Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Lin englisches Nntionaltheatcr menschen", schmelzender Weichheit und afrikanischer Wut sehr geschickt ver¬ Phelps' Schauspieler waren allesamt vorzügliche Sprecher und meistens In seiner dramaturgischen Behandlung Shakespeares hielt Phelps vortrefflich Im Jahre 1859 war Phelps mit seiner Truppe nach Berlin gekommen, Lin englisches Nntionaltheatcr menschen", schmelzender Weichheit und afrikanischer Wut sehr geschickt ver¬ Phelps' Schauspieler waren allesamt vorzügliche Sprecher und meistens In seiner dramaturgischen Behandlung Shakespeares hielt Phelps vortrefflich Im Jahre 1859 war Phelps mit seiner Truppe nach Berlin gekommen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326853"/> <fw type="header" place="top"> Lin englisches Nntionaltheatcr</fw><lb/> <p xml:id="ID_113" prev="#ID_112"> menschen", schmelzender Weichheit und afrikanischer Wut sehr geschickt ver¬<lb/> bindenden Darstellung.</p><lb/> <p xml:id="ID_114"> Phelps' Schauspieler waren allesamt vorzügliche Sprecher und meistens<lb/> sich willig dem Ganzen einordnende Darsteller, und er selber besaß in höchsten:<lb/> Maß die seltene Gabe des Theaterleiters, den rechten Mann auf den rechten<lb/> Platz zu stellen. Einen steifen, ungelenken Anfänger konnte er noch mit Erfolg<lb/> als Horatio zeigen, weil er richtig voraussah, wie dessen glockcntiefer Baß<lb/> gleich den schweren Grundakkord der Szene mit dem Geist verstärken helfen<lb/> würde. Der Erfolg der Phelpsschen Aufführungen lag also durchaus in<lb/> der Gesamtwirkung, denn gerade die Nebenrollen mußten bei den: ganzen<lb/> volkstümlichen Zuschnitt von Sadlers Wells oft recht schmächtigen Talenten<lb/> anvertraut werden. So wenig wie im Szenischen schwor Phelps sich in der<lb/> Besetzung seiner Rollen auf die Tradition ein. Vielleicht mitbestimmt durch<lb/> Charles Keans Versuche in dieser Richtung, besetzt er — ich weiß nicht, ob<lb/> als Erster — den Narr im „Lear" mit einem ganz jungen Mädchen, wohl<lb/> in der Absicht, die sentenziöse Blutlosigkeit, die den Shakespeareschen Narren<lb/> in der Darstellung durch Erwachsene leicht anhaftet, durch den naiv-frischen<lb/> Vortrag aus dem Mund eines frühreifen Kindes zu ersetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_115"> In seiner dramaturgischen Behandlung Shakespeares hielt Phelps vortrefflich<lb/> die Mitte zwischen den praktischen und literarischen Erfordernissen. Er streicht<lb/> herzhaft, wo das Interesse des Gesamteindrucks es erfordert, und läßt gelegentlich<lb/> auch eine wichtige oder dankbare Figur weg, wenn sie ihm die einmal vor¬<lb/> herrschende Stimmung des Aktes zu zerreißen droht. In „Macbeth" fehlt darum<lb/> der Pförtner, aus rein sachlichen, durch die Länge des Stückes bedingten<lb/> Gründen auch Lady Macduff. Manchmal mutet Phelps der Ausdauer seiner<lb/> Hörer doch etwas wenig zu, so wenn er ungerechtfertigterweise die kleine<lb/> Szene des betenden Königs mit Hamlets Monolog im dritten Akte streicht.<lb/> Im „Coriolan" reduziert man die 23 Schauplätze so geschickt auf 13, daß<lb/> das Stück dem Durchschnittszuschauer ohne jede Schwierigkeit und Anstrengung<lb/> verständlich bleibt: die dramaturgische Kardinalforderung, gegen welche in Eng¬<lb/> land bis dahin immer wieder gesündigt worden war.</p><lb/> <p xml:id="ID_116" next="#ID_117"> Im Jahre 1859 war Phelps mit seiner Truppe nach Berlin gekommen,<lb/> wo man damals über den englischen Theaterimport kaum weniger kritisch denken<lb/> mochte als heutigen Tages. Trotzdem bedeutete das Gastspiel einen Sieg auf<lb/> der ganzen Linie. Daß es neben der Poesie des Wortes auch eine Poesie des<lb/> Bildes auf der Bühne gab. lernte man erst jetzt recht einsehen. Eine einfache<lb/> Szene wie das Vorbeiziehen von Banquos Geschlecht „im schattenhaft gelichteten<lb/> Hintergrunde, während die ganze Bühne in einen: romantisch-unheimlichen<lb/> Waldes- und Höhlenzwielicht dämmert", am Ende des zweiten Akts von „Macbeth",<lb/> wirkt auf Carl Frenzel fast wie eine Offenbarung — kein Wunder, da man<lb/> damals in Berlin den „Macbeth" noch zwischen Leinwandsäulen und Papp¬<lb/> deckelkreuzgängen in dem reichen, gänzlich ungeeigneten Tudorstil herunterspielte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
Lin englisches Nntionaltheatcr
menschen", schmelzender Weichheit und afrikanischer Wut sehr geschickt ver¬
bindenden Darstellung.
Phelps' Schauspieler waren allesamt vorzügliche Sprecher und meistens
sich willig dem Ganzen einordnende Darsteller, und er selber besaß in höchsten:
Maß die seltene Gabe des Theaterleiters, den rechten Mann auf den rechten
Platz zu stellen. Einen steifen, ungelenken Anfänger konnte er noch mit Erfolg
als Horatio zeigen, weil er richtig voraussah, wie dessen glockcntiefer Baß
gleich den schweren Grundakkord der Szene mit dem Geist verstärken helfen
würde. Der Erfolg der Phelpsschen Aufführungen lag also durchaus in
der Gesamtwirkung, denn gerade die Nebenrollen mußten bei den: ganzen
volkstümlichen Zuschnitt von Sadlers Wells oft recht schmächtigen Talenten
anvertraut werden. So wenig wie im Szenischen schwor Phelps sich in der
Besetzung seiner Rollen auf die Tradition ein. Vielleicht mitbestimmt durch
Charles Keans Versuche in dieser Richtung, besetzt er — ich weiß nicht, ob
als Erster — den Narr im „Lear" mit einem ganz jungen Mädchen, wohl
in der Absicht, die sentenziöse Blutlosigkeit, die den Shakespeareschen Narren
in der Darstellung durch Erwachsene leicht anhaftet, durch den naiv-frischen
Vortrag aus dem Mund eines frühreifen Kindes zu ersetzen.
In seiner dramaturgischen Behandlung Shakespeares hielt Phelps vortrefflich
die Mitte zwischen den praktischen und literarischen Erfordernissen. Er streicht
herzhaft, wo das Interesse des Gesamteindrucks es erfordert, und läßt gelegentlich
auch eine wichtige oder dankbare Figur weg, wenn sie ihm die einmal vor¬
herrschende Stimmung des Aktes zu zerreißen droht. In „Macbeth" fehlt darum
der Pförtner, aus rein sachlichen, durch die Länge des Stückes bedingten
Gründen auch Lady Macduff. Manchmal mutet Phelps der Ausdauer seiner
Hörer doch etwas wenig zu, so wenn er ungerechtfertigterweise die kleine
Szene des betenden Königs mit Hamlets Monolog im dritten Akte streicht.
Im „Coriolan" reduziert man die 23 Schauplätze so geschickt auf 13, daß
das Stück dem Durchschnittszuschauer ohne jede Schwierigkeit und Anstrengung
verständlich bleibt: die dramaturgische Kardinalforderung, gegen welche in Eng¬
land bis dahin immer wieder gesündigt worden war.
Im Jahre 1859 war Phelps mit seiner Truppe nach Berlin gekommen,
wo man damals über den englischen Theaterimport kaum weniger kritisch denken
mochte als heutigen Tages. Trotzdem bedeutete das Gastspiel einen Sieg auf
der ganzen Linie. Daß es neben der Poesie des Wortes auch eine Poesie des
Bildes auf der Bühne gab. lernte man erst jetzt recht einsehen. Eine einfache
Szene wie das Vorbeiziehen von Banquos Geschlecht „im schattenhaft gelichteten
Hintergrunde, während die ganze Bühne in einen: romantisch-unheimlichen
Waldes- und Höhlenzwielicht dämmert", am Ende des zweiten Akts von „Macbeth",
wirkt auf Carl Frenzel fast wie eine Offenbarung — kein Wunder, da man
damals in Berlin den „Macbeth" noch zwischen Leinwandsäulen und Papp¬
deckelkreuzgängen in dem reichen, gänzlich ungeeigneten Tudorstil herunterspielte.
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