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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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menschen", schmelzender Weichheit und afrikanischer Wut sehr geschickt ver¬
bindenden Darstellung.

Phelps' Schauspieler waren allesamt vorzügliche Sprecher und meistens
sich willig dem Ganzen einordnende Darsteller, und er selber besaß in höchsten:
Maß die seltene Gabe des Theaterleiters, den rechten Mann auf den rechten
Platz zu stellen. Einen steifen, ungelenken Anfänger konnte er noch mit Erfolg
als Horatio zeigen, weil er richtig voraussah, wie dessen glockcntiefer Baß
gleich den schweren Grundakkord der Szene mit dem Geist verstärken helfen
würde. Der Erfolg der Phelpsschen Aufführungen lag also durchaus in
der Gesamtwirkung, denn gerade die Nebenrollen mußten bei den: ganzen
volkstümlichen Zuschnitt von Sadlers Wells oft recht schmächtigen Talenten
anvertraut werden. So wenig wie im Szenischen schwor Phelps sich in der
Besetzung seiner Rollen auf die Tradition ein. Vielleicht mitbestimmt durch
Charles Keans Versuche in dieser Richtung, besetzt er -- ich weiß nicht, ob
als Erster -- den Narr im "Lear" mit einem ganz jungen Mädchen, wohl
in der Absicht, die sentenziöse Blutlosigkeit, die den Shakespeareschen Narren
in der Darstellung durch Erwachsene leicht anhaftet, durch den naiv-frischen
Vortrag aus dem Mund eines frühreifen Kindes zu ersetzen.

In seiner dramaturgischen Behandlung Shakespeares hielt Phelps vortrefflich
die Mitte zwischen den praktischen und literarischen Erfordernissen. Er streicht
herzhaft, wo das Interesse des Gesamteindrucks es erfordert, und läßt gelegentlich
auch eine wichtige oder dankbare Figur weg, wenn sie ihm die einmal vor¬
herrschende Stimmung des Aktes zu zerreißen droht. In "Macbeth" fehlt darum
der Pförtner, aus rein sachlichen, durch die Länge des Stückes bedingten
Gründen auch Lady Macduff. Manchmal mutet Phelps der Ausdauer seiner
Hörer doch etwas wenig zu, so wenn er ungerechtfertigterweise die kleine
Szene des betenden Königs mit Hamlets Monolog im dritten Akte streicht.
Im "Coriolan" reduziert man die 23 Schauplätze so geschickt auf 13, daß
das Stück dem Durchschnittszuschauer ohne jede Schwierigkeit und Anstrengung
verständlich bleibt: die dramaturgische Kardinalforderung, gegen welche in Eng¬
land bis dahin immer wieder gesündigt worden war.

Im Jahre 1859 war Phelps mit seiner Truppe nach Berlin gekommen,
wo man damals über den englischen Theaterimport kaum weniger kritisch denken
mochte als heutigen Tages. Trotzdem bedeutete das Gastspiel einen Sieg auf
der ganzen Linie. Daß es neben der Poesie des Wortes auch eine Poesie des
Bildes auf der Bühne gab. lernte man erst jetzt recht einsehen. Eine einfache
Szene wie das Vorbeiziehen von Banquos Geschlecht "im schattenhaft gelichteten
Hintergrunde, während die ganze Bühne in einen: romantisch-unheimlichen
Waldes- und Höhlenzwielicht dämmert", am Ende des zweiten Akts von "Macbeth",
wirkt auf Carl Frenzel fast wie eine Offenbarung -- kein Wunder, da man
damals in Berlin den "Macbeth" noch zwischen Leinwandsäulen und Papp¬
deckelkreuzgängen in dem reichen, gänzlich ungeeigneten Tudorstil herunterspielte.


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menschen", schmelzender Weichheit und afrikanischer Wut sehr geschickt ver¬
bindenden Darstellung.

Phelps' Schauspieler waren allesamt vorzügliche Sprecher und meistens
sich willig dem Ganzen einordnende Darsteller, und er selber besaß in höchsten:
Maß die seltene Gabe des Theaterleiters, den rechten Mann auf den rechten
Platz zu stellen. Einen steifen, ungelenken Anfänger konnte er noch mit Erfolg
als Horatio zeigen, weil er richtig voraussah, wie dessen glockcntiefer Baß
gleich den schweren Grundakkord der Szene mit dem Geist verstärken helfen
würde. Der Erfolg der Phelpsschen Aufführungen lag also durchaus in
der Gesamtwirkung, denn gerade die Nebenrollen mußten bei den: ganzen
volkstümlichen Zuschnitt von Sadlers Wells oft recht schmächtigen Talenten
anvertraut werden. So wenig wie im Szenischen schwor Phelps sich in der
Besetzung seiner Rollen auf die Tradition ein. Vielleicht mitbestimmt durch
Charles Keans Versuche in dieser Richtung, besetzt er — ich weiß nicht, ob
als Erster — den Narr im „Lear" mit einem ganz jungen Mädchen, wohl
in der Absicht, die sentenziöse Blutlosigkeit, die den Shakespeareschen Narren
in der Darstellung durch Erwachsene leicht anhaftet, durch den naiv-frischen
Vortrag aus dem Mund eines frühreifen Kindes zu ersetzen.

In seiner dramaturgischen Behandlung Shakespeares hielt Phelps vortrefflich
die Mitte zwischen den praktischen und literarischen Erfordernissen. Er streicht
herzhaft, wo das Interesse des Gesamteindrucks es erfordert, und läßt gelegentlich
auch eine wichtige oder dankbare Figur weg, wenn sie ihm die einmal vor¬
herrschende Stimmung des Aktes zu zerreißen droht. In „Macbeth" fehlt darum
der Pförtner, aus rein sachlichen, durch die Länge des Stückes bedingten
Gründen auch Lady Macduff. Manchmal mutet Phelps der Ausdauer seiner
Hörer doch etwas wenig zu, so wenn er ungerechtfertigterweise die kleine
Szene des betenden Königs mit Hamlets Monolog im dritten Akte streicht.
Im „Coriolan" reduziert man die 23 Schauplätze so geschickt auf 13, daß
das Stück dem Durchschnittszuschauer ohne jede Schwierigkeit und Anstrengung
verständlich bleibt: die dramaturgische Kardinalforderung, gegen welche in Eng¬
land bis dahin immer wieder gesündigt worden war.

Im Jahre 1859 war Phelps mit seiner Truppe nach Berlin gekommen,
wo man damals über den englischen Theaterimport kaum weniger kritisch denken
mochte als heutigen Tages. Trotzdem bedeutete das Gastspiel einen Sieg auf
der ganzen Linie. Daß es neben der Poesie des Wortes auch eine Poesie des
Bildes auf der Bühne gab. lernte man erst jetzt recht einsehen. Eine einfache
Szene wie das Vorbeiziehen von Banquos Geschlecht „im schattenhaft gelichteten
Hintergrunde, während die ganze Bühne in einen: romantisch-unheimlichen
Waldes- und Höhlenzwielicht dämmert", am Ende des zweiten Akts von „Macbeth",
wirkt auf Carl Frenzel fast wie eine Offenbarung — kein Wunder, da man
damals in Berlin den „Macbeth" noch zwischen Leinwandsäulen und Papp¬
deckelkreuzgängen in dem reichen, gänzlich ungeeigneten Tudorstil herunterspielte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/41>, abgerufen am 22.01.2025.