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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reform der inneren Verwaltung

Letztere Art der Dezentralisation -- die sogenannte Selbstverwaltung -- ist
natürlich die weitgehendste, ganz besonders dann, wenn sie gesetzlich festgelegt
ist. Von ihr muß daher auch alles, was überhaupt hinsichtlich der Dezentrali¬
sation gilt, in gesteigertem Maße gelten.

So dürfte die Frage der Dezentralisation eine recht schwierige sein. Und
es wird einer eingehenden Prüfung bedürfen, ehe man eine Materie zur erst-
instanzlichen Entscheidung den unteren Behörden überweist. Ganz besondere
Vorsicht wird dann am Platze sein, wenn es sich darum handelt, die Zuständigkeit
im Sinne der Dezentralisation gesetzlich festzulegen.

Man darf nicht übersehen, daß die Frage der Dezentralisation zugleich
eine Frage von weitgehender politischer Bedeutung ist.

Wir haben bereits angedeutet, daß eine weitgehende Dezentralisation ein
Schwinden des staatlichen Einflusses, der staatlichen Autorität bedeutet, was sich
beim einzelnen Individuum als Nichtachtung der staatlichen Anordnungen, als
Unterordnung des Gesamtinteresses unter das Einzelinteresse zeigen muß. Es
ist daher eine wichtige innerpolitische Angelegenheit, zu prüfen, welches Maß
der Dezentralisation für unser Volk in Anbetracht der Aufgaben, welche ihm
obliegen, zulässig erscheint. Dieses Maß braucht bei dem einen Volke nicht das
gleiche zu sein wie bei dem anderen. Es ist etwas anderes, wenn es sich nur
darum handelt, in Ruhe seinen Kohl zu bauen und lediglich wirtschaftlichen
Interessen nachzugehen, oder wenn man von Gefahren rings umgeben ist, große
Errungenschaften zu verteidigen hat, nicht nur diese erhalten, sondern sie wo¬
möglich erweitern, überhaupt sich ausdehnen, fortschreiten, gar Weltpolitik
betreiben will. Ob und wie weit große, schwierige Aufgaben von einem Volk
gelöst werden können, wird im wesentlichen davon abhängen, in welchem Maße
es hierfür vorbereitet und geschult worden ist. Diese Schulung vorzunehmen,
ist hauptsächlich Sache einer zweckentsprechenden Verwaltung.

Es ist gut, sich zu vergegenwärtigen, daß Verwaltungen nur allmählich
wirken können. So schleichen sich auch Fehler der Verwaltung im allgemeinen
langsam, dafür um so sicherer ein. Mit den Wirkungen einer weitgehenden
Dezentralisation kann es nicht anders sein. Gerade hierin liegt eine Gefahr.
Man sieht kaum, woher es kam und wohin es geht. Es scheint fast immer so,
als ob der gegenwärtige Zustand der normale ist. Wegen der hieraus sich
ergebenden Befangenheit ist die objektive Beurteilung der wahren Natur der
durch Dezentralisation geschaffenen Verhältnisse im Stadium der Entwicklung
außerordentlich schwer. Haben die Dinge sich aber erst einmal so gestaltet, daß
sie notgedrungen zur Erkenntnis zwingen, dann ist es eine schwere und lang¬
wierige Arbeit, die Verhältnisse anders zu gestalten.

Die deutsche Geschichte bietet lehrreiche Beispiele dafür, wie die Dezentralisation
der staatlichen Gewalt verderblich werden kann, obwohl sie dort, wo sie die
Unabhängigkeit bringt, scheinbar segensreiche Zustände schafft. Viele der deutschen
Städte blühten und bargen in ihren Mauern gewaltige Reichtümer zu einer


Reform der inneren Verwaltung

Letztere Art der Dezentralisation — die sogenannte Selbstverwaltung — ist
natürlich die weitgehendste, ganz besonders dann, wenn sie gesetzlich festgelegt
ist. Von ihr muß daher auch alles, was überhaupt hinsichtlich der Dezentrali¬
sation gilt, in gesteigertem Maße gelten.

So dürfte die Frage der Dezentralisation eine recht schwierige sein. Und
es wird einer eingehenden Prüfung bedürfen, ehe man eine Materie zur erst-
instanzlichen Entscheidung den unteren Behörden überweist. Ganz besondere
Vorsicht wird dann am Platze sein, wenn es sich darum handelt, die Zuständigkeit
im Sinne der Dezentralisation gesetzlich festzulegen.

Man darf nicht übersehen, daß die Frage der Dezentralisation zugleich
eine Frage von weitgehender politischer Bedeutung ist.

Wir haben bereits angedeutet, daß eine weitgehende Dezentralisation ein
Schwinden des staatlichen Einflusses, der staatlichen Autorität bedeutet, was sich
beim einzelnen Individuum als Nichtachtung der staatlichen Anordnungen, als
Unterordnung des Gesamtinteresses unter das Einzelinteresse zeigen muß. Es
ist daher eine wichtige innerpolitische Angelegenheit, zu prüfen, welches Maß
der Dezentralisation für unser Volk in Anbetracht der Aufgaben, welche ihm
obliegen, zulässig erscheint. Dieses Maß braucht bei dem einen Volke nicht das
gleiche zu sein wie bei dem anderen. Es ist etwas anderes, wenn es sich nur
darum handelt, in Ruhe seinen Kohl zu bauen und lediglich wirtschaftlichen
Interessen nachzugehen, oder wenn man von Gefahren rings umgeben ist, große
Errungenschaften zu verteidigen hat, nicht nur diese erhalten, sondern sie wo¬
möglich erweitern, überhaupt sich ausdehnen, fortschreiten, gar Weltpolitik
betreiben will. Ob und wie weit große, schwierige Aufgaben von einem Volk
gelöst werden können, wird im wesentlichen davon abhängen, in welchem Maße
es hierfür vorbereitet und geschult worden ist. Diese Schulung vorzunehmen,
ist hauptsächlich Sache einer zweckentsprechenden Verwaltung.

Es ist gut, sich zu vergegenwärtigen, daß Verwaltungen nur allmählich
wirken können. So schleichen sich auch Fehler der Verwaltung im allgemeinen
langsam, dafür um so sicherer ein. Mit den Wirkungen einer weitgehenden
Dezentralisation kann es nicht anders sein. Gerade hierin liegt eine Gefahr.
Man sieht kaum, woher es kam und wohin es geht. Es scheint fast immer so,
als ob der gegenwärtige Zustand der normale ist. Wegen der hieraus sich
ergebenden Befangenheit ist die objektive Beurteilung der wahren Natur der
durch Dezentralisation geschaffenen Verhältnisse im Stadium der Entwicklung
außerordentlich schwer. Haben die Dinge sich aber erst einmal so gestaltet, daß
sie notgedrungen zur Erkenntnis zwingen, dann ist es eine schwere und lang¬
wierige Arbeit, die Verhältnisse anders zu gestalten.

Die deutsche Geschichte bietet lehrreiche Beispiele dafür, wie die Dezentralisation
der staatlichen Gewalt verderblich werden kann, obwohl sie dort, wo sie die
Unabhängigkeit bringt, scheinbar segensreiche Zustände schafft. Viele der deutschen
Städte blühten und bargen in ihren Mauern gewaltige Reichtümer zu einer


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[0322] Reform der inneren Verwaltung Letztere Art der Dezentralisation — die sogenannte Selbstverwaltung — ist natürlich die weitgehendste, ganz besonders dann, wenn sie gesetzlich festgelegt ist. Von ihr muß daher auch alles, was überhaupt hinsichtlich der Dezentrali¬ sation gilt, in gesteigertem Maße gelten. So dürfte die Frage der Dezentralisation eine recht schwierige sein. Und es wird einer eingehenden Prüfung bedürfen, ehe man eine Materie zur erst- instanzlichen Entscheidung den unteren Behörden überweist. Ganz besondere Vorsicht wird dann am Platze sein, wenn es sich darum handelt, die Zuständigkeit im Sinne der Dezentralisation gesetzlich festzulegen. Man darf nicht übersehen, daß die Frage der Dezentralisation zugleich eine Frage von weitgehender politischer Bedeutung ist. Wir haben bereits angedeutet, daß eine weitgehende Dezentralisation ein Schwinden des staatlichen Einflusses, der staatlichen Autorität bedeutet, was sich beim einzelnen Individuum als Nichtachtung der staatlichen Anordnungen, als Unterordnung des Gesamtinteresses unter das Einzelinteresse zeigen muß. Es ist daher eine wichtige innerpolitische Angelegenheit, zu prüfen, welches Maß der Dezentralisation für unser Volk in Anbetracht der Aufgaben, welche ihm obliegen, zulässig erscheint. Dieses Maß braucht bei dem einen Volke nicht das gleiche zu sein wie bei dem anderen. Es ist etwas anderes, wenn es sich nur darum handelt, in Ruhe seinen Kohl zu bauen und lediglich wirtschaftlichen Interessen nachzugehen, oder wenn man von Gefahren rings umgeben ist, große Errungenschaften zu verteidigen hat, nicht nur diese erhalten, sondern sie wo¬ möglich erweitern, überhaupt sich ausdehnen, fortschreiten, gar Weltpolitik betreiben will. Ob und wie weit große, schwierige Aufgaben von einem Volk gelöst werden können, wird im wesentlichen davon abhängen, in welchem Maße es hierfür vorbereitet und geschult worden ist. Diese Schulung vorzunehmen, ist hauptsächlich Sache einer zweckentsprechenden Verwaltung. Es ist gut, sich zu vergegenwärtigen, daß Verwaltungen nur allmählich wirken können. So schleichen sich auch Fehler der Verwaltung im allgemeinen langsam, dafür um so sicherer ein. Mit den Wirkungen einer weitgehenden Dezentralisation kann es nicht anders sein. Gerade hierin liegt eine Gefahr. Man sieht kaum, woher es kam und wohin es geht. Es scheint fast immer so, als ob der gegenwärtige Zustand der normale ist. Wegen der hieraus sich ergebenden Befangenheit ist die objektive Beurteilung der wahren Natur der durch Dezentralisation geschaffenen Verhältnisse im Stadium der Entwicklung außerordentlich schwer. Haben die Dinge sich aber erst einmal so gestaltet, daß sie notgedrungen zur Erkenntnis zwingen, dann ist es eine schwere und lang¬ wierige Arbeit, die Verhältnisse anders zu gestalten. Die deutsche Geschichte bietet lehrreiche Beispiele dafür, wie die Dezentralisation der staatlichen Gewalt verderblich werden kann, obwohl sie dort, wo sie die Unabhängigkeit bringt, scheinbar segensreiche Zustände schafft. Viele der deutschen Städte blühten und bargen in ihren Mauern gewaltige Reichtümer zu einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/322>, abgerufen am 24.08.2024.