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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Augustus

einsamen und sehnsüchtigen Herzen nach ihnen verlangst. Gib mir jetzt die
Hand, mein Junge, ich bin alt und muß schlafen gehen."

Augustus gab ihm die Hand und konnte nichts sagen, er ging traurig in
das verödete Häuschen hinüber und legte sich zum letztenmal in der alten Heimat
schlafen, und ehe er einschlief, meinte er von drüben ganz fern und leise die
süße Musik seiner Kindheit wieder zu hören. Am nächsten Morgen ging er davon
und man hörte lange nichts mehr von ihm.

Bald vergaß er auch den Paten Binßwanger und seine Engel. Das reiche
Leben schwoll rings um ihn, und er fuhr auf seinen Wellen mit. Niemand
konnte so wie er durch schallende Gassen reiten und die aufschauenden Mädchen
mit spöttischen Blicken grüßen, niemand verstand so leicht und hinreißend zu
tanzen, so flott und fein im Wagen zu kutschieren, so laut und prangend eine
Sommernacht im Garten zu verzechen. Die reiche Witwe, deren Geliebter er
war, gab ihm Geld und Kleider und Pferde und alles, was er brauchte und
haben wollte, mit ihr reiste er nach Paris und nach Rom und schlief in ihrem
seidenen Bett, seine Liebe aber war eine sanfte blonde Bürgerstochter, die er
nachts mit Gefahr in ihres Vaters Garten besuchte und die ihm lange heiße
Briefe schrieb, wenn er auf Reisen war.

Aber einmal kam er nicht wieder. Er hatte Freunde in Paris gesunden,
und weil die reiche Geliebte ihm langweilig geworden und das Studium ihm
längst verdrießlich war, blieb er im fernen Land und lebte wie die große Welt,
hielt Pferde, Hunde, Weiber, verlor Geld und gewann Geld in großen Gold¬
rollen, und überall waren Menschen, die ihm nachliefen und sich ihm zu eigen
gaben und ihm dienten, und er lächelte und nahm es hin, wie er einst als
Knabe den Ring des kleinen Mädchens hingenommen hatte. Der Wunschzauber
lag in seinen Augen und auf seinen Lippen, Frauen umgaben ihn mit Zärt¬
lichkeit und Freunde schwärmten für ihn, und niemand sah --- er selber fühlte
es kaum --. wie sein Herz leer und habgierig geworden war und seine Seele
krank und leidend lag. Zuweilen wurde er es müde, so von allen geliebt zu
sein, und ging allein verkleidet durch fremde Städte, und überall fand er die
Menschen töricht und allzuleicht zu gewinnen, und überall schien ihm die Liebe
lächerlich, die ihm so eifrig nachlief und mit so wenigem zufrieden war. Frauen
und Männer wurden ihm oft zum Ekel, daß sie nicht stolzer waren, und ganze
Tage brachte er allein mit seinen Hunden hin, oder in schönen Jagdgebieten im
Gebirge, und ein Hirsch, den er beschlichen und geschossen hatte, machte ihn froher
als die Werbung einer schönen und verwöhnten Frau.

Da sah er einstmals auf einer Seereise die junge Frau eines Gesandten,
eine strenge schlanke Dame aus nordlcindischem Adel, die stand zwischen vielen
anderen vornehmen Frauen und weltmännischen Menschen wundervoll ab¬
gesondert, stolz und schweigsam, als wäre niemand ihresgleichen, und als er sie
sah und beobachtete, und wie ihr Blick auch ihn nur flüchtig und gleichgültig
zu streifen schien, war ihm so, als erfahre er jetzt zum allerersten Male, was


Augustus

einsamen und sehnsüchtigen Herzen nach ihnen verlangst. Gib mir jetzt die
Hand, mein Junge, ich bin alt und muß schlafen gehen."

Augustus gab ihm die Hand und konnte nichts sagen, er ging traurig in
das verödete Häuschen hinüber und legte sich zum letztenmal in der alten Heimat
schlafen, und ehe er einschlief, meinte er von drüben ganz fern und leise die
süße Musik seiner Kindheit wieder zu hören. Am nächsten Morgen ging er davon
und man hörte lange nichts mehr von ihm.

Bald vergaß er auch den Paten Binßwanger und seine Engel. Das reiche
Leben schwoll rings um ihn, und er fuhr auf seinen Wellen mit. Niemand
konnte so wie er durch schallende Gassen reiten und die aufschauenden Mädchen
mit spöttischen Blicken grüßen, niemand verstand so leicht und hinreißend zu
tanzen, so flott und fein im Wagen zu kutschieren, so laut und prangend eine
Sommernacht im Garten zu verzechen. Die reiche Witwe, deren Geliebter er
war, gab ihm Geld und Kleider und Pferde und alles, was er brauchte und
haben wollte, mit ihr reiste er nach Paris und nach Rom und schlief in ihrem
seidenen Bett, seine Liebe aber war eine sanfte blonde Bürgerstochter, die er
nachts mit Gefahr in ihres Vaters Garten besuchte und die ihm lange heiße
Briefe schrieb, wenn er auf Reisen war.

Aber einmal kam er nicht wieder. Er hatte Freunde in Paris gesunden,
und weil die reiche Geliebte ihm langweilig geworden und das Studium ihm
längst verdrießlich war, blieb er im fernen Land und lebte wie die große Welt,
hielt Pferde, Hunde, Weiber, verlor Geld und gewann Geld in großen Gold¬
rollen, und überall waren Menschen, die ihm nachliefen und sich ihm zu eigen
gaben und ihm dienten, und er lächelte und nahm es hin, wie er einst als
Knabe den Ring des kleinen Mädchens hingenommen hatte. Der Wunschzauber
lag in seinen Augen und auf seinen Lippen, Frauen umgaben ihn mit Zärt¬
lichkeit und Freunde schwärmten für ihn, und niemand sah —- er selber fühlte
es kaum —. wie sein Herz leer und habgierig geworden war und seine Seele
krank und leidend lag. Zuweilen wurde er es müde, so von allen geliebt zu
sein, und ging allein verkleidet durch fremde Städte, und überall fand er die
Menschen töricht und allzuleicht zu gewinnen, und überall schien ihm die Liebe
lächerlich, die ihm so eifrig nachlief und mit so wenigem zufrieden war. Frauen
und Männer wurden ihm oft zum Ekel, daß sie nicht stolzer waren, und ganze
Tage brachte er allein mit seinen Hunden hin, oder in schönen Jagdgebieten im
Gebirge, und ein Hirsch, den er beschlichen und geschossen hatte, machte ihn froher
als die Werbung einer schönen und verwöhnten Frau.

Da sah er einstmals auf einer Seereise die junge Frau eines Gesandten,
eine strenge schlanke Dame aus nordlcindischem Adel, die stand zwischen vielen
anderen vornehmen Frauen und weltmännischen Menschen wundervoll ab¬
gesondert, stolz und schweigsam, als wäre niemand ihresgleichen, und als er sie
sah und beobachtete, und wie ihr Blick auch ihn nur flüchtig und gleichgültig
zu streifen schien, war ihm so, als erfahre er jetzt zum allerersten Male, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/576>, abgerufen am 23.07.2024.