Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Denis Diderot

blieb. Seine größte Gönnerin war Katharina die Zweite von Rußland, an
deren Hof er fünf Monate verweilte. Sie unterstützte ihn großmütig und ließ
sich auch feine "MucKeries", seine Ungeschicklichkeiten gefallen, z. B. daß er
nach seiner Gewohnheit im Eifer des Gespräches die Hände auf die kaiserlichen
Knie legte. Sie soll ihn auch einmal zu einer gewagten Äußerung ermutigt
haben mit den Worten: "Nur zu! wir sind ja unter uns Männern!"

Ein Bild seines Charakters zu geben ist nicht leicht. Sicherlich hatte er
viel Herzensgüte und war seinen Freunden ein treuer Freund, aber er vereinigte
in sich große Widersprüche. Er ist ernsthaft und frivol, schwärmerisch und
cynisch; er beschäftigt sich von Jugend auf mit den wichtigsten Problemen und
kann doch noch als siebenundvierzigjähriger Mann Vergnügen daran finden, an
einem Schwanenteich entlang zu laufen, um die Schwäne zu necken; er ist be¬
geistert für Moral und für Familienleben, aber eheliche Beständigkeit und Treue,
die Grundpfeiler der Familie, stehen nicht in seinem Katechismus. Die Zeit
entschuldigte freie Verhältnisse. Es gab noch keine Ehescheidung, man behalf
sich mit Freundinnen. Frau von Vandeul, Diderots Tochter und Biographin,
berichtet mit großer Offenheit von den Freundinnen ihres Vaters und bemerkt
dann: "I^es mWur8 cZe mon poro ont toujours ses donnes: it n'a ac sa,
vie uns Is8 leinenes cke spoctaclss ni les Me8 publiques."

Man hat öfters gesagt, Diderot sei der deutscheste unter den französischen
Schriftstellern. Wenn man dabei im Auge hat, daß er von einem rastlosen
faustischen Wissensdrang erfüllt war und daß er der Wahrheit um ihrer selbst
willen diente, so werden wir dieses Urteil gerne unterschreiben. Auch sein
kerniger, wenn auch derber Humor ist uns meist sympathisch. Wenn aber ein
hervorragender Kenner Diderots auch in der Kürze und Kraft seiner Sprache
deutsches Wesen erkennen will, so ist dies weniger begreiflich; seine Sprache
zeichnet sich eher durch Redseligkeit als durch Kürze aus. Richtig ist es aber,
daß er unter den Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts der modernste
war. Es ist erstaunlich, wievielen neuen Ideen man bei ihm begegnet, selbst
Schlagworten wie Preßfreiheit, Progressiv-Einkommensteuer, Realschulanstalten
und dergleichen.

Als Diderot sein Haupt zur Ruhe neigte, die er im Leben nie gefunden
-- es war am 30. Juli 1784 --, grollten schon in der Ferne leise die Donner
der Revolution; eine neue Zeit nahte mit ehernen: Schritt, die er selbst hatte
heraufführen helfen.




Denis Diderot

blieb. Seine größte Gönnerin war Katharina die Zweite von Rußland, an
deren Hof er fünf Monate verweilte. Sie unterstützte ihn großmütig und ließ
sich auch feine „MucKeries", seine Ungeschicklichkeiten gefallen, z. B. daß er
nach seiner Gewohnheit im Eifer des Gespräches die Hände auf die kaiserlichen
Knie legte. Sie soll ihn auch einmal zu einer gewagten Äußerung ermutigt
haben mit den Worten: „Nur zu! wir sind ja unter uns Männern!"

Ein Bild seines Charakters zu geben ist nicht leicht. Sicherlich hatte er
viel Herzensgüte und war seinen Freunden ein treuer Freund, aber er vereinigte
in sich große Widersprüche. Er ist ernsthaft und frivol, schwärmerisch und
cynisch; er beschäftigt sich von Jugend auf mit den wichtigsten Problemen und
kann doch noch als siebenundvierzigjähriger Mann Vergnügen daran finden, an
einem Schwanenteich entlang zu laufen, um die Schwäne zu necken; er ist be¬
geistert für Moral und für Familienleben, aber eheliche Beständigkeit und Treue,
die Grundpfeiler der Familie, stehen nicht in seinem Katechismus. Die Zeit
entschuldigte freie Verhältnisse. Es gab noch keine Ehescheidung, man behalf
sich mit Freundinnen. Frau von Vandeul, Diderots Tochter und Biographin,
berichtet mit großer Offenheit von den Freundinnen ihres Vaters und bemerkt
dann: „I^es mWur8 cZe mon poro ont toujours ses donnes: it n'a ac sa,
vie uns Is8 leinenes cke spoctaclss ni les Me8 publiques."

Man hat öfters gesagt, Diderot sei der deutscheste unter den französischen
Schriftstellern. Wenn man dabei im Auge hat, daß er von einem rastlosen
faustischen Wissensdrang erfüllt war und daß er der Wahrheit um ihrer selbst
willen diente, so werden wir dieses Urteil gerne unterschreiben. Auch sein
kerniger, wenn auch derber Humor ist uns meist sympathisch. Wenn aber ein
hervorragender Kenner Diderots auch in der Kürze und Kraft seiner Sprache
deutsches Wesen erkennen will, so ist dies weniger begreiflich; seine Sprache
zeichnet sich eher durch Redseligkeit als durch Kürze aus. Richtig ist es aber,
daß er unter den Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts der modernste
war. Es ist erstaunlich, wievielen neuen Ideen man bei ihm begegnet, selbst
Schlagworten wie Preßfreiheit, Progressiv-Einkommensteuer, Realschulanstalten
und dergleichen.

Als Diderot sein Haupt zur Ruhe neigte, die er im Leben nie gefunden
— es war am 30. Juli 1784 —, grollten schon in der Ferne leise die Donner
der Revolution; eine neue Zeit nahte mit ehernen: Schritt, die er selbst hatte
heraufführen helfen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326867"/>
          <fw type="header" place="top"> Denis Diderot</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_194" prev="#ID_193"> blieb. Seine größte Gönnerin war Katharina die Zweite von Rußland, an<lb/>
deren Hof er fünf Monate verweilte. Sie unterstützte ihn großmütig und ließ<lb/>
sich auch feine &#x201E;MucKeries", seine Ungeschicklichkeiten gefallen, z. B. daß er<lb/>
nach seiner Gewohnheit im Eifer des Gespräches die Hände auf die kaiserlichen<lb/>
Knie legte. Sie soll ihn auch einmal zu einer gewagten Äußerung ermutigt<lb/>
haben mit den Worten: &#x201E;Nur zu! wir sind ja unter uns Männern!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_195"> Ein Bild seines Charakters zu geben ist nicht leicht. Sicherlich hatte er<lb/>
viel Herzensgüte und war seinen Freunden ein treuer Freund, aber er vereinigte<lb/>
in sich große Widersprüche. Er ist ernsthaft und frivol, schwärmerisch und<lb/>
cynisch; er beschäftigt sich von Jugend auf mit den wichtigsten Problemen und<lb/>
kann doch noch als siebenundvierzigjähriger Mann Vergnügen daran finden, an<lb/>
einem Schwanenteich entlang zu laufen, um die Schwäne zu necken; er ist be¬<lb/>
geistert für Moral und für Familienleben, aber eheliche Beständigkeit und Treue,<lb/>
die Grundpfeiler der Familie, stehen nicht in seinem Katechismus. Die Zeit<lb/>
entschuldigte freie Verhältnisse. Es gab noch keine Ehescheidung, man behalf<lb/>
sich mit Freundinnen. Frau von Vandeul, Diderots Tochter und Biographin,<lb/>
berichtet mit großer Offenheit von den Freundinnen ihres Vaters und bemerkt<lb/>
dann: &#x201E;I^es mWur8 cZe mon poro ont toujours ses donnes: it n'a ac sa,<lb/>
vie uns Is8 leinenes cke spoctaclss ni les Me8 publiques."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_196"> Man hat öfters gesagt, Diderot sei der deutscheste unter den französischen<lb/>
Schriftstellern. Wenn man dabei im Auge hat, daß er von einem rastlosen<lb/>
faustischen Wissensdrang erfüllt war und daß er der Wahrheit um ihrer selbst<lb/>
willen diente, so werden wir dieses Urteil gerne unterschreiben. Auch sein<lb/>
kerniger, wenn auch derber Humor ist uns meist sympathisch. Wenn aber ein<lb/>
hervorragender Kenner Diderots auch in der Kürze und Kraft seiner Sprache<lb/>
deutsches Wesen erkennen will, so ist dies weniger begreiflich; seine Sprache<lb/>
zeichnet sich eher durch Redseligkeit als durch Kürze aus. Richtig ist es aber,<lb/>
daß er unter den Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts der modernste<lb/>
war. Es ist erstaunlich, wievielen neuen Ideen man bei ihm begegnet, selbst<lb/>
Schlagworten wie Preßfreiheit, Progressiv-Einkommensteuer, Realschulanstalten<lb/>
und dergleichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_197"> Als Diderot sein Haupt zur Ruhe neigte, die er im Leben nie gefunden<lb/>
&#x2014; es war am 30. Juli 1784 &#x2014;, grollten schon in der Ferne leise die Donner<lb/>
der Revolution; eine neue Zeit nahte mit ehernen: Schritt, die er selbst hatte<lb/>
heraufführen helfen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] Denis Diderot blieb. Seine größte Gönnerin war Katharina die Zweite von Rußland, an deren Hof er fünf Monate verweilte. Sie unterstützte ihn großmütig und ließ sich auch feine „MucKeries", seine Ungeschicklichkeiten gefallen, z. B. daß er nach seiner Gewohnheit im Eifer des Gespräches die Hände auf die kaiserlichen Knie legte. Sie soll ihn auch einmal zu einer gewagten Äußerung ermutigt haben mit den Worten: „Nur zu! wir sind ja unter uns Männern!" Ein Bild seines Charakters zu geben ist nicht leicht. Sicherlich hatte er viel Herzensgüte und war seinen Freunden ein treuer Freund, aber er vereinigte in sich große Widersprüche. Er ist ernsthaft und frivol, schwärmerisch und cynisch; er beschäftigt sich von Jugend auf mit den wichtigsten Problemen und kann doch noch als siebenundvierzigjähriger Mann Vergnügen daran finden, an einem Schwanenteich entlang zu laufen, um die Schwäne zu necken; er ist be¬ geistert für Moral und für Familienleben, aber eheliche Beständigkeit und Treue, die Grundpfeiler der Familie, stehen nicht in seinem Katechismus. Die Zeit entschuldigte freie Verhältnisse. Es gab noch keine Ehescheidung, man behalf sich mit Freundinnen. Frau von Vandeul, Diderots Tochter und Biographin, berichtet mit großer Offenheit von den Freundinnen ihres Vaters und bemerkt dann: „I^es mWur8 cZe mon poro ont toujours ses donnes: it n'a ac sa, vie uns Is8 leinenes cke spoctaclss ni les Me8 publiques." Man hat öfters gesagt, Diderot sei der deutscheste unter den französischen Schriftstellern. Wenn man dabei im Auge hat, daß er von einem rastlosen faustischen Wissensdrang erfüllt war und daß er der Wahrheit um ihrer selbst willen diente, so werden wir dieses Urteil gerne unterschreiben. Auch sein kerniger, wenn auch derber Humor ist uns meist sympathisch. Wenn aber ein hervorragender Kenner Diderots auch in der Kürze und Kraft seiner Sprache deutsches Wesen erkennen will, so ist dies weniger begreiflich; seine Sprache zeichnet sich eher durch Redseligkeit als durch Kürze aus. Richtig ist es aber, daß er unter den Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts der modernste war. Es ist erstaunlich, wievielen neuen Ideen man bei ihm begegnet, selbst Schlagworten wie Preßfreiheit, Progressiv-Einkommensteuer, Realschulanstalten und dergleichen. Als Diderot sein Haupt zur Ruhe neigte, die er im Leben nie gefunden — es war am 30. Juli 1784 —, grollten schon in der Ferne leise die Donner der Revolution; eine neue Zeit nahte mit ehernen: Schritt, die er selbst hatte heraufführen helfen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/55
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/55>, abgerufen am 22.07.2024.