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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Philosophie als Kunst

Wer das wirklich nicht glauben will, der lasse sich von den Geständnissen
eines Philosophen wie Schopenhauer überzeugen. Der sagt es zu verschiedenen
Malen, daß ihm seine Philosophie von selbst geworden ist, daß ihm nur die
Aufgabe blieb, was ihm so ohne sein bewußtes Zutun herangewachsen war,
nachträglich aufzuschreiben, wie ein bloßer Zuschauer und Zeuge. Die Augen¬
blicke der wahrhaft philosophischen, wahrhaft künstlerischen (er gebraucht dies
WortI) Tätigkeit sind nichts Beabsichtigtes und Willkürliches. Das Denken
in Begriffen ist ihm nichts anderes als dem Maler das eigentliche Malen, das
Technische, das ausführt und befestigt, was jene Zeit des Empfängers gegeben
hat. Nietzsche wird man in diesem Zusammenhang als Philosophen kaum
gelten lassen und ihn eher in die Reihen der Künstler stellen wollen. Sein
Zeugnis über die Art des Schaffens ist auch zu gewaltig. Indem er die
Erschütterung seines ganzen Wesens bei der Inspiration schildert, meint er,
daß man beim geringsten Rest von Aberglauben die Vorstellung, bloß Inkar¬
nation, Mundstück und Medium übermächtiger Gewalten zu sein, kaum wieder
abzuweisen wisse. Aber schließlich hatte er doch etwas vom Philosophen an
sich und wußte jedenfalls, um was es sich bei der Philosophie handelt. Wir
dürfen es ihm also zugeben, daß auch in ihrer Produktion die Philosophie der
Kunst verwandt ist.

Freilich müssen wir diesen Satz in einem gewissen Sinne doch wieder in
seinem Gewichte einschränken, indem wir ihn in seinem Umfang erweitern, weil
nämlich die Verwandtschaft mit der Kunst nicht nur der Philosophie eignet.
Auf die Religion haben wir schon hingewiesen. Als einer der Hauptgrund¬
triebe des Menschenwesens hat sie nicht nur ähnliche Ziele wie die Kunst, auch
beim religiösen Schaffen machen sich Gesetze bemerkbar, die denen des künstlerischen
Produzierens verwandt sind. Daran ist kaum zu zweifeln. Aber man kann
sogar behaupten, daß auch jede wahrhaft produktive wissenschaftliche Leistung
auf ähnlichen Wegen entsteht wie ein Kunstwerk. Wo ein Gedanke bahnbrechend
die Arbeit der Wissenschaft auf neue Gefilde leitet, wo eine Konzeption wie
ein Keim, der sich nachher zu ungeheurem Wachstum entfaltet, in den Boden
der wissenschaftlichen Tätigkeit hineingelegt wird, da sind Gedanke und Kon¬
zeption in der Regel auf intuitivem Wege gefunden. Nur daß hier die Vor¬
bedingungen ihres Entstehens massiger und aufdringlicher vor uns liegen. Beim
Künstler haben wir bald als letztes die Organisation und Struktur seiner geist¬
leiblichen Persönlichkeit, aus der das Kunstwerk wie eine Frucht heranwächst.
Für den ursprünglich schaffenden Wissenschaftler kommt noch das Erfordernis
hinzu, daß außer dem in der Persönlichkeit natürlich Gegebenen die volle Be¬
herrschung des jeweiligen Wisfenschaftsstoffes bei ihm vorhanden ist. Das darf
die Aufmerksamkeit aber nicht davon ablenken, daß das Grundlegende, Weiter¬
schaffende, Befruchtende im wissenschaftlichen Betriebe weniger wie ein Ergebnis
reflektierenden Denkens, als wie ein Geschenk intuitiver Schauens auftritt.
Das, was auf allen Lebensgebieten wirklich weiterführt, ist nicht so sehr der


Philosophie als Kunst

Wer das wirklich nicht glauben will, der lasse sich von den Geständnissen
eines Philosophen wie Schopenhauer überzeugen. Der sagt es zu verschiedenen
Malen, daß ihm seine Philosophie von selbst geworden ist, daß ihm nur die
Aufgabe blieb, was ihm so ohne sein bewußtes Zutun herangewachsen war,
nachträglich aufzuschreiben, wie ein bloßer Zuschauer und Zeuge. Die Augen¬
blicke der wahrhaft philosophischen, wahrhaft künstlerischen (er gebraucht dies
WortI) Tätigkeit sind nichts Beabsichtigtes und Willkürliches. Das Denken
in Begriffen ist ihm nichts anderes als dem Maler das eigentliche Malen, das
Technische, das ausführt und befestigt, was jene Zeit des Empfängers gegeben
hat. Nietzsche wird man in diesem Zusammenhang als Philosophen kaum
gelten lassen und ihn eher in die Reihen der Künstler stellen wollen. Sein
Zeugnis über die Art des Schaffens ist auch zu gewaltig. Indem er die
Erschütterung seines ganzen Wesens bei der Inspiration schildert, meint er,
daß man beim geringsten Rest von Aberglauben die Vorstellung, bloß Inkar¬
nation, Mundstück und Medium übermächtiger Gewalten zu sein, kaum wieder
abzuweisen wisse. Aber schließlich hatte er doch etwas vom Philosophen an
sich und wußte jedenfalls, um was es sich bei der Philosophie handelt. Wir
dürfen es ihm also zugeben, daß auch in ihrer Produktion die Philosophie der
Kunst verwandt ist.

Freilich müssen wir diesen Satz in einem gewissen Sinne doch wieder in
seinem Gewichte einschränken, indem wir ihn in seinem Umfang erweitern, weil
nämlich die Verwandtschaft mit der Kunst nicht nur der Philosophie eignet.
Auf die Religion haben wir schon hingewiesen. Als einer der Hauptgrund¬
triebe des Menschenwesens hat sie nicht nur ähnliche Ziele wie die Kunst, auch
beim religiösen Schaffen machen sich Gesetze bemerkbar, die denen des künstlerischen
Produzierens verwandt sind. Daran ist kaum zu zweifeln. Aber man kann
sogar behaupten, daß auch jede wahrhaft produktive wissenschaftliche Leistung
auf ähnlichen Wegen entsteht wie ein Kunstwerk. Wo ein Gedanke bahnbrechend
die Arbeit der Wissenschaft auf neue Gefilde leitet, wo eine Konzeption wie
ein Keim, der sich nachher zu ungeheurem Wachstum entfaltet, in den Boden
der wissenschaftlichen Tätigkeit hineingelegt wird, da sind Gedanke und Kon¬
zeption in der Regel auf intuitivem Wege gefunden. Nur daß hier die Vor¬
bedingungen ihres Entstehens massiger und aufdringlicher vor uns liegen. Beim
Künstler haben wir bald als letztes die Organisation und Struktur seiner geist¬
leiblichen Persönlichkeit, aus der das Kunstwerk wie eine Frucht heranwächst.
Für den ursprünglich schaffenden Wissenschaftler kommt noch das Erfordernis
hinzu, daß außer dem in der Persönlichkeit natürlich Gegebenen die volle Be¬
herrschung des jeweiligen Wisfenschaftsstoffes bei ihm vorhanden ist. Das darf
die Aufmerksamkeit aber nicht davon ablenken, daß das Grundlegende, Weiter¬
schaffende, Befruchtende im wissenschaftlichen Betriebe weniger wie ein Ergebnis
reflektierenden Denkens, als wie ein Geschenk intuitiver Schauens auftritt.
Das, was auf allen Lebensgebieten wirklich weiterführt, ist nicht so sehr der


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[0566] Philosophie als Kunst Wer das wirklich nicht glauben will, der lasse sich von den Geständnissen eines Philosophen wie Schopenhauer überzeugen. Der sagt es zu verschiedenen Malen, daß ihm seine Philosophie von selbst geworden ist, daß ihm nur die Aufgabe blieb, was ihm so ohne sein bewußtes Zutun herangewachsen war, nachträglich aufzuschreiben, wie ein bloßer Zuschauer und Zeuge. Die Augen¬ blicke der wahrhaft philosophischen, wahrhaft künstlerischen (er gebraucht dies WortI) Tätigkeit sind nichts Beabsichtigtes und Willkürliches. Das Denken in Begriffen ist ihm nichts anderes als dem Maler das eigentliche Malen, das Technische, das ausführt und befestigt, was jene Zeit des Empfängers gegeben hat. Nietzsche wird man in diesem Zusammenhang als Philosophen kaum gelten lassen und ihn eher in die Reihen der Künstler stellen wollen. Sein Zeugnis über die Art des Schaffens ist auch zu gewaltig. Indem er die Erschütterung seines ganzen Wesens bei der Inspiration schildert, meint er, daß man beim geringsten Rest von Aberglauben die Vorstellung, bloß Inkar¬ nation, Mundstück und Medium übermächtiger Gewalten zu sein, kaum wieder abzuweisen wisse. Aber schließlich hatte er doch etwas vom Philosophen an sich und wußte jedenfalls, um was es sich bei der Philosophie handelt. Wir dürfen es ihm also zugeben, daß auch in ihrer Produktion die Philosophie der Kunst verwandt ist. Freilich müssen wir diesen Satz in einem gewissen Sinne doch wieder in seinem Gewichte einschränken, indem wir ihn in seinem Umfang erweitern, weil nämlich die Verwandtschaft mit der Kunst nicht nur der Philosophie eignet. Auf die Religion haben wir schon hingewiesen. Als einer der Hauptgrund¬ triebe des Menschenwesens hat sie nicht nur ähnliche Ziele wie die Kunst, auch beim religiösen Schaffen machen sich Gesetze bemerkbar, die denen des künstlerischen Produzierens verwandt sind. Daran ist kaum zu zweifeln. Aber man kann sogar behaupten, daß auch jede wahrhaft produktive wissenschaftliche Leistung auf ähnlichen Wegen entsteht wie ein Kunstwerk. Wo ein Gedanke bahnbrechend die Arbeit der Wissenschaft auf neue Gefilde leitet, wo eine Konzeption wie ein Keim, der sich nachher zu ungeheurem Wachstum entfaltet, in den Boden der wissenschaftlichen Tätigkeit hineingelegt wird, da sind Gedanke und Kon¬ zeption in der Regel auf intuitivem Wege gefunden. Nur daß hier die Vor¬ bedingungen ihres Entstehens massiger und aufdringlicher vor uns liegen. Beim Künstler haben wir bald als letztes die Organisation und Struktur seiner geist¬ leiblichen Persönlichkeit, aus der das Kunstwerk wie eine Frucht heranwächst. Für den ursprünglich schaffenden Wissenschaftler kommt noch das Erfordernis hinzu, daß außer dem in der Persönlichkeit natürlich Gegebenen die volle Be¬ herrschung des jeweiligen Wisfenschaftsstoffes bei ihm vorhanden ist. Das darf die Aufmerksamkeit aber nicht davon ablenken, daß das Grundlegende, Weiter¬ schaffende, Befruchtende im wissenschaftlichen Betriebe weniger wie ein Ergebnis reflektierenden Denkens, als wie ein Geschenk intuitiver Schauens auftritt. Das, was auf allen Lebensgebieten wirklich weiterführt, ist nicht so sehr der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/566>, abgerufen am 27.07.2024.