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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Radowitz

Österreichs Vorherrschaft war historisch und rechtlich begründet; sie beseitigen
wäre einem Rechtsbruch gleichgekommen. Auch war der König in vasallitischer
Treue immer bereit, "Österreich den Steigbügel zu halten." Diese Stimmung,
die Erkenntnis der Unklarheit und Schwäche seines Herrn hätten Radowitz wohl
überzeugen sollen, daß er nie mit ihm zu einem großen Ziel kommen würde.
Er stand ihm aber vor der Revolution noch zu nah, war selbst noch zu befangen
in seinen romantisch-historischen Vorurteilen, als daß er dies ganz deutlich hätte
sehen können; gefühlt hat er freilich früh, daß sein königlicher Freund "ganz
ohne die sinnlich-sittliche Stärke war, die den politischen Helden ausmacht."

Einen seiner schönsten Träume, die Wiedereinführung der Ständeverfassung
vernichtete das gänzliche Mißlingen des Vereinigten Landtags; er bekannte offen:
"die ständische Monarchie ist nicht mehr aufzurichten, der Zug nach dem modernen
Revräsentationssysteme hin unausweichlich" (1847).

Immer stärker beherrschte ihn die Idee von der Einigung Deutschlands;
dieser Idee hatte sich der staatliche Egoismus der Bundesglieder, voran Österreich,
zu unterwerfen. Durch freie Verhandlungen, die niemanden Zwang auferlegten,
glaubte er zum Ziele zu kommen; gelinge das nicht, so sollten für die besonderen
materiellen Zwecke von Preußen Verbände nach Art des Zollvereins gegründet
werden; dann werde Österreich bald einlenken, das "es doch nirgends darauf
ankommen lassen wird, daß die welthistorische Anregung zur Wiedergeburt
Deutschlands von Preußen allein ausgehe." Diese SpezialVereine sollten natürlich
baldmöglichst aufgehen in den reformierten Bundesstaat, in dem Österreich und
Preußen, Löwe und Lamm, einträchtig beieinander wohnten. Über die An¬
bahnung von Reformen zu verhandeln wurde Radowitz im März 1848 nach
Wien geschickt; alle Verabredungen wurden durch den Ausbruch der Revolution
hinfällig; zu einigermaßen befriedigenden Zugeständnissen wäre Metternich auch
nicht bereit gewesen.

Durch die Erklärung Friedrich Wilhelms vom 21. März 1848, daß er die
Leitung der deutschen Angelegenheiten übernehme, durch sein bekanntes Wort
"Preußen geht hinfort in Deutschland auf", schien der Bruch mit Österreich
vollzogen. Radowitz fürchtete es jedenfalls und bedauerte diesen Schritt des
Königs, der doch in Wirklichkeit der Anfang zu einer glücklichen Lösung des
preußisch-österreichischen Dualismus hätte sein können. Im übrigen gab er
seinem königlichen Freunde gute Ratschläge: er solle sich vor allzu temperament-
vollen Äußerungen seines Zornes hüten, seine Autorität wiederherstellen und
die Verfassung, die der Geschichte und dem Rechte angehöre, aufrichtig anerkennen-
Die Regierung solle sich gleichmäßig auf Konservative und Liberale stützen und
das Proletariat durch entsprechende Besteuerung und Einführung einer Arbeiter-
schutzgesetzgebung zu gewinnen suchen. Er selbst glaubte seinem Herrn am besten
zu dienen, wenn er im Hinblick auf den Haß und das Mißtrauen, die weite
Kreise dem Katholiken und "Reaktionär" entgegenbrachten, um seinen Abschied
bat. Er hatte die Absicht, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.


Radowitz

Österreichs Vorherrschaft war historisch und rechtlich begründet; sie beseitigen
wäre einem Rechtsbruch gleichgekommen. Auch war der König in vasallitischer
Treue immer bereit, „Österreich den Steigbügel zu halten." Diese Stimmung,
die Erkenntnis der Unklarheit und Schwäche seines Herrn hätten Radowitz wohl
überzeugen sollen, daß er nie mit ihm zu einem großen Ziel kommen würde.
Er stand ihm aber vor der Revolution noch zu nah, war selbst noch zu befangen
in seinen romantisch-historischen Vorurteilen, als daß er dies ganz deutlich hätte
sehen können; gefühlt hat er freilich früh, daß sein königlicher Freund „ganz
ohne die sinnlich-sittliche Stärke war, die den politischen Helden ausmacht."

Einen seiner schönsten Träume, die Wiedereinführung der Ständeverfassung
vernichtete das gänzliche Mißlingen des Vereinigten Landtags; er bekannte offen:
„die ständische Monarchie ist nicht mehr aufzurichten, der Zug nach dem modernen
Revräsentationssysteme hin unausweichlich" (1847).

Immer stärker beherrschte ihn die Idee von der Einigung Deutschlands;
dieser Idee hatte sich der staatliche Egoismus der Bundesglieder, voran Österreich,
zu unterwerfen. Durch freie Verhandlungen, die niemanden Zwang auferlegten,
glaubte er zum Ziele zu kommen; gelinge das nicht, so sollten für die besonderen
materiellen Zwecke von Preußen Verbände nach Art des Zollvereins gegründet
werden; dann werde Österreich bald einlenken, das „es doch nirgends darauf
ankommen lassen wird, daß die welthistorische Anregung zur Wiedergeburt
Deutschlands von Preußen allein ausgehe." Diese SpezialVereine sollten natürlich
baldmöglichst aufgehen in den reformierten Bundesstaat, in dem Österreich und
Preußen, Löwe und Lamm, einträchtig beieinander wohnten. Über die An¬
bahnung von Reformen zu verhandeln wurde Radowitz im März 1848 nach
Wien geschickt; alle Verabredungen wurden durch den Ausbruch der Revolution
hinfällig; zu einigermaßen befriedigenden Zugeständnissen wäre Metternich auch
nicht bereit gewesen.

Durch die Erklärung Friedrich Wilhelms vom 21. März 1848, daß er die
Leitung der deutschen Angelegenheiten übernehme, durch sein bekanntes Wort
„Preußen geht hinfort in Deutschland auf", schien der Bruch mit Österreich
vollzogen. Radowitz fürchtete es jedenfalls und bedauerte diesen Schritt des
Königs, der doch in Wirklichkeit der Anfang zu einer glücklichen Lösung des
preußisch-österreichischen Dualismus hätte sein können. Im übrigen gab er
seinem königlichen Freunde gute Ratschläge: er solle sich vor allzu temperament-
vollen Äußerungen seines Zornes hüten, seine Autorität wiederherstellen und
die Verfassung, die der Geschichte und dem Rechte angehöre, aufrichtig anerkennen-
Die Regierung solle sich gleichmäßig auf Konservative und Liberale stützen und
das Proletariat durch entsprechende Besteuerung und Einführung einer Arbeiter-
schutzgesetzgebung zu gewinnen suchen. Er selbst glaubte seinem Herrn am besten
zu dienen, wenn er im Hinblick auf den Haß und das Mißtrauen, die weite
Kreise dem Katholiken und „Reaktionär" entgegenbrachten, um seinen Abschied
bat. Er hatte die Absicht, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.


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[0290] Radowitz Österreichs Vorherrschaft war historisch und rechtlich begründet; sie beseitigen wäre einem Rechtsbruch gleichgekommen. Auch war der König in vasallitischer Treue immer bereit, „Österreich den Steigbügel zu halten." Diese Stimmung, die Erkenntnis der Unklarheit und Schwäche seines Herrn hätten Radowitz wohl überzeugen sollen, daß er nie mit ihm zu einem großen Ziel kommen würde. Er stand ihm aber vor der Revolution noch zu nah, war selbst noch zu befangen in seinen romantisch-historischen Vorurteilen, als daß er dies ganz deutlich hätte sehen können; gefühlt hat er freilich früh, daß sein königlicher Freund „ganz ohne die sinnlich-sittliche Stärke war, die den politischen Helden ausmacht." Einen seiner schönsten Träume, die Wiedereinführung der Ständeverfassung vernichtete das gänzliche Mißlingen des Vereinigten Landtags; er bekannte offen: „die ständische Monarchie ist nicht mehr aufzurichten, der Zug nach dem modernen Revräsentationssysteme hin unausweichlich" (1847). Immer stärker beherrschte ihn die Idee von der Einigung Deutschlands; dieser Idee hatte sich der staatliche Egoismus der Bundesglieder, voran Österreich, zu unterwerfen. Durch freie Verhandlungen, die niemanden Zwang auferlegten, glaubte er zum Ziele zu kommen; gelinge das nicht, so sollten für die besonderen materiellen Zwecke von Preußen Verbände nach Art des Zollvereins gegründet werden; dann werde Österreich bald einlenken, das „es doch nirgends darauf ankommen lassen wird, daß die welthistorische Anregung zur Wiedergeburt Deutschlands von Preußen allein ausgehe." Diese SpezialVereine sollten natürlich baldmöglichst aufgehen in den reformierten Bundesstaat, in dem Österreich und Preußen, Löwe und Lamm, einträchtig beieinander wohnten. Über die An¬ bahnung von Reformen zu verhandeln wurde Radowitz im März 1848 nach Wien geschickt; alle Verabredungen wurden durch den Ausbruch der Revolution hinfällig; zu einigermaßen befriedigenden Zugeständnissen wäre Metternich auch nicht bereit gewesen. Durch die Erklärung Friedrich Wilhelms vom 21. März 1848, daß er die Leitung der deutschen Angelegenheiten übernehme, durch sein bekanntes Wort „Preußen geht hinfort in Deutschland auf", schien der Bruch mit Österreich vollzogen. Radowitz fürchtete es jedenfalls und bedauerte diesen Schritt des Königs, der doch in Wirklichkeit der Anfang zu einer glücklichen Lösung des preußisch-österreichischen Dualismus hätte sein können. Im übrigen gab er seinem königlichen Freunde gute Ratschläge: er solle sich vor allzu temperament- vollen Äußerungen seines Zornes hüten, seine Autorität wiederherstellen und die Verfassung, die der Geschichte und dem Rechte angehöre, aufrichtig anerkennen- Die Regierung solle sich gleichmäßig auf Konservative und Liberale stützen und das Proletariat durch entsprechende Besteuerung und Einführung einer Arbeiter- schutzgesetzgebung zu gewinnen suchen. Er selbst glaubte seinem Herrn am besten zu dienen, wenn er im Hinblick auf den Haß und das Mißtrauen, die weite Kreise dem Katholiken und „Reaktionär" entgegenbrachten, um seinen Abschied bat. Er hatte die Absicht, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/290>, abgerufen am 05.07.2024.