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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Augustus

Wünschen, da klang vom Nachbarhause herüber eine feine sanfte Musik, so zart
und köstlich wie sie noch von keiner Spieldose gehört worden ist. Bei diesem
Klang besann sich Fran Elisabeth und kam zu sich, und jetzt glaubte sie wieder
an den Nachbar Binßwanger und sein Patengeschenk, und je mehr sie sich be¬
sann und je mehr sie wünschen wollte, desto mehr geriet ihr alles in den Ge>
danken durcheinander, daß sie sich für nichts entscheiden konnte. Sie wurde
ganz bekümmert und hatte Tränen in den Augen, da klang die Musik leiser
und schwächer und sie dachte, wenn sie jetzt im Augenblick ihren Wunsch nicht
täte, so wäre es zu spät und alles verloren.

Da seufzte sie auf und bog sich zu ihrem Knaben hinunter und flüsterte
ihm ins linke Ohr: "Mein Söhnlein, ich wünsche dir -- ich wünsche dir -- ."
und als die schöne Musik schon ganz am Verklingen war, erschrak sie und sagte
schnell: "Ich wünsche dir, daß alle Menschen dich lieb haben müssen."

Die Töne waren jetzt verklungen und es war totenstill in dem dunklen
Zimmer. Sie aber warf sich über die Wiege und weinte und war voll Angst
und Bangigkeit und rief: "Ach, nun habe ich dir das Beste gewünscht, was
ich weiß, und doch ist es vielleicht nicht das Richtige gewesen. Und wenn auch
alle, alle Menschen dich lieb haben werden, so kann doch niemand mehr dich
so lieb haben wie deine Mutter."

Augustus wuchs nun heran wie andere Kinder, er war ein hübscher
blonder Knabe mit hellen mutigen Augen, den die Mutter verwöhnte und der
überall wohl gelitten war. Frau Elisabeth merkte schon bald, daß ihr Taus°
tagswunsch sich an dem Kind erfülle, denn kaum war der Kleine so alt, daß
er gehen konnte und auf die Gasse und zu anderen Leuten kam, so fand ihn
jedermann so hübsch und keck und klug wie selten ein Kind, und jedermann gab
ihm die Hand, sah ihm in die Augen und zeigte ihm seine Gunst. Junge
Mütter lächelten ihm zu und alte Weiblein schenkten ihm Äpfel, und wenn er
irgendwo eine Unart verübte, glaubte niemand, daß er es gewesen sei, oder
wenn es nicht zu leugnen war, zuckte man die Achseln und sagte: "Man kann
dem netten Kerlchen wahrhaftig nichts übel nehmen."

Es kamen Leute, die auf den schönen Knaben aufmerksam geworden
waren, zu seiner Mutter, und sie, die niemand gekannt und früher nur wenig
Näharbeit ins Haus bekommen hatte, wurde jetzt als die Mutter des Augustus
wohl bekannt und hatte mehr Gönner als sie sich je gewünscht hätte. Es ging
ihr gut und dem Jungen auch, und wohin sie miteinander kamen, da freute sich
die Nachbarschaft, grüßte und sah den Glücklichen nach.

Das Schönste hatte Augustus nebenan bei seinem Paten; der rief ihn zu¬
weilen am Abend in sein Häuschen, da war es dunkel und nur im schwarzen
Kaminloch brannte eine kleine rote Flamme, und der kleine alte Mann zog das
Kind zu sich auf ein Fell am Boden und sah mit ihm in die stille Flamme
und erzählte ihn: lange Geschichten. Aber manchmal, wenn so eine lange Ge¬
schichte zu Ende und der Kleine ganz schläfrig geworden war und in der


Augustus

Wünschen, da klang vom Nachbarhause herüber eine feine sanfte Musik, so zart
und köstlich wie sie noch von keiner Spieldose gehört worden ist. Bei diesem
Klang besann sich Fran Elisabeth und kam zu sich, und jetzt glaubte sie wieder
an den Nachbar Binßwanger und sein Patengeschenk, und je mehr sie sich be¬
sann und je mehr sie wünschen wollte, desto mehr geriet ihr alles in den Ge>
danken durcheinander, daß sie sich für nichts entscheiden konnte. Sie wurde
ganz bekümmert und hatte Tränen in den Augen, da klang die Musik leiser
und schwächer und sie dachte, wenn sie jetzt im Augenblick ihren Wunsch nicht
täte, so wäre es zu spät und alles verloren.

Da seufzte sie auf und bog sich zu ihrem Knaben hinunter und flüsterte
ihm ins linke Ohr: „Mein Söhnlein, ich wünsche dir — ich wünsche dir — ."
und als die schöne Musik schon ganz am Verklingen war, erschrak sie und sagte
schnell: „Ich wünsche dir, daß alle Menschen dich lieb haben müssen."

Die Töne waren jetzt verklungen und es war totenstill in dem dunklen
Zimmer. Sie aber warf sich über die Wiege und weinte und war voll Angst
und Bangigkeit und rief: „Ach, nun habe ich dir das Beste gewünscht, was
ich weiß, und doch ist es vielleicht nicht das Richtige gewesen. Und wenn auch
alle, alle Menschen dich lieb haben werden, so kann doch niemand mehr dich
so lieb haben wie deine Mutter."

Augustus wuchs nun heran wie andere Kinder, er war ein hübscher
blonder Knabe mit hellen mutigen Augen, den die Mutter verwöhnte und der
überall wohl gelitten war. Frau Elisabeth merkte schon bald, daß ihr Taus°
tagswunsch sich an dem Kind erfülle, denn kaum war der Kleine so alt, daß
er gehen konnte und auf die Gasse und zu anderen Leuten kam, so fand ihn
jedermann so hübsch und keck und klug wie selten ein Kind, und jedermann gab
ihm die Hand, sah ihm in die Augen und zeigte ihm seine Gunst. Junge
Mütter lächelten ihm zu und alte Weiblein schenkten ihm Äpfel, und wenn er
irgendwo eine Unart verübte, glaubte niemand, daß er es gewesen sei, oder
wenn es nicht zu leugnen war, zuckte man die Achseln und sagte: „Man kann
dem netten Kerlchen wahrhaftig nichts übel nehmen."

Es kamen Leute, die auf den schönen Knaben aufmerksam geworden
waren, zu seiner Mutter, und sie, die niemand gekannt und früher nur wenig
Näharbeit ins Haus bekommen hatte, wurde jetzt als die Mutter des Augustus
wohl bekannt und hatte mehr Gönner als sie sich je gewünscht hätte. Es ging
ihr gut und dem Jungen auch, und wohin sie miteinander kamen, da freute sich
die Nachbarschaft, grüßte und sah den Glücklichen nach.

Das Schönste hatte Augustus nebenan bei seinem Paten; der rief ihn zu¬
weilen am Abend in sein Häuschen, da war es dunkel und nur im schwarzen
Kaminloch brannte eine kleine rote Flamme, und der kleine alte Mann zog das
Kind zu sich auf ein Fell am Boden und sah mit ihm in die stille Flamme
und erzählte ihn: lange Geschichten. Aber manchmal, wenn so eine lange Ge¬
schichte zu Ende und der Kleine ganz schläfrig geworden war und in der


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[0521] Augustus Wünschen, da klang vom Nachbarhause herüber eine feine sanfte Musik, so zart und köstlich wie sie noch von keiner Spieldose gehört worden ist. Bei diesem Klang besann sich Fran Elisabeth und kam zu sich, und jetzt glaubte sie wieder an den Nachbar Binßwanger und sein Patengeschenk, und je mehr sie sich be¬ sann und je mehr sie wünschen wollte, desto mehr geriet ihr alles in den Ge> danken durcheinander, daß sie sich für nichts entscheiden konnte. Sie wurde ganz bekümmert und hatte Tränen in den Augen, da klang die Musik leiser und schwächer und sie dachte, wenn sie jetzt im Augenblick ihren Wunsch nicht täte, so wäre es zu spät und alles verloren. Da seufzte sie auf und bog sich zu ihrem Knaben hinunter und flüsterte ihm ins linke Ohr: „Mein Söhnlein, ich wünsche dir — ich wünsche dir — ." und als die schöne Musik schon ganz am Verklingen war, erschrak sie und sagte schnell: „Ich wünsche dir, daß alle Menschen dich lieb haben müssen." Die Töne waren jetzt verklungen und es war totenstill in dem dunklen Zimmer. Sie aber warf sich über die Wiege und weinte und war voll Angst und Bangigkeit und rief: „Ach, nun habe ich dir das Beste gewünscht, was ich weiß, und doch ist es vielleicht nicht das Richtige gewesen. Und wenn auch alle, alle Menschen dich lieb haben werden, so kann doch niemand mehr dich so lieb haben wie deine Mutter." Augustus wuchs nun heran wie andere Kinder, er war ein hübscher blonder Knabe mit hellen mutigen Augen, den die Mutter verwöhnte und der überall wohl gelitten war. Frau Elisabeth merkte schon bald, daß ihr Taus° tagswunsch sich an dem Kind erfülle, denn kaum war der Kleine so alt, daß er gehen konnte und auf die Gasse und zu anderen Leuten kam, so fand ihn jedermann so hübsch und keck und klug wie selten ein Kind, und jedermann gab ihm die Hand, sah ihm in die Augen und zeigte ihm seine Gunst. Junge Mütter lächelten ihm zu und alte Weiblein schenkten ihm Äpfel, und wenn er irgendwo eine Unart verübte, glaubte niemand, daß er es gewesen sei, oder wenn es nicht zu leugnen war, zuckte man die Achseln und sagte: „Man kann dem netten Kerlchen wahrhaftig nichts übel nehmen." Es kamen Leute, die auf den schönen Knaben aufmerksam geworden waren, zu seiner Mutter, und sie, die niemand gekannt und früher nur wenig Näharbeit ins Haus bekommen hatte, wurde jetzt als die Mutter des Augustus wohl bekannt und hatte mehr Gönner als sie sich je gewünscht hätte. Es ging ihr gut und dem Jungen auch, und wohin sie miteinander kamen, da freute sich die Nachbarschaft, grüßte und sah den Glücklichen nach. Das Schönste hatte Augustus nebenan bei seinem Paten; der rief ihn zu¬ weilen am Abend in sein Häuschen, da war es dunkel und nur im schwarzen Kaminloch brannte eine kleine rote Flamme, und der kleine alte Mann zog das Kind zu sich auf ein Fell am Boden und sah mit ihm in die stille Flamme und erzählte ihn: lange Geschichten. Aber manchmal, wenn so eine lange Ge¬ schichte zu Ende und der Kleine ganz schläfrig geworden war und in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/521>, abgerufen am 24.08.2024.