Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

gedichte, weit zurück über das zehnte Jahrhundert reicht. Aus Ringen besteht
der Hort im Schatzhaus des Jütenkönigs Beowulf, dessen Sage die Angeln
schon im fünften Jahrhundert nach Britannien trugen. Ringe sind im Heliand
das "gewundene Gold", das der Fürst, der "Ringspender", seinen Helden oder
seinem Sänger zum Lohne gibt, und im Nibelungenlied sind sie "das rote
Gold", das Siegfrieds Mutter ihm zuliebe beim Hofgelag nach "alter Sitte
verteilt". In demselben Liede spielt der Ring noch seine besondere Rolle. Ehe
es gemünztes Geld gab, bilden eherne und goldene Ringe das Tauschmittel;
sie werden auf Schnüre gezogen, aber auch -- in Stücke gehauen, wie sie
öfters gefunden sind -- als Scheidemünze verwendet.

An den Ring als Tausch- oder Zahlungsmittel erinnerten die Gallier, die
schon früh gemünztes Geld kannten, dadurch, daß sie auf der Münze, um den
Wert derselben- erkennbar zu machen, einen Ring oder ein Pferd abbildeten.
Und der Ring Wotans, der die nützliche Eigenschaft hat, weitere Ringe zu ge¬
bären, lebt noch heute fort, in dem "Heckmännchen" oder "Heckethaler", den
die älteren unter uns einst für ihre Sparbüchsen geschenkt erhielten und darin
ängstlich bewahrten. Ein solches Heckmännchen galt als "Wunschding" oder
als "Brutpfennig", wie der zum Aberglauben gewordene Wotansglaube in
seiner bis zur Gegenwart hinabreichenden Blütezeit lehrt. Auch die Bedeutung
der Hingabe des Ringes als Hingabe des Kaufgeldes hat sich noch sichtbar
erhalten. Der Engländer kennt kein Wechseln des Ringes bei der Trauung,
sondern kennzeichnet nur den alten Brautkauf dadurch, daß ausschließlich die Braut
vom Bräutigam den Ring dargereicht erhält. Im ersten deutschen Ritterroman
(elftes Jahrhundert) geschieht die Darreichung des Ringes auf dem Schwert-
griff*). Ein altes deutsches Sprichwort sagt deshalb: "Ist die Jungfer beringt,
ist sie gedingt." und der Lateiner übersetzt das: "virM annulo aecspw,
venäita L8t"**). Tacitus bezeugt die Ringe als die beliebteste Zierde der
Germanen und meint damit die um Hals und Arme (zum Schutze im Kampfe)
angebrachten Ringe. Sie wurden gleich dem Helm und Schild dem Manne
mit in das Grab gegeben. Der Domherr Adam von Bremen nennt darum
unter unbegrabenen wertvolleren Gegenständen die pöLunia. So kommt es,
daß der Ring ursprünglich als das Symbol des Weges gedacht ist, den die Sonne,
der höchste Gott, täglich am Himmel beschreibt. Die Sonne hat der Welt ihr Dasein
gegeben. Wem bringt diesen ältesten und veralteten Glauben nicht die Lehre
unserer heutigen Astrophysiker in die Erinnerung, daß mit der von der Natur
geforderten als normal erkannten allmählichen Abkühlung der Sonne alles,
was auf der Erde lebt, unentrinnbar der Vernichtung verfallen sei? Auch als
Symbol des menschlichen Nachlasses gilt vor alters die Sonne. Die Bilder




*) Vgl. Wackernagel, Zeitschrift für deutsche Altertümer 9, 551. Auch Deutsches Wörter¬
buch unter "Heckmännchen". Simrock, Edda S, 447. I. Grimm, Kleine Schriften 2, 199.
*") Frisch, Teutsch-lateinisches Wörterbuch. 1741.
Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

gedichte, weit zurück über das zehnte Jahrhundert reicht. Aus Ringen besteht
der Hort im Schatzhaus des Jütenkönigs Beowulf, dessen Sage die Angeln
schon im fünften Jahrhundert nach Britannien trugen. Ringe sind im Heliand
das „gewundene Gold", das der Fürst, der „Ringspender", seinen Helden oder
seinem Sänger zum Lohne gibt, und im Nibelungenlied sind sie „das rote
Gold", das Siegfrieds Mutter ihm zuliebe beim Hofgelag nach „alter Sitte
verteilt". In demselben Liede spielt der Ring noch seine besondere Rolle. Ehe
es gemünztes Geld gab, bilden eherne und goldene Ringe das Tauschmittel;
sie werden auf Schnüre gezogen, aber auch — in Stücke gehauen, wie sie
öfters gefunden sind — als Scheidemünze verwendet.

An den Ring als Tausch- oder Zahlungsmittel erinnerten die Gallier, die
schon früh gemünztes Geld kannten, dadurch, daß sie auf der Münze, um den
Wert derselben- erkennbar zu machen, einen Ring oder ein Pferd abbildeten.
Und der Ring Wotans, der die nützliche Eigenschaft hat, weitere Ringe zu ge¬
bären, lebt noch heute fort, in dem „Heckmännchen" oder „Heckethaler", den
die älteren unter uns einst für ihre Sparbüchsen geschenkt erhielten und darin
ängstlich bewahrten. Ein solches Heckmännchen galt als „Wunschding" oder
als „Brutpfennig", wie der zum Aberglauben gewordene Wotansglaube in
seiner bis zur Gegenwart hinabreichenden Blütezeit lehrt. Auch die Bedeutung
der Hingabe des Ringes als Hingabe des Kaufgeldes hat sich noch sichtbar
erhalten. Der Engländer kennt kein Wechseln des Ringes bei der Trauung,
sondern kennzeichnet nur den alten Brautkauf dadurch, daß ausschließlich die Braut
vom Bräutigam den Ring dargereicht erhält. Im ersten deutschen Ritterroman
(elftes Jahrhundert) geschieht die Darreichung des Ringes auf dem Schwert-
griff*). Ein altes deutsches Sprichwort sagt deshalb: „Ist die Jungfer beringt,
ist sie gedingt." und der Lateiner übersetzt das: „virM annulo aecspw,
venäita L8t"**). Tacitus bezeugt die Ringe als die beliebteste Zierde der
Germanen und meint damit die um Hals und Arme (zum Schutze im Kampfe)
angebrachten Ringe. Sie wurden gleich dem Helm und Schild dem Manne
mit in das Grab gegeben. Der Domherr Adam von Bremen nennt darum
unter unbegrabenen wertvolleren Gegenständen die pöLunia. So kommt es,
daß der Ring ursprünglich als das Symbol des Weges gedacht ist, den die Sonne,
der höchste Gott, täglich am Himmel beschreibt. Die Sonne hat der Welt ihr Dasein
gegeben. Wem bringt diesen ältesten und veralteten Glauben nicht die Lehre
unserer heutigen Astrophysiker in die Erinnerung, daß mit der von der Natur
geforderten als normal erkannten allmählichen Abkühlung der Sonne alles,
was auf der Erde lebt, unentrinnbar der Vernichtung verfallen sei? Auch als
Symbol des menschlichen Nachlasses gilt vor alters die Sonne. Die Bilder




*) Vgl. Wackernagel, Zeitschrift für deutsche Altertümer 9, 551. Auch Deutsches Wörter¬
buch unter „Heckmännchen". Simrock, Edda S, 447. I. Grimm, Kleine Schriften 2, 199.
*") Frisch, Teutsch-lateinisches Wörterbuch. 1741.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327078"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1007" prev="#ID_1006"> gedichte, weit zurück über das zehnte Jahrhundert reicht. Aus Ringen besteht<lb/>
der Hort im Schatzhaus des Jütenkönigs Beowulf, dessen Sage die Angeln<lb/>
schon im fünften Jahrhundert nach Britannien trugen. Ringe sind im Heliand<lb/>
das &#x201E;gewundene Gold", das der Fürst, der &#x201E;Ringspender", seinen Helden oder<lb/>
seinem Sänger zum Lohne gibt, und im Nibelungenlied sind sie &#x201E;das rote<lb/>
Gold", das Siegfrieds Mutter ihm zuliebe beim Hofgelag nach &#x201E;alter Sitte<lb/>
verteilt". In demselben Liede spielt der Ring noch seine besondere Rolle. Ehe<lb/>
es gemünztes Geld gab, bilden eherne und goldene Ringe das Tauschmittel;<lb/>
sie werden auf Schnüre gezogen, aber auch &#x2014; in Stücke gehauen, wie sie<lb/>
öfters gefunden sind &#x2014; als Scheidemünze verwendet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1008" next="#ID_1009"> An den Ring als Tausch- oder Zahlungsmittel erinnerten die Gallier, die<lb/>
schon früh gemünztes Geld kannten, dadurch, daß sie auf der Münze, um den<lb/>
Wert derselben- erkennbar zu machen, einen Ring oder ein Pferd abbildeten.<lb/>
Und der Ring Wotans, der die nützliche Eigenschaft hat, weitere Ringe zu ge¬<lb/>
bären, lebt noch heute fort, in dem &#x201E;Heckmännchen" oder &#x201E;Heckethaler", den<lb/>
die älteren unter uns einst für ihre Sparbüchsen geschenkt erhielten und darin<lb/>
ängstlich bewahrten. Ein solches Heckmännchen galt als &#x201E;Wunschding" oder<lb/>
als &#x201E;Brutpfennig", wie der zum Aberglauben gewordene Wotansglaube in<lb/>
seiner bis zur Gegenwart hinabreichenden Blütezeit lehrt. Auch die Bedeutung<lb/>
der Hingabe des Ringes als Hingabe des Kaufgeldes hat sich noch sichtbar<lb/>
erhalten. Der Engländer kennt kein Wechseln des Ringes bei der Trauung,<lb/>
sondern kennzeichnet nur den alten Brautkauf dadurch, daß ausschließlich die Braut<lb/>
vom Bräutigam den Ring dargereicht erhält. Im ersten deutschen Ritterroman<lb/>
(elftes Jahrhundert) geschieht die Darreichung des Ringes auf dem Schwert-<lb/>
griff*). Ein altes deutsches Sprichwort sagt deshalb: &#x201E;Ist die Jungfer beringt,<lb/>
ist sie gedingt." und der Lateiner übersetzt das: &#x201E;virM annulo aecspw,<lb/>
venäita L8t"**). Tacitus bezeugt die Ringe als die beliebteste Zierde der<lb/>
Germanen und meint damit die um Hals und Arme (zum Schutze im Kampfe)<lb/>
angebrachten Ringe. Sie wurden gleich dem Helm und Schild dem Manne<lb/>
mit in das Grab gegeben. Der Domherr Adam von Bremen nennt darum<lb/>
unter unbegrabenen wertvolleren Gegenständen die pöLunia. So kommt es,<lb/>
daß der Ring ursprünglich als das Symbol des Weges gedacht ist, den die Sonne,<lb/>
der höchste Gott, täglich am Himmel beschreibt. Die Sonne hat der Welt ihr Dasein<lb/>
gegeben. Wem bringt diesen ältesten und veralteten Glauben nicht die Lehre<lb/>
unserer heutigen Astrophysiker in die Erinnerung, daß mit der von der Natur<lb/>
geforderten als normal erkannten allmählichen Abkühlung der Sonne alles,<lb/>
was auf der Erde lebt, unentrinnbar der Vernichtung verfallen sei? Auch als<lb/>
Symbol des menschlichen Nachlasses gilt vor alters die Sonne.  Die Bilder</p><lb/>
          <note xml:id="FID_16" place="foot"> *) Vgl. Wackernagel, Zeitschrift für deutsche Altertümer 9, 551.  Auch Deutsches Wörter¬<lb/>
buch unter &#x201E;Heckmännchen".  Simrock, Edda S, 447.  I. Grimm, Kleine Schriften 2, 199.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_17" place="foot"> *") Frisch, Teutsch-lateinisches Wörterbuch. 1741.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0266] Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie gedichte, weit zurück über das zehnte Jahrhundert reicht. Aus Ringen besteht der Hort im Schatzhaus des Jütenkönigs Beowulf, dessen Sage die Angeln schon im fünften Jahrhundert nach Britannien trugen. Ringe sind im Heliand das „gewundene Gold", das der Fürst, der „Ringspender", seinen Helden oder seinem Sänger zum Lohne gibt, und im Nibelungenlied sind sie „das rote Gold", das Siegfrieds Mutter ihm zuliebe beim Hofgelag nach „alter Sitte verteilt". In demselben Liede spielt der Ring noch seine besondere Rolle. Ehe es gemünztes Geld gab, bilden eherne und goldene Ringe das Tauschmittel; sie werden auf Schnüre gezogen, aber auch — in Stücke gehauen, wie sie öfters gefunden sind — als Scheidemünze verwendet. An den Ring als Tausch- oder Zahlungsmittel erinnerten die Gallier, die schon früh gemünztes Geld kannten, dadurch, daß sie auf der Münze, um den Wert derselben- erkennbar zu machen, einen Ring oder ein Pferd abbildeten. Und der Ring Wotans, der die nützliche Eigenschaft hat, weitere Ringe zu ge¬ bären, lebt noch heute fort, in dem „Heckmännchen" oder „Heckethaler", den die älteren unter uns einst für ihre Sparbüchsen geschenkt erhielten und darin ängstlich bewahrten. Ein solches Heckmännchen galt als „Wunschding" oder als „Brutpfennig", wie der zum Aberglauben gewordene Wotansglaube in seiner bis zur Gegenwart hinabreichenden Blütezeit lehrt. Auch die Bedeutung der Hingabe des Ringes als Hingabe des Kaufgeldes hat sich noch sichtbar erhalten. Der Engländer kennt kein Wechseln des Ringes bei der Trauung, sondern kennzeichnet nur den alten Brautkauf dadurch, daß ausschließlich die Braut vom Bräutigam den Ring dargereicht erhält. Im ersten deutschen Ritterroman (elftes Jahrhundert) geschieht die Darreichung des Ringes auf dem Schwert- griff*). Ein altes deutsches Sprichwort sagt deshalb: „Ist die Jungfer beringt, ist sie gedingt." und der Lateiner übersetzt das: „virM annulo aecspw, venäita L8t"**). Tacitus bezeugt die Ringe als die beliebteste Zierde der Germanen und meint damit die um Hals und Arme (zum Schutze im Kampfe) angebrachten Ringe. Sie wurden gleich dem Helm und Schild dem Manne mit in das Grab gegeben. Der Domherr Adam von Bremen nennt darum unter unbegrabenen wertvolleren Gegenständen die pöLunia. So kommt es, daß der Ring ursprünglich als das Symbol des Weges gedacht ist, den die Sonne, der höchste Gott, täglich am Himmel beschreibt. Die Sonne hat der Welt ihr Dasein gegeben. Wem bringt diesen ältesten und veralteten Glauben nicht die Lehre unserer heutigen Astrophysiker in die Erinnerung, daß mit der von der Natur geforderten als normal erkannten allmählichen Abkühlung der Sonne alles, was auf der Erde lebt, unentrinnbar der Vernichtung verfallen sei? Auch als Symbol des menschlichen Nachlasses gilt vor alters die Sonne. Die Bilder *) Vgl. Wackernagel, Zeitschrift für deutsche Altertümer 9, 551. Auch Deutsches Wörter¬ buch unter „Heckmännchen". Simrock, Edda S, 447. I. Grimm, Kleine Schriften 2, 199. *") Frisch, Teutsch-lateinisches Wörterbuch. 1741.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/266
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/266>, abgerufen am 24.08.2024.