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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Humanisten und Germanisten

Organ, das "Humanistische Gymnasium", sieht, je länger desto mehr, ebenso wie
die immer zahlreicher entstehenden Sondervereinigungen der "Freunde des
humanistischen Gymnasiums", seine Aufgabe darin, die eben bezeichnete neue
Auffassung von unserer Stellung zum Altertum in der Schule zur Geltung zu
bringen und auf diese Weise der Eigenart jener einen, der ältesten der drei
Schulgattungen, zu kräftiger Entfaltung zu verhelfen. Diese Humanisten ver¬
zichten jetzt mit vollem Bewußtsein, nicht in erzwungener Entsagung, vielmehr
eben auf Grund geschichtswifsenschaftlicher Erkenntnis, bei der Einführung in
die Antike "entschlossen auf alle falschen Steigerungen", gerade sie -- in ihren
besten und weitestblickenden Vertretern -- sehen nicht mehr bloß das "Feiertags-
gricchentum" der Generation eines Humboldt, sondern auch "den vor ihren
Blicken aus dem Schoße der Erde in tausend und abertausend Dokumenten
wieder emporgestiegenen Werkeltag". Die wirklich modernen Humanisten berufen
sich auch nicht mehr nur aus die lobpreisenden Werturteile Goethes, dieses
immer deutlicher als Hauptfaktor unserer nationalen Kultur sich erweisenden
Führers, sondern erkennen richtig, daß gerade er wie kein zweiter in der
Beurteilung des Altertums, Grundsätze und Problemstellungen, die uns heute
bewegen, vorausgeahnt oder auch geradezu vorausgenommen hat, daß Goethe
bereits die propädeutische Aufgabe der Altumsstudien für die Jugendbildung -- so
muß es genannt werden -- andeutete, die propädeutische an Stelle der nor¬
mativen. Sind solche Vertreter der Humanisten nun bloße Verteidiger eines doch
verlorenen Postens? Sind sie Welt und Gegenwart abgewandte Schwärmer,
die an Ideale von vorgestern sich festklammern, weil sie zu den Idealen von
heute selbst keine Fähigkeiten mitbringen? Sie machen vielmehr mit vollen:
Rechte geltend, daß gerade heute wieder die Beschäftigung mit der Antike auf¬
gehört hat, eine Angelegenheit nur der Schulbank zu sein. Zwar braucht man
die Behandlung Sophokleischer Stoffe durch Dichter wie Hugo von Hofmannsthal
ebensowenig für einen bleibenden Gewinn zu halten wie die Zirkusaufführungen
des Odipus, und Gerhart Hauptmanns Reiseeindrücke aus Griechenland hätten
auf einer ganz anderen Höhe stehen dürfen, aber das Bedürfnis neuer, geschmack¬
voller und lesbarer Übersetzungen antiker Schriftsteller, so bedeutsame bild¬
nerische Darstellungen, wie Slevogts Zeichnungen zu Homers Ilias. das sind
deutliche Beweise dafür, daß die heutige deutsche Bildung die Kulturwerte der
Antike sich wirklich neu aneignen will. Und auch das ist ein sicheres Zeichen
für das heutige Bedürfnis humanistischer Bildung, daß im Vergleich zu der Zeit
noch vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, der Zeit der Alleinherrschaft des
Gymnasiums, sehr viel mehr wirklich lesbare Bücher, vor allem unter Vermeidung
der früher nicht selten selbstverständlichen Fremdwörterseuche, über Stoffe der
Altertumskunde geschrieben -- das würde nicht genug sagen --, aber auch
gekauft, also doch wohl auch gelesen werden.

Ist durch die historische Einschätzung der Antike der Gefahr einer dogma¬
tischen Geltung ihres Bildungsideals mit Sicherheit vorgebeugt, so scheint sich


Humanisten und Germanisten

Organ, das „Humanistische Gymnasium", sieht, je länger desto mehr, ebenso wie
die immer zahlreicher entstehenden Sondervereinigungen der „Freunde des
humanistischen Gymnasiums", seine Aufgabe darin, die eben bezeichnete neue
Auffassung von unserer Stellung zum Altertum in der Schule zur Geltung zu
bringen und auf diese Weise der Eigenart jener einen, der ältesten der drei
Schulgattungen, zu kräftiger Entfaltung zu verhelfen. Diese Humanisten ver¬
zichten jetzt mit vollem Bewußtsein, nicht in erzwungener Entsagung, vielmehr
eben auf Grund geschichtswifsenschaftlicher Erkenntnis, bei der Einführung in
die Antike „entschlossen auf alle falschen Steigerungen", gerade sie — in ihren
besten und weitestblickenden Vertretern — sehen nicht mehr bloß das „Feiertags-
gricchentum" der Generation eines Humboldt, sondern auch „den vor ihren
Blicken aus dem Schoße der Erde in tausend und abertausend Dokumenten
wieder emporgestiegenen Werkeltag". Die wirklich modernen Humanisten berufen
sich auch nicht mehr nur aus die lobpreisenden Werturteile Goethes, dieses
immer deutlicher als Hauptfaktor unserer nationalen Kultur sich erweisenden
Führers, sondern erkennen richtig, daß gerade er wie kein zweiter in der
Beurteilung des Altertums, Grundsätze und Problemstellungen, die uns heute
bewegen, vorausgeahnt oder auch geradezu vorausgenommen hat, daß Goethe
bereits die propädeutische Aufgabe der Altumsstudien für die Jugendbildung — so
muß es genannt werden — andeutete, die propädeutische an Stelle der nor¬
mativen. Sind solche Vertreter der Humanisten nun bloße Verteidiger eines doch
verlorenen Postens? Sind sie Welt und Gegenwart abgewandte Schwärmer,
die an Ideale von vorgestern sich festklammern, weil sie zu den Idealen von
heute selbst keine Fähigkeiten mitbringen? Sie machen vielmehr mit vollen:
Rechte geltend, daß gerade heute wieder die Beschäftigung mit der Antike auf¬
gehört hat, eine Angelegenheit nur der Schulbank zu sein. Zwar braucht man
die Behandlung Sophokleischer Stoffe durch Dichter wie Hugo von Hofmannsthal
ebensowenig für einen bleibenden Gewinn zu halten wie die Zirkusaufführungen
des Odipus, und Gerhart Hauptmanns Reiseeindrücke aus Griechenland hätten
auf einer ganz anderen Höhe stehen dürfen, aber das Bedürfnis neuer, geschmack¬
voller und lesbarer Übersetzungen antiker Schriftsteller, so bedeutsame bild¬
nerische Darstellungen, wie Slevogts Zeichnungen zu Homers Ilias. das sind
deutliche Beweise dafür, daß die heutige deutsche Bildung die Kulturwerte der
Antike sich wirklich neu aneignen will. Und auch das ist ein sicheres Zeichen
für das heutige Bedürfnis humanistischer Bildung, daß im Vergleich zu der Zeit
noch vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, der Zeit der Alleinherrschaft des
Gymnasiums, sehr viel mehr wirklich lesbare Bücher, vor allem unter Vermeidung
der früher nicht selten selbstverständlichen Fremdwörterseuche, über Stoffe der
Altertumskunde geschrieben — das würde nicht genug sagen —, aber auch
gekauft, also doch wohl auch gelesen werden.

Ist durch die historische Einschätzung der Antike der Gefahr einer dogma¬
tischen Geltung ihres Bildungsideals mit Sicherheit vorgebeugt, so scheint sich


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[0603] Humanisten und Germanisten Organ, das „Humanistische Gymnasium", sieht, je länger desto mehr, ebenso wie die immer zahlreicher entstehenden Sondervereinigungen der „Freunde des humanistischen Gymnasiums", seine Aufgabe darin, die eben bezeichnete neue Auffassung von unserer Stellung zum Altertum in der Schule zur Geltung zu bringen und auf diese Weise der Eigenart jener einen, der ältesten der drei Schulgattungen, zu kräftiger Entfaltung zu verhelfen. Diese Humanisten ver¬ zichten jetzt mit vollem Bewußtsein, nicht in erzwungener Entsagung, vielmehr eben auf Grund geschichtswifsenschaftlicher Erkenntnis, bei der Einführung in die Antike „entschlossen auf alle falschen Steigerungen", gerade sie — in ihren besten und weitestblickenden Vertretern — sehen nicht mehr bloß das „Feiertags- gricchentum" der Generation eines Humboldt, sondern auch „den vor ihren Blicken aus dem Schoße der Erde in tausend und abertausend Dokumenten wieder emporgestiegenen Werkeltag". Die wirklich modernen Humanisten berufen sich auch nicht mehr nur aus die lobpreisenden Werturteile Goethes, dieses immer deutlicher als Hauptfaktor unserer nationalen Kultur sich erweisenden Führers, sondern erkennen richtig, daß gerade er wie kein zweiter in der Beurteilung des Altertums, Grundsätze und Problemstellungen, die uns heute bewegen, vorausgeahnt oder auch geradezu vorausgenommen hat, daß Goethe bereits die propädeutische Aufgabe der Altumsstudien für die Jugendbildung — so muß es genannt werden — andeutete, die propädeutische an Stelle der nor¬ mativen. Sind solche Vertreter der Humanisten nun bloße Verteidiger eines doch verlorenen Postens? Sind sie Welt und Gegenwart abgewandte Schwärmer, die an Ideale von vorgestern sich festklammern, weil sie zu den Idealen von heute selbst keine Fähigkeiten mitbringen? Sie machen vielmehr mit vollen: Rechte geltend, daß gerade heute wieder die Beschäftigung mit der Antike auf¬ gehört hat, eine Angelegenheit nur der Schulbank zu sein. Zwar braucht man die Behandlung Sophokleischer Stoffe durch Dichter wie Hugo von Hofmannsthal ebensowenig für einen bleibenden Gewinn zu halten wie die Zirkusaufführungen des Odipus, und Gerhart Hauptmanns Reiseeindrücke aus Griechenland hätten auf einer ganz anderen Höhe stehen dürfen, aber das Bedürfnis neuer, geschmack¬ voller und lesbarer Übersetzungen antiker Schriftsteller, so bedeutsame bild¬ nerische Darstellungen, wie Slevogts Zeichnungen zu Homers Ilias. das sind deutliche Beweise dafür, daß die heutige deutsche Bildung die Kulturwerte der Antike sich wirklich neu aneignen will. Und auch das ist ein sicheres Zeichen für das heutige Bedürfnis humanistischer Bildung, daß im Vergleich zu der Zeit noch vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, der Zeit der Alleinherrschaft des Gymnasiums, sehr viel mehr wirklich lesbare Bücher, vor allem unter Vermeidung der früher nicht selten selbstverständlichen Fremdwörterseuche, über Stoffe der Altertumskunde geschrieben — das würde nicht genug sagen —, aber auch gekauft, also doch wohl auch gelesen werden. Ist durch die historische Einschätzung der Antike der Gefahr einer dogma¬ tischen Geltung ihres Bildungsideals mit Sicherheit vorgebeugt, so scheint sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/603>, abgerufen am 28.07.2024.