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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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noch ähnlich wie einst. Aber bei der einen, der bei weitem am größten und
vielseitigsten, ersten Abteilung gibt der Präsident jetzt allein den Ausschlag,
obwohl die gewaltig angewachsene Arbeit ein gründliches Eindringen in die
Geschäfte seitens einer einzelnen Persönlichkeit weniger denn je gestattet. Da¬
neben wirkt der Bezirksausschuß als Beschlußbehörde und Verwaltungsgericht
unter Zuziehung von Laien. Aus der ehemaligen einheitlich wirkenden Ver¬
waltungsbehörde ist somit eine Maschinerie geworden, die von Kräften in
Bewegung gesetzt wird, die so verschiedenartig wie nur möglich sind.

Aber weit mehr noch als dieser Gegensatz kommt bei dem Vergleich von
einst und jetzt in Betracht, daß über unserer ganzen heutigen Verwaltung
gleichsam wie ein lähmender Schatten die Anschauung liegt, daß in letzter
Linie überall das Recht zu entscheiden hat, sei es, daß es von ordentlichen
Gerichten, von Verwaltungsgerichten oder Beschlußbehörden gesprochen wird.

Daß das Recht die Bewegungsfreiheit der Verwaltung in gewissem Sinne
hemmt, ist ja beabsichtigt und erscheint, rein theoretisch gedacht, wohl auch
segensreich. In der Praxis der Verwaltung aber dürfen solche Hemmungen
zum wenigsten über ein gewisses Maß nicht hinausgehen. Tun sie es dennoch,
so wirkt jedes Zuviel hier gleich doppelt unheilvoll. Denn diese Hemmungen
sind für die Verwaltung nicht nur dann bedenklich, wenn der direkte Einfluß
des Rechts auf die Verwaltung allzu groß wird, indem er hindernd, verbietend
wirkt. Weit schlimmer sind die indirekten Hemmungen, die eintreten infolge
der Unmöglichkeit des Rechts über die mannigfachen Fragen der praktischen
Verwaltung erschöpfend und schnell genug vom rechtlichen Standpunkt eine
Antwort zu geben. Das Recht ist zu sehr an allgemeine Sätze gebunden, daher
schwerfällig und in seinem Wirkungskreise beschränkt. Eine Ausdehnung über
gewisse Grenzen verträgt es nicht. Weiß doch schon jeder junge Rechts¬
studierende, daß summum in3 summa iniuna, bedeutet. So kann das Recht
nur langsam, sporadisch, meist nur ans Veranlassung von interessierter Seite
seine Anschauungen kundgeben. Es kann jahrelang dauern, ehe ein Ver¬
waltungsgesetz von Rechts wegen nach allen Seiten hin genügend beleuchtet ist.
Anderseits kann eine Verwaltungspraxis jahrelang in Übung gewesen sein, um
dann plötzlich durch einen Rechtsspruch als ungültig bezeichnet zu werden. Und
alles, worüber das Recht noch nicht entschieden hat, ist im Grunde unbestimmt.

So hilft das Recht, die Unsicherheit, die es eigentlich beseitigen will, in
vieler Hinsicht schaffen. Der Verwaltungsbeamte aber wird gezwungen, allzu¬
viel Zeit und Mühe zur Lösung von Rechtsfragen aufzuwenden, was für seine
praktischen Ziele oft recht geringen Wert hat. Im übrigen macht ihn die stete
Ungewißheit, was das Recht schließlich zu dem, was er vorhat, sagen wird, in
seinen Maßnahmen allzu vorsichtig, tastend, unsicher und schwankend. Die
unter dem Einfluß des Rechts erforderlichen vielen Bestimmungen über Zu¬
ständigkeit und Rechtsmittel zwingen ihn auf außerordentlich verschlungenen
Pfaden zu wandeln. Es kommt hinzu, daß die häufige Aufhebung von


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noch ähnlich wie einst. Aber bei der einen, der bei weitem am größten und
vielseitigsten, ersten Abteilung gibt der Präsident jetzt allein den Ausschlag,
obwohl die gewaltig angewachsene Arbeit ein gründliches Eindringen in die
Geschäfte seitens einer einzelnen Persönlichkeit weniger denn je gestattet. Da¬
neben wirkt der Bezirksausschuß als Beschlußbehörde und Verwaltungsgericht
unter Zuziehung von Laien. Aus der ehemaligen einheitlich wirkenden Ver¬
waltungsbehörde ist somit eine Maschinerie geworden, die von Kräften in
Bewegung gesetzt wird, die so verschiedenartig wie nur möglich sind.

Aber weit mehr noch als dieser Gegensatz kommt bei dem Vergleich von
einst und jetzt in Betracht, daß über unserer ganzen heutigen Verwaltung
gleichsam wie ein lähmender Schatten die Anschauung liegt, daß in letzter
Linie überall das Recht zu entscheiden hat, sei es, daß es von ordentlichen
Gerichten, von Verwaltungsgerichten oder Beschlußbehörden gesprochen wird.

Daß das Recht die Bewegungsfreiheit der Verwaltung in gewissem Sinne
hemmt, ist ja beabsichtigt und erscheint, rein theoretisch gedacht, wohl auch
segensreich. In der Praxis der Verwaltung aber dürfen solche Hemmungen
zum wenigsten über ein gewisses Maß nicht hinausgehen. Tun sie es dennoch,
so wirkt jedes Zuviel hier gleich doppelt unheilvoll. Denn diese Hemmungen
sind für die Verwaltung nicht nur dann bedenklich, wenn der direkte Einfluß
des Rechts auf die Verwaltung allzu groß wird, indem er hindernd, verbietend
wirkt. Weit schlimmer sind die indirekten Hemmungen, die eintreten infolge
der Unmöglichkeit des Rechts über die mannigfachen Fragen der praktischen
Verwaltung erschöpfend und schnell genug vom rechtlichen Standpunkt eine
Antwort zu geben. Das Recht ist zu sehr an allgemeine Sätze gebunden, daher
schwerfällig und in seinem Wirkungskreise beschränkt. Eine Ausdehnung über
gewisse Grenzen verträgt es nicht. Weiß doch schon jeder junge Rechts¬
studierende, daß summum in3 summa iniuna, bedeutet. So kann das Recht
nur langsam, sporadisch, meist nur ans Veranlassung von interessierter Seite
seine Anschauungen kundgeben. Es kann jahrelang dauern, ehe ein Ver¬
waltungsgesetz von Rechts wegen nach allen Seiten hin genügend beleuchtet ist.
Anderseits kann eine Verwaltungspraxis jahrelang in Übung gewesen sein, um
dann plötzlich durch einen Rechtsspruch als ungültig bezeichnet zu werden. Und
alles, worüber das Recht noch nicht entschieden hat, ist im Grunde unbestimmt.

So hilft das Recht, die Unsicherheit, die es eigentlich beseitigen will, in
vieler Hinsicht schaffen. Der Verwaltungsbeamte aber wird gezwungen, allzu¬
viel Zeit und Mühe zur Lösung von Rechtsfragen aufzuwenden, was für seine
praktischen Ziele oft recht geringen Wert hat. Im übrigen macht ihn die stete
Ungewißheit, was das Recht schließlich zu dem, was er vorhat, sagen wird, in
seinen Maßnahmen allzu vorsichtig, tastend, unsicher und schwankend. Die
unter dem Einfluß des Rechts erforderlichen vielen Bestimmungen über Zu¬
ständigkeit und Rechtsmittel zwingen ihn auf außerordentlich verschlungenen
Pfaden zu wandeln. Es kommt hinzu, daß die häufige Aufhebung von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/319>, abgerufen am 24.08.2024.