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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Philosophie als Kunst

verwandt war, so war es offensichtlich bei Schopenhauer der Fall. Dazu betont
Schopenhauer in seiner eigenen Theorie ausdrücklich die nahe Verwandtschaft
von Kunst und Philosophie, und in einem nachgelassenen Aufsatz sagt er einmal
sogar: "Der Stoff, in welchem Philosophie geschaffen werden soll, sind Begriffe;
diese sind dem Philosophen, was dem Bildner der Marmor: er ist Vernunft¬
künstler." Also der Philosoph ein Vernunftkünstler, die Philosophie eine Dichtung
in Begriffen.

Es hätte darum wohl richtig aufgefaßt werden können, wenn im Namen
und unter den Auspizien Schopenhauers von der Philosophie als einer Kunst ge¬
sprochen wurde. Natürlich muß man dies Wort, wie jedes andere, cum Zrano
sallZ verstehen. Vor allem muß man begreifen, daß, wenn man die Philosophie
eine Kunst nennt, damit nicht gesagt werden soll, daß sie keine Wissenschaft
ist. Sie ist eben beides: Kunst und Wissenschaft. Das entscheidende Wort in
dieser Sache hat wohl Nietzsche gesprochen, wenn er sagt, daß die Philosophie
eine Kunst in ihren Zwecken und in ihrer Produktion ist, daß sie aber das
Mittel, die Darstellung in Begriffen, mit der Wissenschaft gemein hat.

Jederzeit hat es die Philosophie als ihre Aufgabe betrachtet, mit dem
Material, das die Wissenschaft ihrer Zeit zur Verfügung stellte, sich ihr Haus
zu bauen. Wenn Thalas von Milet das Wasser zum Grundstoff aller Dinge
machte, so tat er es auf Grund des Wissens seiner Zeit. Schopenhauer
studierte mit Absicht die Naturwissenschaften, um beim Aufbau seines Systems
nicht wider ihre Erkenntnisse zu verstoßen. Niemals aber ist die Forderung,
daß die Philosophie mit den Ergebnissen der Einzelwissenschaften übereinstimmen
müsse, strenger und nachdrücklicher erhoben worden als heute. Seit die exakte
Forschung die Grundlage des ganzen Wissenschaftsbetriebes geworden ist, be¬
herrschen ihre Gesetze die Tätigkeit auf jedem Gebiete. Eine Philosophie
darum, die nicht von den gesicherten Erträgnissen der Einzelwissenschaften aus¬
gehen wollte, würde heute in der Luft schweben; eine Philosophie gar, die
irgendwie in Widerspruch träte, zu dem, was die Einzelforschung ausgemacht
hätte, würde von vornherein ganz abgelehnt werden. Ja, man geht vielfach
in dieser Ansicht soweit, daß man der Philosophie nur die Aufgabe zuschreiben
möchte, die Folgerungen aus dem jeweiligen Stand der Einzelwissenschaften bis
zur Gewinnung eines einigermaßen einheitlichen Gesamtbildes zu ziehen, die
Prinzipien der einzelnen Disziplinen zu untersuchen und ihnen etwa hier und
da neue Aufgaben zu stellen, die sich aus ver Zusammenschau der vielfachen
Einzelarbeiten auf den mannigfachen Wissensgebieten ergeben. Wenn man so
die Philosophie auf die Rolle einer bloßen Zentralstelle des gesamten Wissen¬
schaftsbetriebes beschränkt, dann ist die Frage, ob sie Kunst oder Wissenschaft ist,
ziemlich entschieden; mit keinem Zoll rückt sie dann über die Linie, innerhalb
derer sich alles, was Wissenschaft heißt, bewegt.

Aber die Philosophie will doch etwas mehr sein als Generalstab und
Quartiermeister der Wissenschaften, sie kann sich auf die Dauer in dieser Be-


Philosophie als Kunst

verwandt war, so war es offensichtlich bei Schopenhauer der Fall. Dazu betont
Schopenhauer in seiner eigenen Theorie ausdrücklich die nahe Verwandtschaft
von Kunst und Philosophie, und in einem nachgelassenen Aufsatz sagt er einmal
sogar: „Der Stoff, in welchem Philosophie geschaffen werden soll, sind Begriffe;
diese sind dem Philosophen, was dem Bildner der Marmor: er ist Vernunft¬
künstler." Also der Philosoph ein Vernunftkünstler, die Philosophie eine Dichtung
in Begriffen.

Es hätte darum wohl richtig aufgefaßt werden können, wenn im Namen
und unter den Auspizien Schopenhauers von der Philosophie als einer Kunst ge¬
sprochen wurde. Natürlich muß man dies Wort, wie jedes andere, cum Zrano
sallZ verstehen. Vor allem muß man begreifen, daß, wenn man die Philosophie
eine Kunst nennt, damit nicht gesagt werden soll, daß sie keine Wissenschaft
ist. Sie ist eben beides: Kunst und Wissenschaft. Das entscheidende Wort in
dieser Sache hat wohl Nietzsche gesprochen, wenn er sagt, daß die Philosophie
eine Kunst in ihren Zwecken und in ihrer Produktion ist, daß sie aber das
Mittel, die Darstellung in Begriffen, mit der Wissenschaft gemein hat.

Jederzeit hat es die Philosophie als ihre Aufgabe betrachtet, mit dem
Material, das die Wissenschaft ihrer Zeit zur Verfügung stellte, sich ihr Haus
zu bauen. Wenn Thalas von Milet das Wasser zum Grundstoff aller Dinge
machte, so tat er es auf Grund des Wissens seiner Zeit. Schopenhauer
studierte mit Absicht die Naturwissenschaften, um beim Aufbau seines Systems
nicht wider ihre Erkenntnisse zu verstoßen. Niemals aber ist die Forderung,
daß die Philosophie mit den Ergebnissen der Einzelwissenschaften übereinstimmen
müsse, strenger und nachdrücklicher erhoben worden als heute. Seit die exakte
Forschung die Grundlage des ganzen Wissenschaftsbetriebes geworden ist, be¬
herrschen ihre Gesetze die Tätigkeit auf jedem Gebiete. Eine Philosophie
darum, die nicht von den gesicherten Erträgnissen der Einzelwissenschaften aus¬
gehen wollte, würde heute in der Luft schweben; eine Philosophie gar, die
irgendwie in Widerspruch träte, zu dem, was die Einzelforschung ausgemacht
hätte, würde von vornherein ganz abgelehnt werden. Ja, man geht vielfach
in dieser Ansicht soweit, daß man der Philosophie nur die Aufgabe zuschreiben
möchte, die Folgerungen aus dem jeweiligen Stand der Einzelwissenschaften bis
zur Gewinnung eines einigermaßen einheitlichen Gesamtbildes zu ziehen, die
Prinzipien der einzelnen Disziplinen zu untersuchen und ihnen etwa hier und
da neue Aufgaben zu stellen, die sich aus ver Zusammenschau der vielfachen
Einzelarbeiten auf den mannigfachen Wissensgebieten ergeben. Wenn man so
die Philosophie auf die Rolle einer bloßen Zentralstelle des gesamten Wissen¬
schaftsbetriebes beschränkt, dann ist die Frage, ob sie Kunst oder Wissenschaft ist,
ziemlich entschieden; mit keinem Zoll rückt sie dann über die Linie, innerhalb
derer sich alles, was Wissenschaft heißt, bewegt.

Aber die Philosophie will doch etwas mehr sein als Generalstab und
Quartiermeister der Wissenschaften, sie kann sich auf die Dauer in dieser Be-


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[0564] Philosophie als Kunst verwandt war, so war es offensichtlich bei Schopenhauer der Fall. Dazu betont Schopenhauer in seiner eigenen Theorie ausdrücklich die nahe Verwandtschaft von Kunst und Philosophie, und in einem nachgelassenen Aufsatz sagt er einmal sogar: „Der Stoff, in welchem Philosophie geschaffen werden soll, sind Begriffe; diese sind dem Philosophen, was dem Bildner der Marmor: er ist Vernunft¬ künstler." Also der Philosoph ein Vernunftkünstler, die Philosophie eine Dichtung in Begriffen. Es hätte darum wohl richtig aufgefaßt werden können, wenn im Namen und unter den Auspizien Schopenhauers von der Philosophie als einer Kunst ge¬ sprochen wurde. Natürlich muß man dies Wort, wie jedes andere, cum Zrano sallZ verstehen. Vor allem muß man begreifen, daß, wenn man die Philosophie eine Kunst nennt, damit nicht gesagt werden soll, daß sie keine Wissenschaft ist. Sie ist eben beides: Kunst und Wissenschaft. Das entscheidende Wort in dieser Sache hat wohl Nietzsche gesprochen, wenn er sagt, daß die Philosophie eine Kunst in ihren Zwecken und in ihrer Produktion ist, daß sie aber das Mittel, die Darstellung in Begriffen, mit der Wissenschaft gemein hat. Jederzeit hat es die Philosophie als ihre Aufgabe betrachtet, mit dem Material, das die Wissenschaft ihrer Zeit zur Verfügung stellte, sich ihr Haus zu bauen. Wenn Thalas von Milet das Wasser zum Grundstoff aller Dinge machte, so tat er es auf Grund des Wissens seiner Zeit. Schopenhauer studierte mit Absicht die Naturwissenschaften, um beim Aufbau seines Systems nicht wider ihre Erkenntnisse zu verstoßen. Niemals aber ist die Forderung, daß die Philosophie mit den Ergebnissen der Einzelwissenschaften übereinstimmen müsse, strenger und nachdrücklicher erhoben worden als heute. Seit die exakte Forschung die Grundlage des ganzen Wissenschaftsbetriebes geworden ist, be¬ herrschen ihre Gesetze die Tätigkeit auf jedem Gebiete. Eine Philosophie darum, die nicht von den gesicherten Erträgnissen der Einzelwissenschaften aus¬ gehen wollte, würde heute in der Luft schweben; eine Philosophie gar, die irgendwie in Widerspruch träte, zu dem, was die Einzelforschung ausgemacht hätte, würde von vornherein ganz abgelehnt werden. Ja, man geht vielfach in dieser Ansicht soweit, daß man der Philosophie nur die Aufgabe zuschreiben möchte, die Folgerungen aus dem jeweiligen Stand der Einzelwissenschaften bis zur Gewinnung eines einigermaßen einheitlichen Gesamtbildes zu ziehen, die Prinzipien der einzelnen Disziplinen zu untersuchen und ihnen etwa hier und da neue Aufgaben zu stellen, die sich aus ver Zusammenschau der vielfachen Einzelarbeiten auf den mannigfachen Wissensgebieten ergeben. Wenn man so die Philosophie auf die Rolle einer bloßen Zentralstelle des gesamten Wissen¬ schaftsbetriebes beschränkt, dann ist die Frage, ob sie Kunst oder Wissenschaft ist, ziemlich entschieden; mit keinem Zoll rückt sie dann über die Linie, innerhalb derer sich alles, was Wissenschaft heißt, bewegt. Aber die Philosophie will doch etwas mehr sein als Generalstab und Quartiermeister der Wissenschaften, sie kann sich auf die Dauer in dieser Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/564>, abgerufen am 28.07.2024.