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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Augustus

In tiefen Gedanken saß Augustus und schwieg, er war aber gar zu müde
und hoffnungslos, und so sagte er nach einer Weile: "Ich danke dir, Pate
Binßwanger, aber ich glaube, mein Leben läßt sich mit keinem Kamm wieder
glatt streichen. Es ist besser, ich tue was ich zu tun dachte, als du herein
kamst. Aber ich danke dir doch, daß du gekommen bist."

"Ja," sagte der Alte bedächtig, "ich kann mir denken, daß es dir nicht
leicht fällt. Aber vielleicht kannst du dich noch einmal besinnen, Augustus,
vielleicht fällt dir das ein, was dir bis jetzt am meisten gefehlt hat, oder vielleicht
kannst du dich an die früheren Zeiten erinnern, wo die Mutter noch lebte und
wo du manchmal am Abend zu mir gekommen bist. Da bist du doch zuweilen
glücklich gewesen, nicht?"

"Ja, damals," nickte Augustus, und das Bild seiner strahlenden Lebens¬
frühe sah ihm fern und bleich wie aus einem uralten Spiegel entgegen. "Aber
das kann nicht wiederkommen. Ich kann nicht wünschen, wieder ein Kind zu
sein. Ach, da finge ja alles wieder von vorne cent"

"Nein, das hätte keinen Sinn, da hast du recht. Aber denke noch einmal
an die Zeit bei uns daheim, und an das arme Mädchen, das du als Student
bei Nacht in ihres Vaters Garten besucht hast, und denke auch an die schöne
blonde Frau, mit der du einmal auf dem Meerschiff gefahren bist, und denke
an alle Augenblicke, wo du einmal glücklich gewesen bist und wo das Leben
dir gut und wertvoll schien. Vielleicht kannst du das erkennen, was dich damals
glücklich gemacht hat. und kannst dir das wünschen. Tu es mir zuliebe, mein
Junge!"

Augustus schloß die Augen und sah über sein Leben zurück, wie man aus einem
dunklen Gange nach jenem fernen Lichtpunkt sieht, von dem man hergekommen
ist, und er sah wieder, wie es einst hell und schön um ihn gewesen und dann
langsam dunkler und dunkler geworden war, bis er ganz im Finstern stand
und nichts ihn mehr erfreuen konnte. Und je mehr er nachdachte und sich er¬
innerte, desto schöner und liebenswerter und begehrenswerter blickte der ferne
kleine Lichtschein herüber, und schließlich erkannte er ihn, und Tränen stürzten
aus seinen Augen.

"Ich will es versuchen," sagte er zu seinem Paten. "Nimm den alten
Zauber von mir. der mir nicht geholfen hat, und gib mir dafür, daß ich die
Menschen liebhaben kann!"

Weinend kniete er vor seinem alten Freunde und fühlte schon im Nieder¬
sinken, wie die Liebe zu diesem alten Manne in ihm brannte und nach ver¬
gessenen Worten und Gebärden rang. Der Pate aber nahm ihn sanft, der
kleine Mann, auf seine Arme und trug ihn zum Lager, da legte er ihn nieder
und strich ihm die Haare aus der heißen Stirn.

"Es ist gut." flüsterte er ihm leise zu, "es ist gut, mein Kind, es wird
alles gut werden."


Augustus

In tiefen Gedanken saß Augustus und schwieg, er war aber gar zu müde
und hoffnungslos, und so sagte er nach einer Weile: „Ich danke dir, Pate
Binßwanger, aber ich glaube, mein Leben läßt sich mit keinem Kamm wieder
glatt streichen. Es ist besser, ich tue was ich zu tun dachte, als du herein
kamst. Aber ich danke dir doch, daß du gekommen bist."

„Ja," sagte der Alte bedächtig, „ich kann mir denken, daß es dir nicht
leicht fällt. Aber vielleicht kannst du dich noch einmal besinnen, Augustus,
vielleicht fällt dir das ein, was dir bis jetzt am meisten gefehlt hat, oder vielleicht
kannst du dich an die früheren Zeiten erinnern, wo die Mutter noch lebte und
wo du manchmal am Abend zu mir gekommen bist. Da bist du doch zuweilen
glücklich gewesen, nicht?"

„Ja, damals," nickte Augustus, und das Bild seiner strahlenden Lebens¬
frühe sah ihm fern und bleich wie aus einem uralten Spiegel entgegen. „Aber
das kann nicht wiederkommen. Ich kann nicht wünschen, wieder ein Kind zu
sein. Ach, da finge ja alles wieder von vorne cent"

„Nein, das hätte keinen Sinn, da hast du recht. Aber denke noch einmal
an die Zeit bei uns daheim, und an das arme Mädchen, das du als Student
bei Nacht in ihres Vaters Garten besucht hast, und denke auch an die schöne
blonde Frau, mit der du einmal auf dem Meerschiff gefahren bist, und denke
an alle Augenblicke, wo du einmal glücklich gewesen bist und wo das Leben
dir gut und wertvoll schien. Vielleicht kannst du das erkennen, was dich damals
glücklich gemacht hat. und kannst dir das wünschen. Tu es mir zuliebe, mein
Junge!"

Augustus schloß die Augen und sah über sein Leben zurück, wie man aus einem
dunklen Gange nach jenem fernen Lichtpunkt sieht, von dem man hergekommen
ist, und er sah wieder, wie es einst hell und schön um ihn gewesen und dann
langsam dunkler und dunkler geworden war, bis er ganz im Finstern stand
und nichts ihn mehr erfreuen konnte. Und je mehr er nachdachte und sich er¬
innerte, desto schöner und liebenswerter und begehrenswerter blickte der ferne
kleine Lichtschein herüber, und schließlich erkannte er ihn, und Tränen stürzten
aus seinen Augen.

„Ich will es versuchen," sagte er zu seinem Paten. „Nimm den alten
Zauber von mir. der mir nicht geholfen hat, und gib mir dafür, daß ich die
Menschen liebhaben kann!"

Weinend kniete er vor seinem alten Freunde und fühlte schon im Nieder¬
sinken, wie die Liebe zu diesem alten Manne in ihm brannte und nach ver¬
gessenen Worten und Gebärden rang. Der Pate aber nahm ihn sanft, der
kleine Mann, auf seine Arme und trug ihn zum Lager, da legte er ihn nieder
und strich ihm die Haare aus der heißen Stirn.

„Es ist gut." flüsterte er ihm leise zu, „es ist gut, mein Kind, es wird
alles gut werden."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/580>, abgerufen am 22.07.2024.