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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Englands Lhinapolitik

Politik und von der Möglichkeit eines Ausgebens Jüanschikais. Man möchte
wohl zunächst noch an der bisherigen Politik im großen und ganzen festhalten
und vorläufig nur in dem Punkt, wo man sich klar benachteiligt fühlt, einen
Druck ausüben, um sich mehr berücksichtigt zu sehen. In der Tat ist denn
bisher auch nur erklärt worden, daß sich die englischen Geldgeber von nun an
nicht mehr an die Abmachungen der Fünfmächtegruppe zu halten brauchen
und sich frei an allen Anleihen für industrielle Zwecke beteiligen können und
werden. Daß Grey seine Politik aber noch keineswegs gänzlich geändert hat
beweist, daß er für große Neorganisationsanleihen noch weiter an der Konzert¬
politik festzuhalten gedenkt.

Mit dem bisher Angedeuteten sind die Gegner der Greyschen Politik noch
keineswegs zufrieden. Sie verlangen im Anschluß an die Auflösung der Fünf¬
mächtegruppe überhaupt eine völlige Neuorientierung der ganzen britischen China¬
politik. Der Vertreter des Daily Telegraph befürwortete die Aufgabe Weihaiweis
und dafür die Erwerbung Tschusans. Das würde nichts anderes bedeuten als
den völligen Rückzug Englands aus Nordchina und eine Stärkung seiner Stellung
im Jantsebecken, also eine deutliche Rückkehr zu der Jnteressensphärenpolitik
in verschärfter Form. Wenn wir ihn recht verstehen, schlägt er dazu auch
noch eine Auseinandersetzung mit Japan vor, in Verbindung mit einer Neu¬
gestaltung des japanisch-englischen Bündnisses. Offenbar soll Japan, das ja
selbst stark auf den Janthe spekuliert und dort englische Interessen nicht
ungefährlich bedroht, dort zum klaren Verzicht veranlaßt und dafür durch An¬
erkennung seiner Ansprüche im Norden abgefunden werden. Die Möglichkeit
einer solchen Lösung wollen Mr ganz dahingestellt sein lassen. Es handelt
sich ja dabei vorläufig auch suur um die Ansicht einer unmaßgeblichen Per¬
sönlichkeit. Daß sich die amtliche englische Politik mit solchen oder ähnlichen
Gedanken tragen sollte, dafür ist bisher noch kein Anzeichen vorhanden. Aller¬
dings spielt die Haltung Japans für das Vorgehen Englands eine besondere,
vielleicht überhaupt die entscheidende Rolle. Der oben erwähnte Timesartikel
enthielt in seinem ersten Teil eine deutliche Warnung an Japan, den Konflikt
mit China nicht zu übereilten Schritten zu benutzen und die Forderungen nicht
zu überspannen. Die englische Regierung hat dann auch weiter ihrer Hoffnung
Ausdruck gegeben, daß nach Erledigung der Nankinger und sonstigen Zwischenfälle,
in denen sie im übrigen die japanischen Ansprüche voll anerkannte und der
chinesischen Regierung dringend zum Nachgeben riet, die Mißtrauen erregenden
militärischen Bewegungen Japans im Jantsetal würden aufhören. In erster
Linie aber hat sich England deutlich und energisch dagegen geäußert, daß Japan
etwa den jetzigen Konflikt zu einer territorialen Erwerbung -- in Japan soll
man dabei an Pukou, also auch wieder einen Jantseplatz gedacht haben --
ausnützen könnte. Zieht man Japan in Betracht, so ist das zunächst natürlich
eine Verteidigung der englischen Interessensphäre. Im ganzen betrachet. spricht
es wohl aber auch dafür, daß England zunächst nicht die Aufteilung Chinas


Englands Lhinapolitik

Politik und von der Möglichkeit eines Ausgebens Jüanschikais. Man möchte
wohl zunächst noch an der bisherigen Politik im großen und ganzen festhalten
und vorläufig nur in dem Punkt, wo man sich klar benachteiligt fühlt, einen
Druck ausüben, um sich mehr berücksichtigt zu sehen. In der Tat ist denn
bisher auch nur erklärt worden, daß sich die englischen Geldgeber von nun an
nicht mehr an die Abmachungen der Fünfmächtegruppe zu halten brauchen
und sich frei an allen Anleihen für industrielle Zwecke beteiligen können und
werden. Daß Grey seine Politik aber noch keineswegs gänzlich geändert hat
beweist, daß er für große Neorganisationsanleihen noch weiter an der Konzert¬
politik festzuhalten gedenkt.

Mit dem bisher Angedeuteten sind die Gegner der Greyschen Politik noch
keineswegs zufrieden. Sie verlangen im Anschluß an die Auflösung der Fünf¬
mächtegruppe überhaupt eine völlige Neuorientierung der ganzen britischen China¬
politik. Der Vertreter des Daily Telegraph befürwortete die Aufgabe Weihaiweis
und dafür die Erwerbung Tschusans. Das würde nichts anderes bedeuten als
den völligen Rückzug Englands aus Nordchina und eine Stärkung seiner Stellung
im Jantsebecken, also eine deutliche Rückkehr zu der Jnteressensphärenpolitik
in verschärfter Form. Wenn wir ihn recht verstehen, schlägt er dazu auch
noch eine Auseinandersetzung mit Japan vor, in Verbindung mit einer Neu¬
gestaltung des japanisch-englischen Bündnisses. Offenbar soll Japan, das ja
selbst stark auf den Janthe spekuliert und dort englische Interessen nicht
ungefährlich bedroht, dort zum klaren Verzicht veranlaßt und dafür durch An¬
erkennung seiner Ansprüche im Norden abgefunden werden. Die Möglichkeit
einer solchen Lösung wollen Mr ganz dahingestellt sein lassen. Es handelt
sich ja dabei vorläufig auch suur um die Ansicht einer unmaßgeblichen Per¬
sönlichkeit. Daß sich die amtliche englische Politik mit solchen oder ähnlichen
Gedanken tragen sollte, dafür ist bisher noch kein Anzeichen vorhanden. Aller¬
dings spielt die Haltung Japans für das Vorgehen Englands eine besondere,
vielleicht überhaupt die entscheidende Rolle. Der oben erwähnte Timesartikel
enthielt in seinem ersten Teil eine deutliche Warnung an Japan, den Konflikt
mit China nicht zu übereilten Schritten zu benutzen und die Forderungen nicht
zu überspannen. Die englische Regierung hat dann auch weiter ihrer Hoffnung
Ausdruck gegeben, daß nach Erledigung der Nankinger und sonstigen Zwischenfälle,
in denen sie im übrigen die japanischen Ansprüche voll anerkannte und der
chinesischen Regierung dringend zum Nachgeben riet, die Mißtrauen erregenden
militärischen Bewegungen Japans im Jantsetal würden aufhören. In erster
Linie aber hat sich England deutlich und energisch dagegen geäußert, daß Japan
etwa den jetzigen Konflikt zu einer territorialen Erwerbung — in Japan soll
man dabei an Pukou, also auch wieder einen Jantseplatz gedacht haben —
ausnützen könnte. Zieht man Japan in Betracht, so ist das zunächst natürlich
eine Verteidigung der englischen Interessensphäre. Im ganzen betrachet. spricht
es wohl aber auch dafür, daß England zunächst nicht die Aufteilung Chinas


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[0259] Englands Lhinapolitik Politik und von der Möglichkeit eines Ausgebens Jüanschikais. Man möchte wohl zunächst noch an der bisherigen Politik im großen und ganzen festhalten und vorläufig nur in dem Punkt, wo man sich klar benachteiligt fühlt, einen Druck ausüben, um sich mehr berücksichtigt zu sehen. In der Tat ist denn bisher auch nur erklärt worden, daß sich die englischen Geldgeber von nun an nicht mehr an die Abmachungen der Fünfmächtegruppe zu halten brauchen und sich frei an allen Anleihen für industrielle Zwecke beteiligen können und werden. Daß Grey seine Politik aber noch keineswegs gänzlich geändert hat beweist, daß er für große Neorganisationsanleihen noch weiter an der Konzert¬ politik festzuhalten gedenkt. Mit dem bisher Angedeuteten sind die Gegner der Greyschen Politik noch keineswegs zufrieden. Sie verlangen im Anschluß an die Auflösung der Fünf¬ mächtegruppe überhaupt eine völlige Neuorientierung der ganzen britischen China¬ politik. Der Vertreter des Daily Telegraph befürwortete die Aufgabe Weihaiweis und dafür die Erwerbung Tschusans. Das würde nichts anderes bedeuten als den völligen Rückzug Englands aus Nordchina und eine Stärkung seiner Stellung im Jantsebecken, also eine deutliche Rückkehr zu der Jnteressensphärenpolitik in verschärfter Form. Wenn wir ihn recht verstehen, schlägt er dazu auch noch eine Auseinandersetzung mit Japan vor, in Verbindung mit einer Neu¬ gestaltung des japanisch-englischen Bündnisses. Offenbar soll Japan, das ja selbst stark auf den Janthe spekuliert und dort englische Interessen nicht ungefährlich bedroht, dort zum klaren Verzicht veranlaßt und dafür durch An¬ erkennung seiner Ansprüche im Norden abgefunden werden. Die Möglichkeit einer solchen Lösung wollen Mr ganz dahingestellt sein lassen. Es handelt sich ja dabei vorläufig auch suur um die Ansicht einer unmaßgeblichen Per¬ sönlichkeit. Daß sich die amtliche englische Politik mit solchen oder ähnlichen Gedanken tragen sollte, dafür ist bisher noch kein Anzeichen vorhanden. Aller¬ dings spielt die Haltung Japans für das Vorgehen Englands eine besondere, vielleicht überhaupt die entscheidende Rolle. Der oben erwähnte Timesartikel enthielt in seinem ersten Teil eine deutliche Warnung an Japan, den Konflikt mit China nicht zu übereilten Schritten zu benutzen und die Forderungen nicht zu überspannen. Die englische Regierung hat dann auch weiter ihrer Hoffnung Ausdruck gegeben, daß nach Erledigung der Nankinger und sonstigen Zwischenfälle, in denen sie im übrigen die japanischen Ansprüche voll anerkannte und der chinesischen Regierung dringend zum Nachgeben riet, die Mißtrauen erregenden militärischen Bewegungen Japans im Jantsetal würden aufhören. In erster Linie aber hat sich England deutlich und energisch dagegen geäußert, daß Japan etwa den jetzigen Konflikt zu einer territorialen Erwerbung — in Japan soll man dabei an Pukou, also auch wieder einen Jantseplatz gedacht haben — ausnützen könnte. Zieht man Japan in Betracht, so ist das zunächst natürlich eine Verteidigung der englischen Interessensphäre. Im ganzen betrachet. spricht es wohl aber auch dafür, daß England zunächst nicht die Aufteilung Chinas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/259>, abgerufen am 24.08.2024.