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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

daß die Seelen der Verstorbenen bald nach dem Begräbnis wieder zur alten
Wohnstätte zurückkommen. Deshalb werden ihnen Trank- und Speiseopfer nachts
vor die Fenster gestellt*). Das germanische Julfest war ein fröhliches Fest.
Von ihm sang deshalb E. M. Arndt:

Das Fest galt dem Sonnengott, den auch die Phönizier hoch verehrten
und ihm in Torus den Tempel bauten. Dessen Nachbildung wurde der
Tempel Salomos; die israelitischen Feste Jahveh (Jehovas) ahmten die in
Kanaan vorgefundenen Feste der Schutzgötter des Ackerbaues und Weinbaues
nach***). Auch das Julfest mit seinen Opfern diente einer solchen Feier. Im
heidnischen Schweden wurde ein großes Februarfest für die Ruhe und das
Siegesglück des Königs gehalten, wobei das Volk aus Hörnern zechend erschien.
Daß solche Festfeiern mit Trinken entarten konnten, beweist ein im Jahre 789
von Karl dem Großen aus Aachen erlassenes Kapitular, worin die königlichen
Sendboten angeheißen werden, die gemeinsamen Gelage des Ende Dezember
gefeierten Iulfestes zu verbieten und überhaupt das Übel des Trunkes zu be¬
kämpfen. Dabei vergaß nebenbei das Kapitular nicht, allgemein den Richtern
einzuschärfen, daß sie ihre Verhöre nüchtern vornehmen, auch nüchtern ihre
Urteile fällen möchtenf). Mit Einführung des Glases verschwand noch keines¬
wegs das Trinkhorn; man schuf gläserne Hörner, die am Tisch herumgereicht
wurden, und, da sie nicht niedergesetzt werden konnten, dem Trinkenden die
Ausgabe stellten, das ihm zugereichte gefüllte Horn sogleich ganz zu leeren;
ohne geleert zu sein, brauchte es vom Nachbar nicht angenommen zu werden ff).
Das ist erhalten in der wohl heute noch bei Studentenkommersen vor¬
kommenden Glanzleistung des "Fürsten von Thoren", dem ein Sessel auf den
Kneiptisch gestellt wird, damit der Fürst von da aus beweist, daß er das große
Büffelhorn, gefüllt etwa mit einem Liter Bier, auf einen Zug leeren und es
geleert seinem Nachfolger überreichen kann. Das zugehörige alte Burschenlied:
"Ich bin der Fürst von Thoren, zum Saufen auserkoren, Ihr Andern seid
erschienen, mich fürstlich zu bedienen, . . . Eur Gnaden aufzuwarten mit Wein
von allen Arten" usw., ist in verfeinerter Gestalt unter Verwandlung des Trink¬
horns in ein Jagdhorn bis in unsere Mädchenschulen gedrungen, wo man heute
zu singen pflegt: "Ich bin der Fürst von Thoren, zum Jagen auserkoren."
Nachdem das Saufen zum Jagen veredelt war, paßte die Aufwartung mit
"Wein von allen Arten" auch nicht mehr recht, sie wurde zur Aufwartung mit







*) Fr. S. Krcmsz, Slavische Volksforschungen 1908, S. 111.
*") Gedichte (1840), S. 63.
***) Graf Baudissin, Die alttestamentliche Wissenschaft und Religionsgsschichte (1912),
S. 10.
f) G. Richter, Annalen der deutschen Geschichte, 2. Abt., 1. Hälfte, S. 109 ff.
1'f) Kuriositäten, 4. Stück. Weimar, S. 364, 365.
Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

daß die Seelen der Verstorbenen bald nach dem Begräbnis wieder zur alten
Wohnstätte zurückkommen. Deshalb werden ihnen Trank- und Speiseopfer nachts
vor die Fenster gestellt*). Das germanische Julfest war ein fröhliches Fest.
Von ihm sang deshalb E. M. Arndt:

Das Fest galt dem Sonnengott, den auch die Phönizier hoch verehrten
und ihm in Torus den Tempel bauten. Dessen Nachbildung wurde der
Tempel Salomos; die israelitischen Feste Jahveh (Jehovas) ahmten die in
Kanaan vorgefundenen Feste der Schutzgötter des Ackerbaues und Weinbaues
nach***). Auch das Julfest mit seinen Opfern diente einer solchen Feier. Im
heidnischen Schweden wurde ein großes Februarfest für die Ruhe und das
Siegesglück des Königs gehalten, wobei das Volk aus Hörnern zechend erschien.
Daß solche Festfeiern mit Trinken entarten konnten, beweist ein im Jahre 789
von Karl dem Großen aus Aachen erlassenes Kapitular, worin die königlichen
Sendboten angeheißen werden, die gemeinsamen Gelage des Ende Dezember
gefeierten Iulfestes zu verbieten und überhaupt das Übel des Trunkes zu be¬
kämpfen. Dabei vergaß nebenbei das Kapitular nicht, allgemein den Richtern
einzuschärfen, daß sie ihre Verhöre nüchtern vornehmen, auch nüchtern ihre
Urteile fällen möchtenf). Mit Einführung des Glases verschwand noch keines¬
wegs das Trinkhorn; man schuf gläserne Hörner, die am Tisch herumgereicht
wurden, und, da sie nicht niedergesetzt werden konnten, dem Trinkenden die
Ausgabe stellten, das ihm zugereichte gefüllte Horn sogleich ganz zu leeren;
ohne geleert zu sein, brauchte es vom Nachbar nicht angenommen zu werden ff).
Das ist erhalten in der wohl heute noch bei Studentenkommersen vor¬
kommenden Glanzleistung des „Fürsten von Thoren", dem ein Sessel auf den
Kneiptisch gestellt wird, damit der Fürst von da aus beweist, daß er das große
Büffelhorn, gefüllt etwa mit einem Liter Bier, auf einen Zug leeren und es
geleert seinem Nachfolger überreichen kann. Das zugehörige alte Burschenlied:
„Ich bin der Fürst von Thoren, zum Saufen auserkoren, Ihr Andern seid
erschienen, mich fürstlich zu bedienen, . . . Eur Gnaden aufzuwarten mit Wein
von allen Arten" usw., ist in verfeinerter Gestalt unter Verwandlung des Trink¬
horns in ein Jagdhorn bis in unsere Mädchenschulen gedrungen, wo man heute
zu singen pflegt: „Ich bin der Fürst von Thoren, zum Jagen auserkoren."
Nachdem das Saufen zum Jagen veredelt war, paßte die Aufwartung mit
„Wein von allen Arten" auch nicht mehr recht, sie wurde zur Aufwartung mit







*) Fr. S. Krcmsz, Slavische Volksforschungen 1908, S. 111.
*") Gedichte (1840), S. 63.
***) Graf Baudissin, Die alttestamentliche Wissenschaft und Religionsgsschichte (1912),
S. 10.
f) G. Richter, Annalen der deutschen Geschichte, 2. Abt., 1. Hälfte, S. 109 ff.
1'f) Kuriositäten, 4. Stück. Weimar, S. 364, 365.
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[0454] Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie daß die Seelen der Verstorbenen bald nach dem Begräbnis wieder zur alten Wohnstätte zurückkommen. Deshalb werden ihnen Trank- und Speiseopfer nachts vor die Fenster gestellt*). Das germanische Julfest war ein fröhliches Fest. Von ihm sang deshalb E. M. Arndt: Das Fest galt dem Sonnengott, den auch die Phönizier hoch verehrten und ihm in Torus den Tempel bauten. Dessen Nachbildung wurde der Tempel Salomos; die israelitischen Feste Jahveh (Jehovas) ahmten die in Kanaan vorgefundenen Feste der Schutzgötter des Ackerbaues und Weinbaues nach***). Auch das Julfest mit seinen Opfern diente einer solchen Feier. Im heidnischen Schweden wurde ein großes Februarfest für die Ruhe und das Siegesglück des Königs gehalten, wobei das Volk aus Hörnern zechend erschien. Daß solche Festfeiern mit Trinken entarten konnten, beweist ein im Jahre 789 von Karl dem Großen aus Aachen erlassenes Kapitular, worin die königlichen Sendboten angeheißen werden, die gemeinsamen Gelage des Ende Dezember gefeierten Iulfestes zu verbieten und überhaupt das Übel des Trunkes zu be¬ kämpfen. Dabei vergaß nebenbei das Kapitular nicht, allgemein den Richtern einzuschärfen, daß sie ihre Verhöre nüchtern vornehmen, auch nüchtern ihre Urteile fällen möchtenf). Mit Einführung des Glases verschwand noch keines¬ wegs das Trinkhorn; man schuf gläserne Hörner, die am Tisch herumgereicht wurden, und, da sie nicht niedergesetzt werden konnten, dem Trinkenden die Ausgabe stellten, das ihm zugereichte gefüllte Horn sogleich ganz zu leeren; ohne geleert zu sein, brauchte es vom Nachbar nicht angenommen zu werden ff). Das ist erhalten in der wohl heute noch bei Studentenkommersen vor¬ kommenden Glanzleistung des „Fürsten von Thoren", dem ein Sessel auf den Kneiptisch gestellt wird, damit der Fürst von da aus beweist, daß er das große Büffelhorn, gefüllt etwa mit einem Liter Bier, auf einen Zug leeren und es geleert seinem Nachfolger überreichen kann. Das zugehörige alte Burschenlied: „Ich bin der Fürst von Thoren, zum Saufen auserkoren, Ihr Andern seid erschienen, mich fürstlich zu bedienen, . . . Eur Gnaden aufzuwarten mit Wein von allen Arten" usw., ist in verfeinerter Gestalt unter Verwandlung des Trink¬ horns in ein Jagdhorn bis in unsere Mädchenschulen gedrungen, wo man heute zu singen pflegt: „Ich bin der Fürst von Thoren, zum Jagen auserkoren." Nachdem das Saufen zum Jagen veredelt war, paßte die Aufwartung mit „Wein von allen Arten" auch nicht mehr recht, sie wurde zur Aufwartung mit *) Fr. S. Krcmsz, Slavische Volksforschungen 1908, S. 111. *") Gedichte (1840), S. 63. ***) Graf Baudissin, Die alttestamentliche Wissenschaft und Religionsgsschichte (1912), S. 10. f) G. Richter, Annalen der deutschen Geschichte, 2. Abt., 1. Hälfte, S. 109 ff. 1'f) Kuriositäten, 4. Stück. Weimar, S. 364, 365.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/454>, abgerufen am 22.07.2024.