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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Die Geschichte von Hakon, dem Sohne Hareks

"Ist es nicht der Rat des Dänenkönigs, daß ich vollführe, was nur auf¬
getragen wird, falls mir die Vollendung der Arbeit in diesem Winter möglich ist?"

Es geschah aber, daß der König, da die zur Verfügung stehende Zeit knapp
bemessen war, zwei Meister mit dem Bau betraute: der eine war ein Engländer,
der andere Vigfus, es sollte jeder eine Seite mit den ihn zugeteilten Arbeitern
ausführen, denn der König wollte sehen, wer der geschicktere und wer der
flinkere wäre: die Vorkehrungen wurden nach den Anordnungen des Königs
getroffen und sollten für beide gleich sein, es erhielt aber der englische Meister
zwölf, Vigfus sieben Gehilfen. Sie schritten an die Arbeit, legten den Grund
und führten die Mauern auf. Dem Engländer oblag überdies das Geschäft,
daß er dahin zu reiten hatte, wo die Steine ausgewählt wurden und er bestimmte
jene, welche die Knechte zuzuhauen und zuzubereiten hatten; die Arbeit nahm
ihren Fortgang. Der König wunderte sich sehr darüber, daß Vigfus bei weitem
rascher vorwärts kam, obwohl er über viel weniger Leute verfügte, er erstaunte
bei sich selbst, daß der Ausländer jenen übertreffen sollte, den die Engländer
Meister nannten; denn es ging gleichzeitig die Rede, daß Vigfus an Schönheit
der Arbeit seinen Genossen nicht weniger überragte wie an Schnelligkeit der
Ausführung.

Es geschah eines Abends, daß der König, als die Baumeister ihr Tage¬
werk vollbracht hatten, den englischen Meister zu sich beschied und ihm heftige
Vorwürfe machte, daß ein Däne ihm in seiner Kunst den Rang ablaufe und
er meinte, er werde seinen Ruf verlieren und ihn nie wieder erlangen. Der
Engländer erwiderte: "Herr, ich ahnte, daß Ihr so urteilen würdet und ich bin
deshalb genötigt. Euch zu sagen, was Ihr nicht wißt, obwohl es mir schwer
ankommt zu sprechen: die Kunstfertigkeit dieses dänischen Mannes ist nicht
größer als die meine, aber die rasche und schöne Ausführung seiner Arbeit
erfolgt durch Mittel, wie solche ein rechtschaffener Mann nicht anwenden soll;
meinen Gehilfen ist es bekannt, daß wir die von ihm aufgeführte Wand gemessen
und einen Abriß von ihr genommen haben, als er sich am Abende nach Hause
begeben hatte, aber am Morgen war sie weit höher und deshalb steht es nicht in
meiner Macht, mich mit ihm in einen Wettstreit einzulassen."

Der König meinte, das dürste wohl nicht wahr sein. Der Engländer ent¬
gegnen, der König möge seine Genossen herbeirufen und hören, was diese sagen
würden. Als sie gekommen waren, wurde ihnen diese Angelegenheit vorgelegt
und sie erboten sich zum Schwüre, daß jedes Wort, das der Meister hierüber
geäußert habe, wahr sei und es kam so weit, daß sie auf die Bibel einen Eid
ablegten, Vigfus sei ein Zauberer. Nachdem sie den Schwur geleistet hatten,
gingen sie weg, der König aber beriet sich mit dem englischen Meister, was nun
geschehen solle; er sagte, es sei ihm unbehaglich, einen solchen Unglücksbau über
einem Haupte zu haben, man könne nicht wissen, welches Unheil in demselben
auf der Lauer wäre. "Aber," fuhr er fort, "wie sollen wir ihn aus der Welt
schaffen, ohne daß uns ein Vorwurf daraus erwächst; denn man wird nicht


Die Geschichte von Hakon, dem Sohne Hareks

„Ist es nicht der Rat des Dänenkönigs, daß ich vollführe, was nur auf¬
getragen wird, falls mir die Vollendung der Arbeit in diesem Winter möglich ist?"

Es geschah aber, daß der König, da die zur Verfügung stehende Zeit knapp
bemessen war, zwei Meister mit dem Bau betraute: der eine war ein Engländer,
der andere Vigfus, es sollte jeder eine Seite mit den ihn zugeteilten Arbeitern
ausführen, denn der König wollte sehen, wer der geschicktere und wer der
flinkere wäre: die Vorkehrungen wurden nach den Anordnungen des Königs
getroffen und sollten für beide gleich sein, es erhielt aber der englische Meister
zwölf, Vigfus sieben Gehilfen. Sie schritten an die Arbeit, legten den Grund
und führten die Mauern auf. Dem Engländer oblag überdies das Geschäft,
daß er dahin zu reiten hatte, wo die Steine ausgewählt wurden und er bestimmte
jene, welche die Knechte zuzuhauen und zuzubereiten hatten; die Arbeit nahm
ihren Fortgang. Der König wunderte sich sehr darüber, daß Vigfus bei weitem
rascher vorwärts kam, obwohl er über viel weniger Leute verfügte, er erstaunte
bei sich selbst, daß der Ausländer jenen übertreffen sollte, den die Engländer
Meister nannten; denn es ging gleichzeitig die Rede, daß Vigfus an Schönheit
der Arbeit seinen Genossen nicht weniger überragte wie an Schnelligkeit der
Ausführung.

Es geschah eines Abends, daß der König, als die Baumeister ihr Tage¬
werk vollbracht hatten, den englischen Meister zu sich beschied und ihm heftige
Vorwürfe machte, daß ein Däne ihm in seiner Kunst den Rang ablaufe und
er meinte, er werde seinen Ruf verlieren und ihn nie wieder erlangen. Der
Engländer erwiderte: „Herr, ich ahnte, daß Ihr so urteilen würdet und ich bin
deshalb genötigt. Euch zu sagen, was Ihr nicht wißt, obwohl es mir schwer
ankommt zu sprechen: die Kunstfertigkeit dieses dänischen Mannes ist nicht
größer als die meine, aber die rasche und schöne Ausführung seiner Arbeit
erfolgt durch Mittel, wie solche ein rechtschaffener Mann nicht anwenden soll;
meinen Gehilfen ist es bekannt, daß wir die von ihm aufgeführte Wand gemessen
und einen Abriß von ihr genommen haben, als er sich am Abende nach Hause
begeben hatte, aber am Morgen war sie weit höher und deshalb steht es nicht in
meiner Macht, mich mit ihm in einen Wettstreit einzulassen."

Der König meinte, das dürste wohl nicht wahr sein. Der Engländer ent¬
gegnen, der König möge seine Genossen herbeirufen und hören, was diese sagen
würden. Als sie gekommen waren, wurde ihnen diese Angelegenheit vorgelegt
und sie erboten sich zum Schwüre, daß jedes Wort, das der Meister hierüber
geäußert habe, wahr sei und es kam so weit, daß sie auf die Bibel einen Eid
ablegten, Vigfus sei ein Zauberer. Nachdem sie den Schwur geleistet hatten,
gingen sie weg, der König aber beriet sich mit dem englischen Meister, was nun
geschehen solle; er sagte, es sei ihm unbehaglich, einen solchen Unglücksbau über
einem Haupte zu haben, man könne nicht wissen, welches Unheil in demselben
auf der Lauer wäre. „Aber," fuhr er fort, „wie sollen wir ihn aus der Welt
schaffen, ohne daß uns ein Vorwurf daraus erwächst; denn man wird nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/230>, abgerufen am 23.07.2024.