Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Die XIV. internationale Revue der Alkoholgegncr in Mailand weniger schroff erschien wie die Gegnerschaft gegen den gemeinsamen Feind, Der Kongreß wurde am 22. September im Statuensaal des alten Die weiteren Verhandlungen des Kongresses gruppierten sich um einige Sie ist in der Tat der Angelpunkt, um den sich die Erörterung des Für Grenzboten IV 1913 17
Die XIV. internationale Revue der Alkoholgegncr in Mailand weniger schroff erschien wie die Gegnerschaft gegen den gemeinsamen Feind, Der Kongreß wurde am 22. September im Statuensaal des alten Die weiteren Verhandlungen des Kongresses gruppierten sich um einige Sie ist in der Tat der Angelpunkt, um den sich die Erörterung des Für Grenzboten IV 1913 17
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327081"/> <fw type="header" place="top"> Die XIV. internationale Revue der Alkoholgegncr in Mailand</fw><lb/> <p xml:id="ID_1021" prev="#ID_1020"> weniger schroff erschien wie die Gegnerschaft gegen den gemeinsamen Feind,<lb/> ebenso unverhüllt wie unnötig zutage trat. Aber auch innerhalb der beiden Haupt¬<lb/> richtungen fehlte es nicht an gelegentlichen Divergenzen. Der „Standpunkt" und<lb/> das geflissentliche Festhalten an irgendeinem kleinen oder auch größeren Prioritäts¬<lb/> anspruch wirken — nicht immer zum Nutzen der Sache — auch hier mehr<lb/> trennend wie vereinigend, zumal die Zahl der gegeneinander mehr oder weniger<lb/> scharf abgegrenzten alkoholgegnerischen Vereinigungen eine beträchtliche ist. Allein<lb/> in Deutschland werden deren einige fünfzig gezählt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1022"> Der Kongreß wurde am 22. September im Statuensaal des alten<lb/> Sforzakastells zu Mailand eröffnet. Nach einem einleitenden Vortrage von<lb/> Marchmfava-Rom über die Pathologie des Alkohols folgten Berichte von<lb/> van Rech-Amsterdam und Turner Rae-London über die sittliche Entartung,<lb/> verursacht durch Alkohol. Beide gingen von der bekannten physiologischen und<lb/> psychologischen Wirkung namentlich des fortgesetzten Alkoholgenusses aus, wiesen<lb/> auf die durch die Erfahrung reichlich bestätigten und experimentell nachweis¬<lb/> baren Folgen hin, die letzten Endes in der Degeneration und dank der Ver¬<lb/> erbung in Rassenentartung gipfeln, und stellten eine Behütung der Jugend durch<lb/> Aufklärung und entsprechende Erziehung als beste Prophylaxe in den Vorder¬<lb/> grund der Gegenmaßnahmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1023"> Die weiteren Verhandlungen des Kongresses gruppierten sich um einige<lb/> ganz bestimmte Grundfragen, von denen die wichtigste die wirtschaftliche Seite<lb/> des ganzen Alkoholproblems betraf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1024" next="#ID_1025"> Sie ist in der Tat der Angelpunkt, um den sich die Erörterung des Für<lb/> und Wider, sofern sie nicht ganz im abstrakten stecken bleiben soll, in letzter Linie<lb/> immer drehen wird. Würde das Ideal der Abstinenz von heute auf morgen<lb/> in die Wirklichkeit umgesetzt werden können, so würde das fraglos zunächst eine<lb/> wirtschaftliche Katastrophe bedeuten und eine Umwälzung, die in das Finanzinteresse<lb/> der Staaten teilweise sehr tief einschneiden würde. Bezogen doch nach der Statistik<lb/> des englischen Board of Trade 1911 Deutschland 5 Prozent, Österreich 9 Prozent,<lb/> Frankreich 11 Prozent, Schweden 15 Prozent, Großbritannien 23 Prozent,<lb/> die Vereinigten Staaten 25 Prozent, Nußland 26 Prozent ihrer gesamten Staats¬<lb/> einnahmen aus Zöllen und Steuern auf alkoholische Getränke. Allerdings kann man<lb/> hier eine Gegenrechnung aufmachen: was der Alkohol direkt einbringt, steht fraglos<lb/> in einem wenig günstigen Verhältnis zu den Kosten, die er dem Staat und der<lb/> Gesellschaft durch die Behandlung seiner Opfer indirekt wieder abnimmt — ganz<lb/> abgesehen von den nicht meßbaren Schädigungen, die vielleicht uoch schwerer<lb/> wiegen. Indessen: die Einnahmen figurieren zahlenmäßig sehr beträchtlich im<lb/> Staatsbudget, sie sind greifbare Posten und machen es bei den Staaten, die<lb/> besonders auf sie angewiesen sind, in gewisser Weise erklärlich, wenn sie sich<lb/> nicht gerade mit stürmischer Begeisterung an die Verstopfung ihrer schönen Ein¬<lb/> nahmequellen machen. Das gilt in Sonderheit für Rußland, dem sein Brannt¬<lb/> weinmonopol fast zwei Milliarden Maal im Jahr einbringt, das lange<lb/> '</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1913 17</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0269]
Die XIV. internationale Revue der Alkoholgegncr in Mailand
weniger schroff erschien wie die Gegnerschaft gegen den gemeinsamen Feind,
ebenso unverhüllt wie unnötig zutage trat. Aber auch innerhalb der beiden Haupt¬
richtungen fehlte es nicht an gelegentlichen Divergenzen. Der „Standpunkt" und
das geflissentliche Festhalten an irgendeinem kleinen oder auch größeren Prioritäts¬
anspruch wirken — nicht immer zum Nutzen der Sache — auch hier mehr
trennend wie vereinigend, zumal die Zahl der gegeneinander mehr oder weniger
scharf abgegrenzten alkoholgegnerischen Vereinigungen eine beträchtliche ist. Allein
in Deutschland werden deren einige fünfzig gezählt.
Der Kongreß wurde am 22. September im Statuensaal des alten
Sforzakastells zu Mailand eröffnet. Nach einem einleitenden Vortrage von
Marchmfava-Rom über die Pathologie des Alkohols folgten Berichte von
van Rech-Amsterdam und Turner Rae-London über die sittliche Entartung,
verursacht durch Alkohol. Beide gingen von der bekannten physiologischen und
psychologischen Wirkung namentlich des fortgesetzten Alkoholgenusses aus, wiesen
auf die durch die Erfahrung reichlich bestätigten und experimentell nachweis¬
baren Folgen hin, die letzten Endes in der Degeneration und dank der Ver¬
erbung in Rassenentartung gipfeln, und stellten eine Behütung der Jugend durch
Aufklärung und entsprechende Erziehung als beste Prophylaxe in den Vorder¬
grund der Gegenmaßnahmen.
Die weiteren Verhandlungen des Kongresses gruppierten sich um einige
ganz bestimmte Grundfragen, von denen die wichtigste die wirtschaftliche Seite
des ganzen Alkoholproblems betraf.
Sie ist in der Tat der Angelpunkt, um den sich die Erörterung des Für
und Wider, sofern sie nicht ganz im abstrakten stecken bleiben soll, in letzter Linie
immer drehen wird. Würde das Ideal der Abstinenz von heute auf morgen
in die Wirklichkeit umgesetzt werden können, so würde das fraglos zunächst eine
wirtschaftliche Katastrophe bedeuten und eine Umwälzung, die in das Finanzinteresse
der Staaten teilweise sehr tief einschneiden würde. Bezogen doch nach der Statistik
des englischen Board of Trade 1911 Deutschland 5 Prozent, Österreich 9 Prozent,
Frankreich 11 Prozent, Schweden 15 Prozent, Großbritannien 23 Prozent,
die Vereinigten Staaten 25 Prozent, Nußland 26 Prozent ihrer gesamten Staats¬
einnahmen aus Zöllen und Steuern auf alkoholische Getränke. Allerdings kann man
hier eine Gegenrechnung aufmachen: was der Alkohol direkt einbringt, steht fraglos
in einem wenig günstigen Verhältnis zu den Kosten, die er dem Staat und der
Gesellschaft durch die Behandlung seiner Opfer indirekt wieder abnimmt — ganz
abgesehen von den nicht meßbaren Schädigungen, die vielleicht uoch schwerer
wiegen. Indessen: die Einnahmen figurieren zahlenmäßig sehr beträchtlich im
Staatsbudget, sie sind greifbare Posten und machen es bei den Staaten, die
besonders auf sie angewiesen sind, in gewisser Weise erklärlich, wenn sie sich
nicht gerade mit stürmischer Begeisterung an die Verstopfung ihrer schönen Ein¬
nahmequellen machen. Das gilt in Sonderheit für Rußland, dem sein Brannt¬
weinmonopol fast zwei Milliarden Maal im Jahr einbringt, das lange
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