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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Die Geschichte von Hakon, dem Sohne Hareks

glauben, daß er nach Recht und Gesetz getötet worden ist, wenn wir ihn nur
wegen seiner Arbeit töten lassen, ihn, der in so großem Ansehen bei den
Dänen steht."

Der Meister sprach:

"Da läßt sich Rat schaffen; übergebt mir jetzt Euren Handschuh und laßt
mich an Vigfus die Botschaft bestellen, daß Ihr seine Meisterschaft rühmend
anerkennt und ihm von nun an die ganze Aufsicht und Leitung des Werkes
überträgt; deshalb sei es Euer Befehl an ihn, als dessen Wahrzeichen dieser
Handschuh diene, daß er morgen früh vor Sonnenaufgang zu den Knechten reite,
um die Aufgabe zu erfüllen, die bisher zu meinen Pflichten gehörte. Sobald
ich ihm diesen Euren Befehl überbracht habe, werde ich voraus zu den Knechten
reiten und ihnen seine Ankunft für morgen früh ankündigen, gleichzeitig ihnen
Euren Willen kundtun, daß sie ihn auf einen Scheiterhaufen verbrennen sollen,
welche Gestalt er auch durch seine Zauberkünste angenommen haben möge."

Dieser Rat fand die Zustimmung des Königs. Der Meister machte sich auf
den Weg, übergab Vigfus den Handschuh und richtete alles so aus, wie früher
verabredet worden war; hierauf verschaffte er sich ein Pferd, ritt in den Wald
und befahl den Knechten, den dänischen Baumeister am nächsten Morgen zu ver¬
brennen, wie er auch immer aussehen möge.

Aber Vigfus dachte an den ersten Rat des Königs Svein, weil dieser auf
den Sendboten paßte: er sollte nicht trauen einem kleinen rotbärtigen Manne;
denn der Meister war sowohl klein wie rotbärtig. Hieraus verfiel er in so große
Bekümmernis, daß er die ganze Nacht wach blieb, denn er war fest entschlossen,
den guten Rat zu befolgen, aber anderseits schien es ihm gefährlich, dem Befehl
des englischen Königs nicht zu gehorchen; er entschloß sich endlich dazu, gleich
bei Morgengrauen fortzureiten, und als der Himmel unter den Strahlen der
Sonne sich rötete, erschien vor ihm ein stattliches Dorf; sobald er geraden Weges
auf der Straße in dasselbe hineingeritten war, hörte er, daß auf der einen
Seite desselben draußen bei der Mauer zur Messe geläutet wurde. Da wandte
sich Vigfus zur Kapelle, stieg von seinem Rosse, ging hinein, blickte sich um und
sah, daß sich drinnen ein alter Priester befand, der schwachsichtig und langsam
in seinem Gehaben war und ihm, der begierig war seine Reise fortzusetzen,
wollte es scheinen, daß er nie an sein Ziel kommen werde, wenn er warte. Es
kam ihm wohl der zweite Rat König Socius in Erinnerung, in dem er ihm
gebot, die Messe zu hören, aber er vermochte doch nicht seine Ruhe zu bewahren,
sprang auf, bestieg sein Roß und ritt weiter;, aber als er geraden Weges auf
der anderen Seite aus dem Dorfe hinausreiten wollte, ertönte der Klang eines
Glöckchens in einer Kapelle unmittelbar neben der Mauerpforte, er stieg ab und
vermutete, wie es auch der Fall war, daß hier zu Beginn der Messe geläutet
wurde; er ging hinein, fiel auf die Knie und als der Leib Gottes ausgestellt
wurde, beschloß er seinen Ungehorsam gegen König Svein wieder gut zu machen
und bis zum Segen nach der Messe zu warten, wieviel Zeit auch darüber ver-


Die Geschichte von Hakon, dem Sohne Hareks

glauben, daß er nach Recht und Gesetz getötet worden ist, wenn wir ihn nur
wegen seiner Arbeit töten lassen, ihn, der in so großem Ansehen bei den
Dänen steht."

Der Meister sprach:

„Da läßt sich Rat schaffen; übergebt mir jetzt Euren Handschuh und laßt
mich an Vigfus die Botschaft bestellen, daß Ihr seine Meisterschaft rühmend
anerkennt und ihm von nun an die ganze Aufsicht und Leitung des Werkes
überträgt; deshalb sei es Euer Befehl an ihn, als dessen Wahrzeichen dieser
Handschuh diene, daß er morgen früh vor Sonnenaufgang zu den Knechten reite,
um die Aufgabe zu erfüllen, die bisher zu meinen Pflichten gehörte. Sobald
ich ihm diesen Euren Befehl überbracht habe, werde ich voraus zu den Knechten
reiten und ihnen seine Ankunft für morgen früh ankündigen, gleichzeitig ihnen
Euren Willen kundtun, daß sie ihn auf einen Scheiterhaufen verbrennen sollen,
welche Gestalt er auch durch seine Zauberkünste angenommen haben möge."

Dieser Rat fand die Zustimmung des Königs. Der Meister machte sich auf
den Weg, übergab Vigfus den Handschuh und richtete alles so aus, wie früher
verabredet worden war; hierauf verschaffte er sich ein Pferd, ritt in den Wald
und befahl den Knechten, den dänischen Baumeister am nächsten Morgen zu ver¬
brennen, wie er auch immer aussehen möge.

Aber Vigfus dachte an den ersten Rat des Königs Svein, weil dieser auf
den Sendboten paßte: er sollte nicht trauen einem kleinen rotbärtigen Manne;
denn der Meister war sowohl klein wie rotbärtig. Hieraus verfiel er in so große
Bekümmernis, daß er die ganze Nacht wach blieb, denn er war fest entschlossen,
den guten Rat zu befolgen, aber anderseits schien es ihm gefährlich, dem Befehl
des englischen Königs nicht zu gehorchen; er entschloß sich endlich dazu, gleich
bei Morgengrauen fortzureiten, und als der Himmel unter den Strahlen der
Sonne sich rötete, erschien vor ihm ein stattliches Dorf; sobald er geraden Weges
auf der Straße in dasselbe hineingeritten war, hörte er, daß auf der einen
Seite desselben draußen bei der Mauer zur Messe geläutet wurde. Da wandte
sich Vigfus zur Kapelle, stieg von seinem Rosse, ging hinein, blickte sich um und
sah, daß sich drinnen ein alter Priester befand, der schwachsichtig und langsam
in seinem Gehaben war und ihm, der begierig war seine Reise fortzusetzen,
wollte es scheinen, daß er nie an sein Ziel kommen werde, wenn er warte. Es
kam ihm wohl der zweite Rat König Socius in Erinnerung, in dem er ihm
gebot, die Messe zu hören, aber er vermochte doch nicht seine Ruhe zu bewahren,
sprang auf, bestieg sein Roß und ritt weiter;, aber als er geraden Weges auf
der anderen Seite aus dem Dorfe hinausreiten wollte, ertönte der Klang eines
Glöckchens in einer Kapelle unmittelbar neben der Mauerpforte, er stieg ab und
vermutete, wie es auch der Fall war, daß hier zu Beginn der Messe geläutet
wurde; er ging hinein, fiel auf die Knie und als der Leib Gottes ausgestellt
wurde, beschloß er seinen Ungehorsam gegen König Svein wieder gut zu machen
und bis zum Segen nach der Messe zu warten, wieviel Zeit auch darüber ver-


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[0231] Die Geschichte von Hakon, dem Sohne Hareks glauben, daß er nach Recht und Gesetz getötet worden ist, wenn wir ihn nur wegen seiner Arbeit töten lassen, ihn, der in so großem Ansehen bei den Dänen steht." Der Meister sprach: „Da läßt sich Rat schaffen; übergebt mir jetzt Euren Handschuh und laßt mich an Vigfus die Botschaft bestellen, daß Ihr seine Meisterschaft rühmend anerkennt und ihm von nun an die ganze Aufsicht und Leitung des Werkes überträgt; deshalb sei es Euer Befehl an ihn, als dessen Wahrzeichen dieser Handschuh diene, daß er morgen früh vor Sonnenaufgang zu den Knechten reite, um die Aufgabe zu erfüllen, die bisher zu meinen Pflichten gehörte. Sobald ich ihm diesen Euren Befehl überbracht habe, werde ich voraus zu den Knechten reiten und ihnen seine Ankunft für morgen früh ankündigen, gleichzeitig ihnen Euren Willen kundtun, daß sie ihn auf einen Scheiterhaufen verbrennen sollen, welche Gestalt er auch durch seine Zauberkünste angenommen haben möge." Dieser Rat fand die Zustimmung des Königs. Der Meister machte sich auf den Weg, übergab Vigfus den Handschuh und richtete alles so aus, wie früher verabredet worden war; hierauf verschaffte er sich ein Pferd, ritt in den Wald und befahl den Knechten, den dänischen Baumeister am nächsten Morgen zu ver¬ brennen, wie er auch immer aussehen möge. Aber Vigfus dachte an den ersten Rat des Königs Svein, weil dieser auf den Sendboten paßte: er sollte nicht trauen einem kleinen rotbärtigen Manne; denn der Meister war sowohl klein wie rotbärtig. Hieraus verfiel er in so große Bekümmernis, daß er die ganze Nacht wach blieb, denn er war fest entschlossen, den guten Rat zu befolgen, aber anderseits schien es ihm gefährlich, dem Befehl des englischen Königs nicht zu gehorchen; er entschloß sich endlich dazu, gleich bei Morgengrauen fortzureiten, und als der Himmel unter den Strahlen der Sonne sich rötete, erschien vor ihm ein stattliches Dorf; sobald er geraden Weges auf der Straße in dasselbe hineingeritten war, hörte er, daß auf der einen Seite desselben draußen bei der Mauer zur Messe geläutet wurde. Da wandte sich Vigfus zur Kapelle, stieg von seinem Rosse, ging hinein, blickte sich um und sah, daß sich drinnen ein alter Priester befand, der schwachsichtig und langsam in seinem Gehaben war und ihm, der begierig war seine Reise fortzusetzen, wollte es scheinen, daß er nie an sein Ziel kommen werde, wenn er warte. Es kam ihm wohl der zweite Rat König Socius in Erinnerung, in dem er ihm gebot, die Messe zu hören, aber er vermochte doch nicht seine Ruhe zu bewahren, sprang auf, bestieg sein Roß und ritt weiter;, aber als er geraden Weges auf der anderen Seite aus dem Dorfe hinausreiten wollte, ertönte der Klang eines Glöckchens in einer Kapelle unmittelbar neben der Mauerpforte, er stieg ab und vermutete, wie es auch der Fall war, daß hier zu Beginn der Messe geläutet wurde; er ging hinein, fiel auf die Knie und als der Leib Gottes ausgestellt wurde, beschloß er seinen Ungehorsam gegen König Svein wieder gut zu machen und bis zum Segen nach der Messe zu warten, wieviel Zeit auch darüber ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/231>, abgerufen am 23.07.2024.