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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Englands Lhinapolitik

Hier sorgt das Jantseabkommen mit Deutschland, dem die anderen Mächte bei¬
getreten sind, für die Verwirklichung der zweiten Idee, die es England vor allem
auch ermöglichen soll, die etwaige Teilung erst in dem ihm am besten passenden
Augenblick eintreten zu lassen oder wenn es zweckmäßiger erscheint, mit dem Privi¬
legium auch einmal Tauschgeschäfte zu machen. Das spätere Abkommen mit Rußland
über die chinesischen Außenländer ist, zunächst im Sinne der Jnteressenversiche-
rung, eine Ergänzung der ersten Verträge, da diese sich ja nicht auf jene wei¬
teren, gewissermaßen nicht mehr als integrierende Bestandteile des chinesischen
Reiches betrachteten Gebiete beziehen sollten. Auch hier vergißt aber die britische
Politik anscheinend nicht jene zweite Idee. Sie begünstigt -- so kann man die
Dinge doch wohl verstehen -- den Sturz der Monarchie und die Revolution,
die eine energischere Haltung gegen das Abbröckeln der Außenländer einnimmt.
Sie erkennt selber die chinesische Oberhoheit über Tibet an und würde doch wohl
auch gern sehen, wenn die mongolische Frage im selben Sinne gelöst würde.
Zu alledem kommt nun aber noch ein weiterer Grundsatz der britischen
Politik hinzu, der die beiden ersten erst zu einem System vervollständigt und
ergänzt und namentlich in der letzten Anleihepolitik erkennbar geworden sein
dürfte. Er zeigte sich auch in der Haltung der britischen Politik in der letzten
Balkankrise und ist dort vor allem klar und deutlich ausgesprochen worden. Die
englische Politik hat das Bestreben, alle die augenblicklich schwebenden großen
Fragen im Konzert mit allen beteiligten Mächten zu erledigen und zu behandeln.
Offenbar fühlt sie sich wohl zu schwach, um allein vorzugehen, und dürfte in
der einseitig orientierten Bündnispolitik wohl auch längst mehr als ein Haar
gefunden haben. Sie sucht deshalb gemeinsame Interessen zu schaffen und diese
gemeinsam zu behandeln. Sie deckt sich dadurch nicht nur gegen unliebsame
Überraschungen, sondern vermeidet auch die Gefahr, offen gegen die eine oder
die andere Macht Stellung zu nehmen und gewinnt so, unter Ausnützung aller
Vorteile des Zusammengehens mit den Festlaudsmächten, doch die Annehmlich'
leiten der 8plenclicl l80la,ti0n in mancher Beziehung wieder. Die englische
Politik -- und das gilt eben auch für ihr Verhalten in China -- sichert sich
überall ihre Hypotheken, sie drängt aber nirgends auf die Subhastation oder
Parzellierung und sorgt dafür, daß gewissermaßen sämtliche Geschäfte von einer
G. in. b. H. übernommen werden, damit nicht einer den anderen aufbietet.

Diese britische Politik, die natürlich auch erst allmählich mit den Fort¬
schritten der neuen Ära der Weltpolitik zu diesem System gegriffen hat und
heute in Sir Edward Grey ihren Leiter besitzt, hat selbstverständlich schon
langem in dem eigenen Lande auch Gegner. Das gilt insbesondere be¬
züglich der Behandlung der asiatischen Fragen, vor allem der chinesischen-
Namentlich die Anleihepolitik Greys ist in den Reihen der englischen Jour¬
nalisten in China auf heftigen Widerspruch gestoßen. Noch während des Ab^
Schlusses der großen Anleihe hat namentlich der Vertreter des Daily Telegraph
in seinen Berichten mit allen Mitteln gegen die Politik seiner Negierung


Englands Lhinapolitik

Hier sorgt das Jantseabkommen mit Deutschland, dem die anderen Mächte bei¬
getreten sind, für die Verwirklichung der zweiten Idee, die es England vor allem
auch ermöglichen soll, die etwaige Teilung erst in dem ihm am besten passenden
Augenblick eintreten zu lassen oder wenn es zweckmäßiger erscheint, mit dem Privi¬
legium auch einmal Tauschgeschäfte zu machen. Das spätere Abkommen mit Rußland
über die chinesischen Außenländer ist, zunächst im Sinne der Jnteressenversiche-
rung, eine Ergänzung der ersten Verträge, da diese sich ja nicht auf jene wei¬
teren, gewissermaßen nicht mehr als integrierende Bestandteile des chinesischen
Reiches betrachteten Gebiete beziehen sollten. Auch hier vergißt aber die britische
Politik anscheinend nicht jene zweite Idee. Sie begünstigt — so kann man die
Dinge doch wohl verstehen — den Sturz der Monarchie und die Revolution,
die eine energischere Haltung gegen das Abbröckeln der Außenländer einnimmt.
Sie erkennt selber die chinesische Oberhoheit über Tibet an und würde doch wohl
auch gern sehen, wenn die mongolische Frage im selben Sinne gelöst würde.
Zu alledem kommt nun aber noch ein weiterer Grundsatz der britischen
Politik hinzu, der die beiden ersten erst zu einem System vervollständigt und
ergänzt und namentlich in der letzten Anleihepolitik erkennbar geworden sein
dürfte. Er zeigte sich auch in der Haltung der britischen Politik in der letzten
Balkankrise und ist dort vor allem klar und deutlich ausgesprochen worden. Die
englische Politik hat das Bestreben, alle die augenblicklich schwebenden großen
Fragen im Konzert mit allen beteiligten Mächten zu erledigen und zu behandeln.
Offenbar fühlt sie sich wohl zu schwach, um allein vorzugehen, und dürfte in
der einseitig orientierten Bündnispolitik wohl auch längst mehr als ein Haar
gefunden haben. Sie sucht deshalb gemeinsame Interessen zu schaffen und diese
gemeinsam zu behandeln. Sie deckt sich dadurch nicht nur gegen unliebsame
Überraschungen, sondern vermeidet auch die Gefahr, offen gegen die eine oder
die andere Macht Stellung zu nehmen und gewinnt so, unter Ausnützung aller
Vorteile des Zusammengehens mit den Festlaudsmächten, doch die Annehmlich'
leiten der 8plenclicl l80la,ti0n in mancher Beziehung wieder. Die englische
Politik — und das gilt eben auch für ihr Verhalten in China — sichert sich
überall ihre Hypotheken, sie drängt aber nirgends auf die Subhastation oder
Parzellierung und sorgt dafür, daß gewissermaßen sämtliche Geschäfte von einer
G. in. b. H. übernommen werden, damit nicht einer den anderen aufbietet.

Diese britische Politik, die natürlich auch erst allmählich mit den Fort¬
schritten der neuen Ära der Weltpolitik zu diesem System gegriffen hat und
heute in Sir Edward Grey ihren Leiter besitzt, hat selbstverständlich schon
langem in dem eigenen Lande auch Gegner. Das gilt insbesondere be¬
züglich der Behandlung der asiatischen Fragen, vor allem der chinesischen-
Namentlich die Anleihepolitik Greys ist in den Reihen der englischen Jour¬
nalisten in China auf heftigen Widerspruch gestoßen. Noch während des Ab^
Schlusses der großen Anleihe hat namentlich der Vertreter des Daily Telegraph
in seinen Berichten mit allen Mitteln gegen die Politik seiner Negierung


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[0256] Englands Lhinapolitik Hier sorgt das Jantseabkommen mit Deutschland, dem die anderen Mächte bei¬ getreten sind, für die Verwirklichung der zweiten Idee, die es England vor allem auch ermöglichen soll, die etwaige Teilung erst in dem ihm am besten passenden Augenblick eintreten zu lassen oder wenn es zweckmäßiger erscheint, mit dem Privi¬ legium auch einmal Tauschgeschäfte zu machen. Das spätere Abkommen mit Rußland über die chinesischen Außenländer ist, zunächst im Sinne der Jnteressenversiche- rung, eine Ergänzung der ersten Verträge, da diese sich ja nicht auf jene wei¬ teren, gewissermaßen nicht mehr als integrierende Bestandteile des chinesischen Reiches betrachteten Gebiete beziehen sollten. Auch hier vergißt aber die britische Politik anscheinend nicht jene zweite Idee. Sie begünstigt — so kann man die Dinge doch wohl verstehen — den Sturz der Monarchie und die Revolution, die eine energischere Haltung gegen das Abbröckeln der Außenländer einnimmt. Sie erkennt selber die chinesische Oberhoheit über Tibet an und würde doch wohl auch gern sehen, wenn die mongolische Frage im selben Sinne gelöst würde. Zu alledem kommt nun aber noch ein weiterer Grundsatz der britischen Politik hinzu, der die beiden ersten erst zu einem System vervollständigt und ergänzt und namentlich in der letzten Anleihepolitik erkennbar geworden sein dürfte. Er zeigte sich auch in der Haltung der britischen Politik in der letzten Balkankrise und ist dort vor allem klar und deutlich ausgesprochen worden. Die englische Politik hat das Bestreben, alle die augenblicklich schwebenden großen Fragen im Konzert mit allen beteiligten Mächten zu erledigen und zu behandeln. Offenbar fühlt sie sich wohl zu schwach, um allein vorzugehen, und dürfte in der einseitig orientierten Bündnispolitik wohl auch längst mehr als ein Haar gefunden haben. Sie sucht deshalb gemeinsame Interessen zu schaffen und diese gemeinsam zu behandeln. Sie deckt sich dadurch nicht nur gegen unliebsame Überraschungen, sondern vermeidet auch die Gefahr, offen gegen die eine oder die andere Macht Stellung zu nehmen und gewinnt so, unter Ausnützung aller Vorteile des Zusammengehens mit den Festlaudsmächten, doch die Annehmlich' leiten der 8plenclicl l80la,ti0n in mancher Beziehung wieder. Die englische Politik — und das gilt eben auch für ihr Verhalten in China — sichert sich überall ihre Hypotheken, sie drängt aber nirgends auf die Subhastation oder Parzellierung und sorgt dafür, daß gewissermaßen sämtliche Geschäfte von einer G. in. b. H. übernommen werden, damit nicht einer den anderen aufbietet. Diese britische Politik, die natürlich auch erst allmählich mit den Fort¬ schritten der neuen Ära der Weltpolitik zu diesem System gegriffen hat und heute in Sir Edward Grey ihren Leiter besitzt, hat selbstverständlich schon langem in dem eigenen Lande auch Gegner. Das gilt insbesondere be¬ züglich der Behandlung der asiatischen Fragen, vor allem der chinesischen- Namentlich die Anleihepolitik Greys ist in den Reihen der englischen Jour¬ nalisten in China auf heftigen Widerspruch gestoßen. Noch während des Ab^ Schlusses der großen Anleihe hat namentlich der Vertreter des Daily Telegraph in seinen Berichten mit allen Mitteln gegen die Politik seiner Negierung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/256>, abgerufen am 24.08.2024.