reaktion gegen den vornehm gedämpften Meister und unter dem Einfluß Gauguins noch meist übertrieben. Wie aber der Meister nur eine Valeur herausgenommen hatte, so nehmen sie häufig nur die eine Lokalfarbe, die sie auf den ganzen Gegenstand übertrogen. Eine Baumkrone z. B. wird also nicht mehr wie etwa bei Monet als ein ungeheuer differen¬ ziertes Neben- und Ineinander verschiedener Grundtöne, sondern als eine einzige grüne Silhouette aufgefaßt. Hieraus lassen sich dann wieder neue Möglichkeiten entwickeln: z. B. die Verschiebung farbiger Silhouetten gegen die dahinter liegende Bergkette usw. Wollte man aber unter dem Einfluß des Neoimpressio¬ nismus stark flimmernde Eindrücke geben oder turbulente Massen, so mußte man die ruhigen synthetischen Flächen C6zannes wieder aufteilen. Dies tut im Grunde der Futurist Severini, der Lokalfarbensynthesen nicht geschlossen nebeneinander setzt, sondern ihre geometrisch abgegrenzten Teile durch- und ineinander schiebt, so daß also (wie auf dem starken „Pan-Pan-Tanz in Monico", der auf der Futuristenausstellung vom Mai 1912 alle Bilder über¬ ragte und leider im Herbstsalon fehlte) ein bewegtes Bein aus sechs oder zehn rosa Flecken besteht, die durch andere zu anderen Gegenständen gehörige Flecken getrennt werden können, wodurch nun allerdings der Ausdruck höchster wirbelnder Bewegung erzielt wird. Endlich konnte man auch, von Cezannes späten Bildern ausgehend, den letzten Schritt in der Abstraktion vom Gegen¬ stande tun und nur noch Farbenflecken gegeneinander stellen, entweder scharf abgegrenzt wie es Bolz oder W. Burljuk tun oder verschwimmen» wie Kandinsky, und dann auch folgerichtig die Bilder nicht mehr nach Realen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/625>, abgerufen am 22.07.2024.