Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Humanisten und Germanisten führung in die deutsche Art der Vergangenheit. Zu dem Zweck hat sich vor Humanisten und Germanisten führung in die deutsche Art der Vergangenheit. Zu dem Zweck hat sich vor <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0605" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327417"/> <fw type="header" place="top"> Humanisten und Germanisten</fw><lb/> <p xml:id="ID_2411" prev="#ID_2410" next="#ID_2412"> führung in die deutsche Art der Vergangenheit. Zu dem Zweck hat sich vor<lb/> anderthalb Jahren der Deutsche Germanistenverband gebildet. Er bezeichnet<lb/> seine Aufgabe nach dreifacher Richtung: er will das Verständnis für die Be¬<lb/> deutung der deutschen Kultur in allen ihren Äußerungen, insbesondere unserer<lb/> Sprache und Literatur, bei weiten Kreisen unseres Volkes fördern; er will die<lb/> wissenschaftliche Behandlung dieser Gebiete entwickeln und vertiefen; er will ihnen<lb/> im deutschen Geistesleben, namentlich in der Jugendbildung, einen Platz an¬<lb/> weisen, der ihrer Bedeutung entspricht. AIs im Zusammenhang mit dem<lb/> Philologentage 1913 in Marburg sowohl die im „Gnmnasialverein" zusammen¬<lb/> geschlossenen Humanisten als auch die Mitglieder des „Germanistenverbandes"<lb/> ihre Tagung abhielten, da wurde in dem ersteren die sehr wichtige Frage<lb/> nach der für die Schule zu treffenden Auswahl der griechischen Lektüre<lb/> behandelt, in dem letzteren Leitsätze über die Gestaltung des deutschen Unter¬<lb/> richts auf den deutschen höheren Schulen aufgestellt und besprochen. Bei den<lb/> ersteren war es bezeichnend für den neuen Geist der humanistischen Richtung —<lb/> es ist wirklich ein neuer Geist, auch wenn einseitige Vertreter es zuweilen so<lb/> darstellen, als habe sich im Grunde gar nichts geändert —, daß die griechische<lb/> Literatur, die die klassische heißt, als hervorgegangen dargestellt wurde aus der<lb/> Assimilierung aller von den Griechen aufgenommenen Anregungen. Es handelte<lb/> sich also um eine organische Verschmelzung, die ohne besonders starke Eigenart<lb/> gar nicht denkbar ist. Bei den Leitsätzen für Gestaltung des deutschen Unter¬<lb/> richts wieder war es bezeichnend, daß herzliches Verständnis für die Einheit¬<lb/> lichkeit, die Eigenart und den Wert des deutschen Volkstums, daß die Weckung<lb/> des Willens zu tatfrendiger Mitarbeit an der Läuterung, Vertiefung und Ent¬<lb/> faltung des deutschen Volkstums als Ziel hingestellt wurde. Der erste Vortrag<lb/> hatte als einen der Hauptgesichtspunkte für die Auswahl der griechischen Lektüre<lb/> die antiken Grundlagen der modernen deutschen Dichtung angegeben, während<lb/> früher nicht selten umgekehrt die Auswahl der deutschen Lektüre danach gewertet<lb/> wurde, wieweit sie antike Züge trug. Daß unter den Wegen, die der zweite<lb/> Vortrag einzuschlagen forderte, auch genannt wurde: Einwirkungen fremden<lb/> Volkstums auf das Deutschtum aufzudecken und dieses als ein Glied in der<lb/> westeuropäischen Bildungseinheit verstehen zu lehren, war notwendig und gerecht.<lb/> Denn gerade in der einseitigen Darstellung dieser Einwirkungen liegt wieder die<lb/> Möglichkeit zu einem schwer schädigenden Streite. Es entsteht da nämlich zuweilen<lb/> der Eindruck, als ob gefolgert werden könne: weil wir von einer rein deutschen<lb/> Eigenart vor antiker Einwirkung auf dem Kontinent so gut wie gar nichts<lb/> wissen, so habe es auch keine gegeben. Gerade aus dem Umstände aber, daß<lb/> bei aller formalen Umbildung, die ungleich umfassender war, als man im all¬<lb/> gemeinen geneigt ist anzunehmen, immer wieder starke wesenhaste Unterschiede<lb/> zum Durchbruch kommen, muß auf eine ursprüngliche, besonders starke Eigenart<lb/> geschlossen werden. Die Behauptungen, „Rom und Hellas bergen die Schlüssel<lb/> zur nationalen Selbsterkenntnis der Deutschen" und „Rom hat uns zu Deutschen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0605]
Humanisten und Germanisten
führung in die deutsche Art der Vergangenheit. Zu dem Zweck hat sich vor
anderthalb Jahren der Deutsche Germanistenverband gebildet. Er bezeichnet
seine Aufgabe nach dreifacher Richtung: er will das Verständnis für die Be¬
deutung der deutschen Kultur in allen ihren Äußerungen, insbesondere unserer
Sprache und Literatur, bei weiten Kreisen unseres Volkes fördern; er will die
wissenschaftliche Behandlung dieser Gebiete entwickeln und vertiefen; er will ihnen
im deutschen Geistesleben, namentlich in der Jugendbildung, einen Platz an¬
weisen, der ihrer Bedeutung entspricht. AIs im Zusammenhang mit dem
Philologentage 1913 in Marburg sowohl die im „Gnmnasialverein" zusammen¬
geschlossenen Humanisten als auch die Mitglieder des „Germanistenverbandes"
ihre Tagung abhielten, da wurde in dem ersteren die sehr wichtige Frage
nach der für die Schule zu treffenden Auswahl der griechischen Lektüre
behandelt, in dem letzteren Leitsätze über die Gestaltung des deutschen Unter¬
richts auf den deutschen höheren Schulen aufgestellt und besprochen. Bei den
ersteren war es bezeichnend für den neuen Geist der humanistischen Richtung —
es ist wirklich ein neuer Geist, auch wenn einseitige Vertreter es zuweilen so
darstellen, als habe sich im Grunde gar nichts geändert —, daß die griechische
Literatur, die die klassische heißt, als hervorgegangen dargestellt wurde aus der
Assimilierung aller von den Griechen aufgenommenen Anregungen. Es handelte
sich also um eine organische Verschmelzung, die ohne besonders starke Eigenart
gar nicht denkbar ist. Bei den Leitsätzen für Gestaltung des deutschen Unter¬
richts wieder war es bezeichnend, daß herzliches Verständnis für die Einheit¬
lichkeit, die Eigenart und den Wert des deutschen Volkstums, daß die Weckung
des Willens zu tatfrendiger Mitarbeit an der Läuterung, Vertiefung und Ent¬
faltung des deutschen Volkstums als Ziel hingestellt wurde. Der erste Vortrag
hatte als einen der Hauptgesichtspunkte für die Auswahl der griechischen Lektüre
die antiken Grundlagen der modernen deutschen Dichtung angegeben, während
früher nicht selten umgekehrt die Auswahl der deutschen Lektüre danach gewertet
wurde, wieweit sie antike Züge trug. Daß unter den Wegen, die der zweite
Vortrag einzuschlagen forderte, auch genannt wurde: Einwirkungen fremden
Volkstums auf das Deutschtum aufzudecken und dieses als ein Glied in der
westeuropäischen Bildungseinheit verstehen zu lehren, war notwendig und gerecht.
Denn gerade in der einseitigen Darstellung dieser Einwirkungen liegt wieder die
Möglichkeit zu einem schwer schädigenden Streite. Es entsteht da nämlich zuweilen
der Eindruck, als ob gefolgert werden könne: weil wir von einer rein deutschen
Eigenart vor antiker Einwirkung auf dem Kontinent so gut wie gar nichts
wissen, so habe es auch keine gegeben. Gerade aus dem Umstände aber, daß
bei aller formalen Umbildung, die ungleich umfassender war, als man im all¬
gemeinen geneigt ist anzunehmen, immer wieder starke wesenhaste Unterschiede
zum Durchbruch kommen, muß auf eine ursprüngliche, besonders starke Eigenart
geschlossen werden. Die Behauptungen, „Rom und Hellas bergen die Schlüssel
zur nationalen Selbsterkenntnis der Deutschen" und „Rom hat uns zu Deutschen
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