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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reform der inneren Verwaltung

hiergegen geltend zu machen sein, die ernsthafter Berücksichtigung wert zu sein
scheinen.

An und für sich ist das unbehinderte Entscheidungsrecht des Leiters der
Behörde im Sinne einer kraftvollen und schnell arbeitenden Verwaltung gewiß
mit Freuden zu begrüßen. Aber dies Entscheidungsrecht kann nur dann von
Wert sein, wenn der zuständigen Stelle auch die erforderliche Information stets
zur Verfügung steht. Letzteres ist aber bei den Präsidenten der Regierungen
nun nicht der Fall, und kann es auch gar nicht sein, da es für sie, wie für
alle Leiter größerer Behörden, ganz unmöglich ist, sich den Inhalt der ein¬
schlägigen Gesetze, Verordnungen usw., sowie der tatsächlichen Vorgänge, welche
bei dieser oder jener Gelegenheit in Betracht kommen, gegenwärtig zu halten.
In dieser Hinsicht sind die Präsidenten fast ganz auf ihre Dezernenten angewiesen,
und auch mit ihrer Hilfe wird sich die Information immer nur auf einen ver¬
hältnismäßig geringen Teil der Geschäfte erstrecken können, soweit es Zeit und
Arbeitskraft eben zulassen. Unter diesen Umständen steht denn die an und für
sich so schöne Selbständigkeit, wie sie das büreaukratische System in der Theorie
mit sich bringt, tatsächlich mehr oder weniger auf dem Papier.

Anderseits verfügen die Dezernenten über die nötige Information und
wären in der Mehrzahl der Fälle wohl in der Lage schnell zu entscheiden und
zu erledigen, zumal ihnen auch die Bearbeitung obliegt, ein Entscheidungsrecht
stand und steht ihnen auch heute noch nicht zu. Wenn sie auf Grund ihrer
Kenntnisse als Spezialisier! in ihrem Fach tatsächlich dennoch auf die Ent¬
scheidungen oft von Einfluß sind, so ist dies nur der Fall, weil die Umstände
es eben gebieten, da es den leitenden Stellen nun einmal nicht möglich ist,
sich selbst überall die für die Entscheidung nötigen speziellen Kenntnisse zu ver¬
schaffen.

So stehen sich denn Jnformationspflicht, verbunden mit der Bearbeitungs-
Pflicht, auf der einen Seite, Entscheidungsrecht auf der anderen Seite einander
gegenüber, wenn auch unter dem Zwange der Praxis diese grundsätzlichen
Gegensätze sich nicht immer aufrecht erhalten lassen.

Liegt hierin schon etwas Widersprechendes, Unklares, so birgt es auch
noch eine Reihe von Mängeln.

Zunächst kann sich hierbei die Initiative, wie sie für die Verwaltung so
sehr wichtig ist, kaum in angemessener Weise entwickeln. Naturgemäß muß die
Initiative sich aus der Summe von Erfahrungen und speziellen Kenntnissen
ergeben, also eine Folgeerscheinung einer genauen Information sein. Um aber
wirksam zu sein, setzt sie auch gleichzeitig ein Entscheidungsrecht voraus. Wie
wir aus dem Vorhergehenden wissen, ist bei dem büreaukratischen System beides
in einer Person vereinigt im allgemeinen nicht zu finden. So besteht denn
auch hier zwischen Dezernent und entscheidender Stelle ein gewisser Gegensatz.
Bei dem ersteren wird ein Zuwenig, bei letzterer ein Zuviel hinsichtlich der
Initiative zu erwarten sein, oder die entscheidende Stelle geht eventuell ihre


Reform der inneren Verwaltung

hiergegen geltend zu machen sein, die ernsthafter Berücksichtigung wert zu sein
scheinen.

An und für sich ist das unbehinderte Entscheidungsrecht des Leiters der
Behörde im Sinne einer kraftvollen und schnell arbeitenden Verwaltung gewiß
mit Freuden zu begrüßen. Aber dies Entscheidungsrecht kann nur dann von
Wert sein, wenn der zuständigen Stelle auch die erforderliche Information stets
zur Verfügung steht. Letzteres ist aber bei den Präsidenten der Regierungen
nun nicht der Fall, und kann es auch gar nicht sein, da es für sie, wie für
alle Leiter größerer Behörden, ganz unmöglich ist, sich den Inhalt der ein¬
schlägigen Gesetze, Verordnungen usw., sowie der tatsächlichen Vorgänge, welche
bei dieser oder jener Gelegenheit in Betracht kommen, gegenwärtig zu halten.
In dieser Hinsicht sind die Präsidenten fast ganz auf ihre Dezernenten angewiesen,
und auch mit ihrer Hilfe wird sich die Information immer nur auf einen ver¬
hältnismäßig geringen Teil der Geschäfte erstrecken können, soweit es Zeit und
Arbeitskraft eben zulassen. Unter diesen Umständen steht denn die an und für
sich so schöne Selbständigkeit, wie sie das büreaukratische System in der Theorie
mit sich bringt, tatsächlich mehr oder weniger auf dem Papier.

Anderseits verfügen die Dezernenten über die nötige Information und
wären in der Mehrzahl der Fälle wohl in der Lage schnell zu entscheiden und
zu erledigen, zumal ihnen auch die Bearbeitung obliegt, ein Entscheidungsrecht
stand und steht ihnen auch heute noch nicht zu. Wenn sie auf Grund ihrer
Kenntnisse als Spezialisier! in ihrem Fach tatsächlich dennoch auf die Ent¬
scheidungen oft von Einfluß sind, so ist dies nur der Fall, weil die Umstände
es eben gebieten, da es den leitenden Stellen nun einmal nicht möglich ist,
sich selbst überall die für die Entscheidung nötigen speziellen Kenntnisse zu ver¬
schaffen.

So stehen sich denn Jnformationspflicht, verbunden mit der Bearbeitungs-
Pflicht, auf der einen Seite, Entscheidungsrecht auf der anderen Seite einander
gegenüber, wenn auch unter dem Zwange der Praxis diese grundsätzlichen
Gegensätze sich nicht immer aufrecht erhalten lassen.

Liegt hierin schon etwas Widersprechendes, Unklares, so birgt es auch
noch eine Reihe von Mängeln.

Zunächst kann sich hierbei die Initiative, wie sie für die Verwaltung so
sehr wichtig ist, kaum in angemessener Weise entwickeln. Naturgemäß muß die
Initiative sich aus der Summe von Erfahrungen und speziellen Kenntnissen
ergeben, also eine Folgeerscheinung einer genauen Information sein. Um aber
wirksam zu sein, setzt sie auch gleichzeitig ein Entscheidungsrecht voraus. Wie
wir aus dem Vorhergehenden wissen, ist bei dem büreaukratischen System beides
in einer Person vereinigt im allgemeinen nicht zu finden. So besteht denn
auch hier zwischen Dezernent und entscheidender Stelle ein gewisser Gegensatz.
Bei dem ersteren wird ein Zuwenig, bei letzterer ein Zuviel hinsichtlich der
Initiative zu erwarten sein, oder die entscheidende Stelle geht eventuell ihre


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[0417] Reform der inneren Verwaltung hiergegen geltend zu machen sein, die ernsthafter Berücksichtigung wert zu sein scheinen. An und für sich ist das unbehinderte Entscheidungsrecht des Leiters der Behörde im Sinne einer kraftvollen und schnell arbeitenden Verwaltung gewiß mit Freuden zu begrüßen. Aber dies Entscheidungsrecht kann nur dann von Wert sein, wenn der zuständigen Stelle auch die erforderliche Information stets zur Verfügung steht. Letzteres ist aber bei den Präsidenten der Regierungen nun nicht der Fall, und kann es auch gar nicht sein, da es für sie, wie für alle Leiter größerer Behörden, ganz unmöglich ist, sich den Inhalt der ein¬ schlägigen Gesetze, Verordnungen usw., sowie der tatsächlichen Vorgänge, welche bei dieser oder jener Gelegenheit in Betracht kommen, gegenwärtig zu halten. In dieser Hinsicht sind die Präsidenten fast ganz auf ihre Dezernenten angewiesen, und auch mit ihrer Hilfe wird sich die Information immer nur auf einen ver¬ hältnismäßig geringen Teil der Geschäfte erstrecken können, soweit es Zeit und Arbeitskraft eben zulassen. Unter diesen Umständen steht denn die an und für sich so schöne Selbständigkeit, wie sie das büreaukratische System in der Theorie mit sich bringt, tatsächlich mehr oder weniger auf dem Papier. Anderseits verfügen die Dezernenten über die nötige Information und wären in der Mehrzahl der Fälle wohl in der Lage schnell zu entscheiden und zu erledigen, zumal ihnen auch die Bearbeitung obliegt, ein Entscheidungsrecht stand und steht ihnen auch heute noch nicht zu. Wenn sie auf Grund ihrer Kenntnisse als Spezialisier! in ihrem Fach tatsächlich dennoch auf die Ent¬ scheidungen oft von Einfluß sind, so ist dies nur der Fall, weil die Umstände es eben gebieten, da es den leitenden Stellen nun einmal nicht möglich ist, sich selbst überall die für die Entscheidung nötigen speziellen Kenntnisse zu ver¬ schaffen. So stehen sich denn Jnformationspflicht, verbunden mit der Bearbeitungs- Pflicht, auf der einen Seite, Entscheidungsrecht auf der anderen Seite einander gegenüber, wenn auch unter dem Zwange der Praxis diese grundsätzlichen Gegensätze sich nicht immer aufrecht erhalten lassen. Liegt hierin schon etwas Widersprechendes, Unklares, so birgt es auch noch eine Reihe von Mängeln. Zunächst kann sich hierbei die Initiative, wie sie für die Verwaltung so sehr wichtig ist, kaum in angemessener Weise entwickeln. Naturgemäß muß die Initiative sich aus der Summe von Erfahrungen und speziellen Kenntnissen ergeben, also eine Folgeerscheinung einer genauen Information sein. Um aber wirksam zu sein, setzt sie auch gleichzeitig ein Entscheidungsrecht voraus. Wie wir aus dem Vorhergehenden wissen, ist bei dem büreaukratischen System beides in einer Person vereinigt im allgemeinen nicht zu finden. So besteht denn auch hier zwischen Dezernent und entscheidender Stelle ein gewisser Gegensatz. Bei dem ersteren wird ein Zuwenig, bei letzterer ein Zuviel hinsichtlich der Initiative zu erwarten sein, oder die entscheidende Stelle geht eventuell ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/417>, abgerufen am 24.08.2024.