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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Zohn Galsworthy, der Epiker und Dramatiker

Ergänzungen zu diesem Gesellschaftsroman bilden die Schilderung des Land¬
adels in "l'Ke Lountr> l1on8e" und, psychologisch vielleicht am feinsten
ziseliert, die Prosadichtung "k^raternit^". Das helle und das dunkle London
stehen einander gegenüber. In den schönen, gartenumgebenen Häusern der
Weststadt wohnen wohlhabende, intelligente Familien, die um das Elend des
Sinn8 wissen und helfen möchten. Aber die warmherzige Tatkraft zweier Haus¬
frauen, die sanitären Ratschläge eines jungen Mediziners sind ebenso machtlos
wie die greisenhaft hindämmernde Philantropie eines halb sinnverwirrten Ge¬
lehrten und die Reformphantasien eines Backfischchens. Den Besitzenden bringt
die Berührung mit jenen unteren Regionen nur Wirrsal und Leid, ohne doch
die Lage der Unglücklichen erleichtern zu können. Auch hier wieder das Prinzip
der Gegenüberstellung festgefügter sozialer Kreise und Ordnungen, zwischen denen
es nichts Gemeinsames und keinen Austausch geben kann. Erwerbssinn und
künstlerische Arbeit, geistiges Schaffen und bittere Fron kraftloser Glieder,
patriarchalische Herrschaft über die fruchttragende Erde und die gesetzlose
Eroberungstaktik des Abenteurertums -- sie alle suchen sich die Welt auf eigene
Faust zu unterjochen. Es ist einfach eine Frage der brutalen Macht, die nur
nach dem Maße der verfügbaren Kraft entschieden wird. Seitwärts ausschauen
nach dem Streben der anderen oder ihnen gar helfen wollen, ist Schwäche, die
sich am eigenen Leibe rächt. Das ist nach Galsworthys Überzeugung die
Kampfordnung der modernen Kultur -- eine Weltanschauung, die also tief
pessimistisch ist und den Glauben an eine Versöhnung der Kontraste, ja selbst
an mildernde Kompromisse längst verlernt hat. An ihre Stelle tritt ein starkes
Gerechtigkeitsgefühl -- ein fast leidenschaftliches Bemühen, jedes Ding durchaus
nach seinem ganzen Wesen mit allen Licht- und Schattenseiten zu erfassen. Der
Dichter hat sich durch dies sein Streben zu einer Unparteilichkeit erzogen, die
sich bisweilen nicht ganz logisch seinen Gestalten mitteilt und uns von dort her
oftmals kühl anwehe.

Es wird uns ein wenig schwer, zu glauben, daß ein fanatischer Arbeiter¬
führer die Persönlichkeit seines Gegners, des Kapitalisten, so würdigen kann,
wie dies von feiten des Maschinisten Roberts in dem jüngst hier aufgeführten
Drama "Kampf" ("Links") geschieht. Die alte Streitfrage "Kapital und Arbeit"
erscheint hier zugespitzt zum Duell zweier Willensmenschen, beide bereit, bis
zum bitteren Ende auszuhalten und fähig, ihrem Gefolge bis zu einem gewissen
Grade von ihrem Geiste mitzuteilen. Sie sind beide geborene Führer und der
gegenseitige Widerstand erhöht immer aufs neue ihre Kraftspannung, wiewohl
die elementaren Einflüsse greisenhafter physischer Schwäche auf der einen und
Hunger und Seelennot auf der anderen Seite sich übermächtig geltend machen
wollen. Aber die jenen beiden folgen, sind aus weicheren Stoff. Sie ver¬
söhnen sich gegen den Willen der Führer. Und so stehen sich am Schluß noch
einmal die zwei gegenüber, die ihre ganze Lebenskraft an den Kampf gesetzt
haben -- der greise Fabrikdirektor und der Wortführer der Arbeiter -- ge-


Zohn Galsworthy, der Epiker und Dramatiker

Ergänzungen zu diesem Gesellschaftsroman bilden die Schilderung des Land¬
adels in „l'Ke Lountr> l1on8e" und, psychologisch vielleicht am feinsten
ziseliert, die Prosadichtung „k^raternit^". Das helle und das dunkle London
stehen einander gegenüber. In den schönen, gartenumgebenen Häusern der
Weststadt wohnen wohlhabende, intelligente Familien, die um das Elend des
Sinn8 wissen und helfen möchten. Aber die warmherzige Tatkraft zweier Haus¬
frauen, die sanitären Ratschläge eines jungen Mediziners sind ebenso machtlos
wie die greisenhaft hindämmernde Philantropie eines halb sinnverwirrten Ge¬
lehrten und die Reformphantasien eines Backfischchens. Den Besitzenden bringt
die Berührung mit jenen unteren Regionen nur Wirrsal und Leid, ohne doch
die Lage der Unglücklichen erleichtern zu können. Auch hier wieder das Prinzip
der Gegenüberstellung festgefügter sozialer Kreise und Ordnungen, zwischen denen
es nichts Gemeinsames und keinen Austausch geben kann. Erwerbssinn und
künstlerische Arbeit, geistiges Schaffen und bittere Fron kraftloser Glieder,
patriarchalische Herrschaft über die fruchttragende Erde und die gesetzlose
Eroberungstaktik des Abenteurertums — sie alle suchen sich die Welt auf eigene
Faust zu unterjochen. Es ist einfach eine Frage der brutalen Macht, die nur
nach dem Maße der verfügbaren Kraft entschieden wird. Seitwärts ausschauen
nach dem Streben der anderen oder ihnen gar helfen wollen, ist Schwäche, die
sich am eigenen Leibe rächt. Das ist nach Galsworthys Überzeugung die
Kampfordnung der modernen Kultur — eine Weltanschauung, die also tief
pessimistisch ist und den Glauben an eine Versöhnung der Kontraste, ja selbst
an mildernde Kompromisse längst verlernt hat. An ihre Stelle tritt ein starkes
Gerechtigkeitsgefühl — ein fast leidenschaftliches Bemühen, jedes Ding durchaus
nach seinem ganzen Wesen mit allen Licht- und Schattenseiten zu erfassen. Der
Dichter hat sich durch dies sein Streben zu einer Unparteilichkeit erzogen, die
sich bisweilen nicht ganz logisch seinen Gestalten mitteilt und uns von dort her
oftmals kühl anwehe.

Es wird uns ein wenig schwer, zu glauben, daß ein fanatischer Arbeiter¬
führer die Persönlichkeit seines Gegners, des Kapitalisten, so würdigen kann,
wie dies von feiten des Maschinisten Roberts in dem jüngst hier aufgeführten
Drama „Kampf" („Links") geschieht. Die alte Streitfrage „Kapital und Arbeit"
erscheint hier zugespitzt zum Duell zweier Willensmenschen, beide bereit, bis
zum bitteren Ende auszuhalten und fähig, ihrem Gefolge bis zu einem gewissen
Grade von ihrem Geiste mitzuteilen. Sie sind beide geborene Führer und der
gegenseitige Widerstand erhöht immer aufs neue ihre Kraftspannung, wiewohl
die elementaren Einflüsse greisenhafter physischer Schwäche auf der einen und
Hunger und Seelennot auf der anderen Seite sich übermächtig geltend machen
wollen. Aber die jenen beiden folgen, sind aus weicheren Stoff. Sie ver¬
söhnen sich gegen den Willen der Führer. Und so stehen sich am Schluß noch
einmal die zwei gegenüber, die ihre ganze Lebenskraft an den Kampf gesetzt
haben — der greise Fabrikdirektor und der Wortführer der Arbeiter — ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/516>, abgerufen am 24.08.2024.