Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Die Ligenart der Geschlechter Lehrerschaft nicht an psychologische Begriffe gewöhnt war, daß also Begabungs- Belone wurde ferner, daß eine Bewertung der durchschnittlichen Differenzen So blieb denn die Verschiedenheit des Entwicklungstempos im ganzen das Die mehr sozialpolitisch gefärbte Richtung fand auf der Breslauer Tagung Grenzboten IV 1913 24
Die Ligenart der Geschlechter Lehrerschaft nicht an psychologische Begriffe gewöhnt war, daß also Begabungs- Belone wurde ferner, daß eine Bewertung der durchschnittlichen Differenzen So blieb denn die Verschiedenheit des Entwicklungstempos im ganzen das Die mehr sozialpolitisch gefärbte Richtung fand auf der Breslauer Tagung Grenzboten IV 1913 24
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327193"/> <fw type="header" place="top"> Die Ligenart der Geschlechter</fw><lb/> <p xml:id="ID_1502" prev="#ID_1501"> Lehrerschaft nicht an psychologische Begriffe gewöhnt war, daß also Begabungs-<lb/> fragen ausscheiden mußten und z. B. die Antworten auf die Frage nach dem<lb/> Entwicklungstempo nur ungenügende Resultate lieferten. Eingewendet wurde<lb/> ferner, daß die Untersuchungen teilweise zu stark nach männlichen Kriterien vor¬<lb/> genommen wurden; bei weiblichen Untersuchungsleitern würden die Kinder<lb/> vielleicht ganz anders reagieren. Gerade bei den Mädchen können spezifische<lb/> Eigenschaften ihrer Eigenart mit den vorliegenden Unterscheidungen nicht erfaßt<lb/> werden. So ist z. B. die Phantasietätigkeit und die verschiedene Einfühlungs¬<lb/> weite nicht genügend gewürdigt worden; eine Aufsatzuntersuchung in der Aus¬<lb/> stellung war nur nach inhaltlichen Gesichtspunkten ausgeführt worden, und doch<lb/> sind gerade die stilistischen Differenzen ungemein charakteristisch für die Eigenart<lb/> der Geschlechter. Auch die starke Fähigkeit der Mädchen für Stimmungsgestal¬<lb/> tung, die doch sicherlich auch eine schöpferische Begabung ist, wurde nicht genügend<lb/> hervorgehoben. Bei der Prüfung des Interesses für Persönlichkeiten und Stoffe<lb/> muß noch eingehender der Unterschied der Methode der einzelnen Lehrpersönlich¬<lb/> keiten berücksichtigt werden; gerade bei der Jnteressenfrage würde eine Durch¬<lb/> führung des Arbeitsschulprinzips mit seiner rein sachlichen Arbeitsweise ganz<lb/> andere Resultate zeitigen. Nicht berücksichtigt sei auch die Scheu der Mädchen,<lb/> sich geistig zu exponieren und ihr starkes Gefühl für das, was die Schule von<lb/> ihnen verlangt. Von psychologischer Seite wurde noch bei den Deutungen der<lb/> Resultate eine stärkere Differenzierung und eine größere Skepsis gegenüber den<lb/> Ergebnissen des reinen Schulexperiments verlangt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1503"> Belone wurde ferner, daß eine Bewertung der durchschnittlichen Differenzen<lb/> nur erfolgen könne, wenn man auch die Gleichheit der Geschlechter feststelle;<lb/> auch werde sich zeigen, daß die Variationsbreite des einen Geschlechts imnier<lb/> den Durchschnitt des anderen mit einschließe. Auch das Verhältnis der geschlecht¬<lb/> lichen Differenzen zu den individuellen müsse eingehender untersucht werden;<lb/> vielleicht sei hier die Korrelationsmethode zu empfehlen, um die Struktur der<lb/> ganzen Persönlichkeit zu erfassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1504"> So blieb denn die Verschiedenheit des Entwicklungstempos im ganzen das<lb/> einzige unbestrittene Resultat. Noch einmal aber sei anerkannt, daß die Vertreter<lb/> der Psychologie von vornherein die Mängel der bisherigen Untersuchungen zu¬<lb/> gaben und vor einer Überschätzung der Ergebnisse warnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1505" next="#ID_1506"> Die mehr sozialpolitisch gefärbte Richtung fand auf der Breslauer Tagung<lb/> ihre Hauptvertretung in den Vorträgen von Frau Dr. Kempf - Frankfurt über<lb/> „die soziale und wirtschaftliche Lage in ihrer Bedeutung für das Problem der<lb/> gemeinsamen Erziehung" und von Frl. Franziska Ohnesorge-Dresden über „die<lb/> aus der Eigenart der Geschlechter und den sozialen Verhältnissen sich ergebenden<lb/> Forderungen für die Mädchenerziehung". Die objektiven Zahlen der Sozial¬<lb/> statistik zeigen unwiderleglich, in welch starkem Maße die deutschen Frauen an<lb/> dem Wirtschaftsleben der Gegenwart beteiligt sind. Erdfälle doch heute auf je<lb/> zwei berufstätige Männer eine berufstätige Frau, und beträgt doch die</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1913 24</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0381]
Die Ligenart der Geschlechter
Lehrerschaft nicht an psychologische Begriffe gewöhnt war, daß also Begabungs-
fragen ausscheiden mußten und z. B. die Antworten auf die Frage nach dem
Entwicklungstempo nur ungenügende Resultate lieferten. Eingewendet wurde
ferner, daß die Untersuchungen teilweise zu stark nach männlichen Kriterien vor¬
genommen wurden; bei weiblichen Untersuchungsleitern würden die Kinder
vielleicht ganz anders reagieren. Gerade bei den Mädchen können spezifische
Eigenschaften ihrer Eigenart mit den vorliegenden Unterscheidungen nicht erfaßt
werden. So ist z. B. die Phantasietätigkeit und die verschiedene Einfühlungs¬
weite nicht genügend gewürdigt worden; eine Aufsatzuntersuchung in der Aus¬
stellung war nur nach inhaltlichen Gesichtspunkten ausgeführt worden, und doch
sind gerade die stilistischen Differenzen ungemein charakteristisch für die Eigenart
der Geschlechter. Auch die starke Fähigkeit der Mädchen für Stimmungsgestal¬
tung, die doch sicherlich auch eine schöpferische Begabung ist, wurde nicht genügend
hervorgehoben. Bei der Prüfung des Interesses für Persönlichkeiten und Stoffe
muß noch eingehender der Unterschied der Methode der einzelnen Lehrpersönlich¬
keiten berücksichtigt werden; gerade bei der Jnteressenfrage würde eine Durch¬
führung des Arbeitsschulprinzips mit seiner rein sachlichen Arbeitsweise ganz
andere Resultate zeitigen. Nicht berücksichtigt sei auch die Scheu der Mädchen,
sich geistig zu exponieren und ihr starkes Gefühl für das, was die Schule von
ihnen verlangt. Von psychologischer Seite wurde noch bei den Deutungen der
Resultate eine stärkere Differenzierung und eine größere Skepsis gegenüber den
Ergebnissen des reinen Schulexperiments verlangt.
Belone wurde ferner, daß eine Bewertung der durchschnittlichen Differenzen
nur erfolgen könne, wenn man auch die Gleichheit der Geschlechter feststelle;
auch werde sich zeigen, daß die Variationsbreite des einen Geschlechts imnier
den Durchschnitt des anderen mit einschließe. Auch das Verhältnis der geschlecht¬
lichen Differenzen zu den individuellen müsse eingehender untersucht werden;
vielleicht sei hier die Korrelationsmethode zu empfehlen, um die Struktur der
ganzen Persönlichkeit zu erfassen.
So blieb denn die Verschiedenheit des Entwicklungstempos im ganzen das
einzige unbestrittene Resultat. Noch einmal aber sei anerkannt, daß die Vertreter
der Psychologie von vornherein die Mängel der bisherigen Untersuchungen zu¬
gaben und vor einer Überschätzung der Ergebnisse warnten.
Die mehr sozialpolitisch gefärbte Richtung fand auf der Breslauer Tagung
ihre Hauptvertretung in den Vorträgen von Frau Dr. Kempf - Frankfurt über
„die soziale und wirtschaftliche Lage in ihrer Bedeutung für das Problem der
gemeinsamen Erziehung" und von Frl. Franziska Ohnesorge-Dresden über „die
aus der Eigenart der Geschlechter und den sozialen Verhältnissen sich ergebenden
Forderungen für die Mädchenerziehung". Die objektiven Zahlen der Sozial¬
statistik zeigen unwiderleglich, in welch starkem Maße die deutschen Frauen an
dem Wirtschaftsleben der Gegenwart beteiligt sind. Erdfälle doch heute auf je
zwei berufstätige Männer eine berufstätige Frau, und beträgt doch die
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