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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Napoleon und Deutschland

Was war der tiefere Grund der Gemeinsamkeit und des Widerstandes?
Man hat Napoleon das größte Tatengenie genannt. Vielleicht mit einiger
Übertreibung, wenn man sich Alexanders und Cäsars erinnert; indessen es hätte
ja keinen Sinn, im Ungeheuren kleinliche Distanzmessungen vornehmen zu wollen.
Der größte Tatenmensch der Neuzeit ist Napoleon sicherlich gewesen. Darin
aber, daß er Gestalter und Organisator war, liegt eine innige Beziehung zu
germanischem Wesen. So tief eingesenkt in der Innerlichkeit des reinen Denkens
und Träumers der deutsche Geist auch sein mag, er kann doch nicht in dieser Sphäre
verschlossen bleiben, er muß Traum und Gedanken zur Wirklichkeit verdichten.
Dieser Verdichtungsprozeß ist mitunter ein sehr langsamer, durch viele
Hemmungen aufgehaltener, im Vergleich mit der spontanen Art. in der der
Romane seine Ideen verwirklicht; und so erklärt es sich, daß letzterer den
Deutschen häufig für einen Schwarmgeist und Phantasten, ja für einen Don
Quichote hält; wie denn auch Napoleon die deutschen "Ideologen" belächelte.
in Wahrheit aber aus verschiedenen Gründen völlig mißverstand.
Dem germanischen Geiste ist aber als unveräußerliches Erbteil die
Kraft des Wollens und Handelns beigesellt. Bloß scheinbar ist er Utopist
und Jdeologe: weil seine Gedankenwelt in ihrer herben Sprödigkeit schwer den
zähen Widerstand des sinnlichen Stoffes zu überwinden vermag. Dasselbe
Verständnis für Ordnung und organisierende Gestaltung, das den Deutschen im
theoretischen Leben zu so außerordentlichen Leistungen befähigte, das die Grund¬
legung und den Ausbau der Wissenschaft und Technik ermöglichte, kann sich
auch im Praktischen nicht verleugnen. Von Luther bis zu Friedrich dem Großen
und Stein und Bismarck hat es in Momenten großer Entscheidungen der
deutschen Nation niemals an weit ausgreifender Energie der Tat. an der
Fähigkeit politischer Durchdringung. Beherrschung und Lenkung der Verhältnisse
gemangelt. Dies vor allem begründet den Unterschied zwischen dem germanischen
Volkstum und dem slawischen, welch letzteres, der Tat abgeneigt, sich dem Sein
gegenüber passiv, aufnehmend verhält und mehr die Genialität des Leidens
als die des Schaffens entfaltet. Hier zeigt die persönliche Innerlichkeit die
Tendenz, sich von den Außendingen zurückzuziehen, wie um den Schmerz allzu
intensiver Berührung zu vermeiden, während der Germane nicht ruht, ehe er
Inneres und Äußeres. Subjekt und Objekt in vollendetes, harmonisches Gleich¬
gewicht gesetzt hat. Deswegen konnte Napoleon bei den Deutschen ein viel
tieferes Verständnis finden als bei den Slawen; wie hat zum Beispiel noch
Tolstoi ihn verzeichnet und ins Kleinliche gezogen!

Aber auch jene Wesensverwandtschaft hat ihre Grenzen, die unsere Dar¬
stellung bereits andeutete. Die Gestaltung ist dem Germanen, zumal dem
Deutschen niemals Selbstzweck: sie ist ihm bloß wertvoll als Realisierung einer
höheren Idee. Das Handeln ist hier wohl unerläßlich: aber es hat nicht
realistische sondern symbolische Bedeutung. Schon im Mythos, den Wagner
mit neuem Leben erfüllte, ist dies zum Ausdruck gebracht: Wotan, der schaffend


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Napoleon und Deutschland

Was war der tiefere Grund der Gemeinsamkeit und des Widerstandes?
Man hat Napoleon das größte Tatengenie genannt. Vielleicht mit einiger
Übertreibung, wenn man sich Alexanders und Cäsars erinnert; indessen es hätte
ja keinen Sinn, im Ungeheuren kleinliche Distanzmessungen vornehmen zu wollen.
Der größte Tatenmensch der Neuzeit ist Napoleon sicherlich gewesen. Darin
aber, daß er Gestalter und Organisator war, liegt eine innige Beziehung zu
germanischem Wesen. So tief eingesenkt in der Innerlichkeit des reinen Denkens
und Träumers der deutsche Geist auch sein mag, er kann doch nicht in dieser Sphäre
verschlossen bleiben, er muß Traum und Gedanken zur Wirklichkeit verdichten.
Dieser Verdichtungsprozeß ist mitunter ein sehr langsamer, durch viele
Hemmungen aufgehaltener, im Vergleich mit der spontanen Art. in der der
Romane seine Ideen verwirklicht; und so erklärt es sich, daß letzterer den
Deutschen häufig für einen Schwarmgeist und Phantasten, ja für einen Don
Quichote hält; wie denn auch Napoleon die deutschen „Ideologen" belächelte.
in Wahrheit aber aus verschiedenen Gründen völlig mißverstand.
Dem germanischen Geiste ist aber als unveräußerliches Erbteil die
Kraft des Wollens und Handelns beigesellt. Bloß scheinbar ist er Utopist
und Jdeologe: weil seine Gedankenwelt in ihrer herben Sprödigkeit schwer den
zähen Widerstand des sinnlichen Stoffes zu überwinden vermag. Dasselbe
Verständnis für Ordnung und organisierende Gestaltung, das den Deutschen im
theoretischen Leben zu so außerordentlichen Leistungen befähigte, das die Grund¬
legung und den Ausbau der Wissenschaft und Technik ermöglichte, kann sich
auch im Praktischen nicht verleugnen. Von Luther bis zu Friedrich dem Großen
und Stein und Bismarck hat es in Momenten großer Entscheidungen der
deutschen Nation niemals an weit ausgreifender Energie der Tat. an der
Fähigkeit politischer Durchdringung. Beherrschung und Lenkung der Verhältnisse
gemangelt. Dies vor allem begründet den Unterschied zwischen dem germanischen
Volkstum und dem slawischen, welch letzteres, der Tat abgeneigt, sich dem Sein
gegenüber passiv, aufnehmend verhält und mehr die Genialität des Leidens
als die des Schaffens entfaltet. Hier zeigt die persönliche Innerlichkeit die
Tendenz, sich von den Außendingen zurückzuziehen, wie um den Schmerz allzu
intensiver Berührung zu vermeiden, während der Germane nicht ruht, ehe er
Inneres und Äußeres. Subjekt und Objekt in vollendetes, harmonisches Gleich¬
gewicht gesetzt hat. Deswegen konnte Napoleon bei den Deutschen ein viel
tieferes Verständnis finden als bei den Slawen; wie hat zum Beispiel noch
Tolstoi ihn verzeichnet und ins Kleinliche gezogen!

Aber auch jene Wesensverwandtschaft hat ihre Grenzen, die unsere Dar¬
stellung bereits andeutete. Die Gestaltung ist dem Germanen, zumal dem
Deutschen niemals Selbstzweck: sie ist ihm bloß wertvoll als Realisierung einer
höheren Idee. Das Handeln ist hier wohl unerläßlich: aber es hat nicht
realistische sondern symbolische Bedeutung. Schon im Mythos, den Wagner
mit neuem Leben erfüllte, ist dies zum Ausdruck gebracht: Wotan, der schaffend


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[0599] Napoleon und Deutschland Was war der tiefere Grund der Gemeinsamkeit und des Widerstandes? Man hat Napoleon das größte Tatengenie genannt. Vielleicht mit einiger Übertreibung, wenn man sich Alexanders und Cäsars erinnert; indessen es hätte ja keinen Sinn, im Ungeheuren kleinliche Distanzmessungen vornehmen zu wollen. Der größte Tatenmensch der Neuzeit ist Napoleon sicherlich gewesen. Darin aber, daß er Gestalter und Organisator war, liegt eine innige Beziehung zu germanischem Wesen. So tief eingesenkt in der Innerlichkeit des reinen Denkens und Träumers der deutsche Geist auch sein mag, er kann doch nicht in dieser Sphäre verschlossen bleiben, er muß Traum und Gedanken zur Wirklichkeit verdichten. Dieser Verdichtungsprozeß ist mitunter ein sehr langsamer, durch viele Hemmungen aufgehaltener, im Vergleich mit der spontanen Art. in der der Romane seine Ideen verwirklicht; und so erklärt es sich, daß letzterer den Deutschen häufig für einen Schwarmgeist und Phantasten, ja für einen Don Quichote hält; wie denn auch Napoleon die deutschen „Ideologen" belächelte. in Wahrheit aber aus verschiedenen Gründen völlig mißverstand. Dem germanischen Geiste ist aber als unveräußerliches Erbteil die Kraft des Wollens und Handelns beigesellt. Bloß scheinbar ist er Utopist und Jdeologe: weil seine Gedankenwelt in ihrer herben Sprödigkeit schwer den zähen Widerstand des sinnlichen Stoffes zu überwinden vermag. Dasselbe Verständnis für Ordnung und organisierende Gestaltung, das den Deutschen im theoretischen Leben zu so außerordentlichen Leistungen befähigte, das die Grund¬ legung und den Ausbau der Wissenschaft und Technik ermöglichte, kann sich auch im Praktischen nicht verleugnen. Von Luther bis zu Friedrich dem Großen und Stein und Bismarck hat es in Momenten großer Entscheidungen der deutschen Nation niemals an weit ausgreifender Energie der Tat. an der Fähigkeit politischer Durchdringung. Beherrschung und Lenkung der Verhältnisse gemangelt. Dies vor allem begründet den Unterschied zwischen dem germanischen Volkstum und dem slawischen, welch letzteres, der Tat abgeneigt, sich dem Sein gegenüber passiv, aufnehmend verhält und mehr die Genialität des Leidens als die des Schaffens entfaltet. Hier zeigt die persönliche Innerlichkeit die Tendenz, sich von den Außendingen zurückzuziehen, wie um den Schmerz allzu intensiver Berührung zu vermeiden, während der Germane nicht ruht, ehe er Inneres und Äußeres. Subjekt und Objekt in vollendetes, harmonisches Gleich¬ gewicht gesetzt hat. Deswegen konnte Napoleon bei den Deutschen ein viel tieferes Verständnis finden als bei den Slawen; wie hat zum Beispiel noch Tolstoi ihn verzeichnet und ins Kleinliche gezogen! Aber auch jene Wesensverwandtschaft hat ihre Grenzen, die unsere Dar¬ stellung bereits andeutete. Die Gestaltung ist dem Germanen, zumal dem Deutschen niemals Selbstzweck: sie ist ihm bloß wertvoll als Realisierung einer höheren Idee. Das Handeln ist hier wohl unerläßlich: aber es hat nicht realistische sondern symbolische Bedeutung. Schon im Mythos, den Wagner mit neuem Leben erfüllte, ist dies zum Ausdruck gebracht: Wotan, der schaffend 38'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/599>, abgerufen am 27.07.2024.