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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Russische Polenpolitik

Konflikt kommt und Kotzebue gegen Anwendung des Kriegsgerichts protestirt,
tritt der Zar, entgegen einem früher erlassenen Gesetz, auf seine Seite, wodurch
von vornherein mehreren Angeklagten das Leben gesichert ist*). Der Zar
fördert gegen Ende seiner Regierungszeit augenscheinlich alle Annäherungs¬
bestrebungen, woher sie auch kommen; er läßt die Generalgouverneure sich in
Warschau um die Gunst des polnischen Adels und des polnisch-jüdischen Gro߬
kapitals bewerben; einen einflußreichen Mann wie Ludwik Görski sucht er aus¬
zuzeichnen; "Russen polnischer Kultur," wie Spassowicz, die zehn Jahre früher
ausgewiesen worden waren, konnten, wenn auch unter strenger Beaufsichtigung,
zwischen Polen und Russen wirken. Also, selbst ein gewisses Maß von Pan-
slawismus wurde im Rahmen der Polenfrage geduldet. Der Zar unterschied
zwischen den Parteien der Ordnung, die sich unter der Flagge des "trojlo^all^in" "")
sammelten, und denen des Aufruhrs, wobei ihm die ersteren recht entgegen¬
kamen, da sie sowohl in Krakau wie in Warschau die dem Zaren verständ¬
lichen Ideen Wielopolskis guthießen und für sie Propaganda machten. Tat¬
sächlich wurde nur das offen revolutionäre Polentum scharf bekämpft, in welcher
Form es auch auftreten mochte; die friedliche nationalpolnische Propaganda,
die heimlich, wenn auch für die Generalgouverneure sichtbar genug, den inneren
Aufbau der Nation betrieb, blieb unbehelligt"*"). Das Wort: Schutz des
Kapitals, Schutz jeder gewerblichen Bethätigung I hatte daneben einen realen
Sinn, der das Vertrauen des ausländischen Kapitals heischte.

Die prinzipielle Haltung Alexanders der Revolution gegenüber hatte das
Angenehme für seine sonstige Politik, daß sie sich in Übereinstimmung rin der
der beiden anderen Kaiser befand. Denn ganz abgesehen davon, daß sie die
Grundlage für das Dreikaiserbündnis bildete, ließ sie dem Zaren freie Hand,
sich mit dem friedlichen Teil der Polen nach seinem Geschmack und wie es dem
Nutzen seines Reiches entsprach, abzufinden, ohne dadurch gleich das Mißtrauen
Kaiser Wilhelms und Bismarcks besonders zu reizen. Gab es doch genug
Polen, die sich nach den Orgien der Pariser Kommune von den roten Emi¬
granten lossagten und die, wie Fürst Czartoryski, offen für einen Anschluß an
Rußland eintraten; selbst Graf Ladislaw Plater will nichts von einer Soli¬
darität mit den Noten wissen. Dagegen machte die polnische Emigration "leb¬
hafte Anstrengungen zur Aussöhnung mit Rußland". Prinz Neuß berichtete
unter dem 17. März 1872 an Bismarck: "Nicht nur sind'es Berichte der
russischen Gesandten in den verschiedensten Ländern, sondern auch die General¬
gouverneure von Wilna, Warschau, Kijew und Odessa berichten in diesem





*) Mas vom 3./14. April 1880.
Siehe Zukunft Polens Bd. II S. 67: "trojloyalixm" ist Loyalität der einzelnen
Polen der jeweiligen Teilungsmacht gegenüber.
Auch diese Stellungnahme spricht gegen die Starke Preußischer Einflüsse, -- sie
schien dem Zaren lediglich ein Gebot der Notwendigkeit gegenüber der innerpolitischen Lage
Rußlands.
Russische Polenpolitik

Konflikt kommt und Kotzebue gegen Anwendung des Kriegsgerichts protestirt,
tritt der Zar, entgegen einem früher erlassenen Gesetz, auf seine Seite, wodurch
von vornherein mehreren Angeklagten das Leben gesichert ist*). Der Zar
fördert gegen Ende seiner Regierungszeit augenscheinlich alle Annäherungs¬
bestrebungen, woher sie auch kommen; er läßt die Generalgouverneure sich in
Warschau um die Gunst des polnischen Adels und des polnisch-jüdischen Gro߬
kapitals bewerben; einen einflußreichen Mann wie Ludwik Görski sucht er aus¬
zuzeichnen; „Russen polnischer Kultur," wie Spassowicz, die zehn Jahre früher
ausgewiesen worden waren, konnten, wenn auch unter strenger Beaufsichtigung,
zwischen Polen und Russen wirken. Also, selbst ein gewisses Maß von Pan-
slawismus wurde im Rahmen der Polenfrage geduldet. Der Zar unterschied
zwischen den Parteien der Ordnung, die sich unter der Flagge des „trojlo^all^in" "")
sammelten, und denen des Aufruhrs, wobei ihm die ersteren recht entgegen¬
kamen, da sie sowohl in Krakau wie in Warschau die dem Zaren verständ¬
lichen Ideen Wielopolskis guthießen und für sie Propaganda machten. Tat¬
sächlich wurde nur das offen revolutionäre Polentum scharf bekämpft, in welcher
Form es auch auftreten mochte; die friedliche nationalpolnische Propaganda,
die heimlich, wenn auch für die Generalgouverneure sichtbar genug, den inneren
Aufbau der Nation betrieb, blieb unbehelligt"*"). Das Wort: Schutz des
Kapitals, Schutz jeder gewerblichen Bethätigung I hatte daneben einen realen
Sinn, der das Vertrauen des ausländischen Kapitals heischte.

Die prinzipielle Haltung Alexanders der Revolution gegenüber hatte das
Angenehme für seine sonstige Politik, daß sie sich in Übereinstimmung rin der
der beiden anderen Kaiser befand. Denn ganz abgesehen davon, daß sie die
Grundlage für das Dreikaiserbündnis bildete, ließ sie dem Zaren freie Hand,
sich mit dem friedlichen Teil der Polen nach seinem Geschmack und wie es dem
Nutzen seines Reiches entsprach, abzufinden, ohne dadurch gleich das Mißtrauen
Kaiser Wilhelms und Bismarcks besonders zu reizen. Gab es doch genug
Polen, die sich nach den Orgien der Pariser Kommune von den roten Emi¬
granten lossagten und die, wie Fürst Czartoryski, offen für einen Anschluß an
Rußland eintraten; selbst Graf Ladislaw Plater will nichts von einer Soli¬
darität mit den Noten wissen. Dagegen machte die polnische Emigration „leb¬
hafte Anstrengungen zur Aussöhnung mit Rußland". Prinz Neuß berichtete
unter dem 17. März 1872 an Bismarck: „Nicht nur sind'es Berichte der
russischen Gesandten in den verschiedensten Ländern, sondern auch die General¬
gouverneure von Wilna, Warschau, Kijew und Odessa berichten in diesem





*) Mas vom 3./14. April 1880.
Siehe Zukunft Polens Bd. II S. 67: „trojloyalixm" ist Loyalität der einzelnen
Polen der jeweiligen Teilungsmacht gegenüber.
Auch diese Stellungnahme spricht gegen die Starke Preußischer Einflüsse, — sie
schien dem Zaren lediglich ein Gebot der Notwendigkeit gegenüber der innerpolitischen Lage
Rußlands.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/560>, abgerufen am 23.07.2024.